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Newsletter Altenpflege 04/2022
04/2022
Neues aus der Rechtsprechung
Der Ausschluss der Anpassungspflicht nach § 8 Absatz 4 WBVG ist nur durch gesonderte Erklärung wirksam.
(LG Rottweil, Urteil v. 08.04.2022, 2 O 435/21)
Das Landgericht (LG) Rottweil hatte im Rahmen einer Räumungsklage über die Wirksamkeit der Kündigung eines Wohn- und Betreuungsvertrags zu entscheiden.
Die Klägerin betreibt eine Behindertenhilfeeinrichtung, in der der Beklagte seit 2010 lebt. Aufgrund massiver Verhaltensauffälligkeiten mit Fremdgefährdung sprach die Klägerin die fristlose Kündigung aus und stützte sie auf § 6 Absatz 4 und § 20 Absatz 2 des Wohn- und Betreuungsvertrags, den die Parteien abgeschlossen hatten. Diese Paragraphen trafen jeweils Regelungen zum Ausschluss der Pflicht einer Vertragsanpassung. Die Klägerin verwendete keine gesonderten Vereinbarungen zum Ausschluss der Vertragsanpassung und gestaltete die Ausschlussvereinbarung auch nicht als Anlage zum Vertrag.
Das Landgericht erklärte die Kündigung des Wohn- und Betreuungsvertrags für unwirksam und wies die Räumungsklage ab. Es kam u.a. zu dem Ergebnis, dass es sich bei den Regelungen im Wohn- und Betreuungsvertrag um keine wirksame Vereinbarung zum Ausschluss der Vertragsanpassung nach § 8 Absatz 4 WBVG handelt. Aus Sicht des Gerichts liegt in § 6 Absatz 4 und § 20 Absatz 2 des Wohn- und Betreuungsvertrags weder eine räumlich getrennte Erklärung, noch eine solche in hervorgehobener Form vor, wie sie vom Gesetz verlangt werden. Auch sonst genügen diese Vertragsregelungen der verbraucherschutzrechtlichen Warnfunktion nicht. Die Ausschlüsse seien nicht von dem sonstigen Wortlaut des Vertrages abgesetzt, sodass dem Verbraucher Inhalt und Wirkung derselben nicht hinreichend deutlich gemacht werde. Der äußere Aufbau der Vertragsurkunde lässt nach Auffassung des Landgerichts die Bedeutung eines Ausschlusses der Anpassungspflicht nicht klar hervortreten. Die Regelungen zum Ausschluss seien dem äußeren Bild nach vollkommen in die für den Wohn- und Betreuungsvertrag verwendete Urkunde eingegliedert.
Das Landgericht vertritt die Auffassung, dass der Ausschluss der Pflicht zur Vertragsanpassung sowohl durch eine gesonderte Vereinbarung neben dem Wohn- und Betreuungsvertrag, als auch durch eine separate Anlage zum Wohn- und Betreuungsvertrag, die gesondert unterzeichnet werden muss, wirksam vereinbart werden kann.
Anmerkung:
Vereinbarungen zum Ausschluss der Vertragsanpassung müssen als deutlich abgesetzte Erklärung mit den Bewohnern vor oder bei Einzug geschlossen werden. Solange der Bundesgerichtshof noch nicht entschieden hat, ob eine solche Vereinbarung auch als Anlage zum Wohn- und Betreuungsvertrag wirksam ist, erscheint es angeraten, dem Gesetzeswortlaut von § 8 Absatz 4 WBVG zu folgen und eine separate Ausschlussvereinbarung abzuschließen, die keine Anlage des Wohn- und Betreuungsvertrags ist. Ferner ist im Wohn- und Betreuungsvertrag in hervorgehobener Form darauf zu verweisen, dass die Vertragsparteien eine gesonderte Ausschlussvereinbarung getroffen haben.
Schadensersatz für verlorene Zahnprothese
(AG Nürnberg, Urteil vom 23.06.2021, 19 C 867/21)
Das Amtsgericht (AG) Nürnberg hatte darüber zu entscheiden, ob ein Krankenhaus dem Patienten Schadensersatz und Schmerzensgeld für eine verlorene Zahnprothese zu zahlen hatte.
Der klagende Patient war beim beklagten Krankenhaus für eine Operation aufgenommen worden. Vor der Operation war ihm die Zahnprothese entnommen worden. Nach der Operation war er auf eine andere Station verlegt worden, was man ihm zuvor nicht mitgeteilt hatte. Die Zahnprothese war nicht mehr auffindbar. Der Kläger musste drei Monate ohne die Prothese essen, was bei ihm erhebliche Schmerzen verursachte.
Das AG Nürnberg gab der Klage statt und verurteilte das Krankenhaus zur Zahlung der neuen Zahnprothese sowie eines Schmerzensgeldes i.H.v. 500,- €. Aus Sicht des Gerichtes haftet das Krankenhaus für eine ihm zur Aufbewahrung übergebene Zahnprothese wegen schuldhafter Verletzung der Aufbewahrungspflicht als Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag. Das Krankenhaus hafte für die Pflichtverletzung des Mitarbeiters, dem die Zahnprothese zur Aufbewahrung übergeben worden war, als seinem Erfüllungsgehilfen. Ferner habe das Krankenhaus Schmerzengeld an den Kläger zu zahlen, da er drei Monate keine Prothese zum Essen nutzen konnte.
Anmerkung:
Auch aus dem Wohn- und Betreuungsvertrag dürfte sich als Nebenpflicht die Verpflichtung zur Aufbewahrung von Zahnprothesen (und anderen Gegenständen) ergeben, soweit diese dem Pflegeheimpersonal zur Aufbewahrung übergeben worden waren. Im rechtlich zulässigen Umfang sind daher Regelungen zur Haftungsbeschränkung im Wohn- und Betreuungsvertrag angeraten.
Neues aus der Gesetzgebung
Erhöhung der Regelbedarfsstufen und Einführung von "Wohngeld Plus" zum 01.01.2023 / Recht zur Nachverhandlung der Pflegesätze
Die Bundesregierung passt zum Jahresanfang die Regelbedarfsstufen für alle Hilfeempfänger an. Die folgenden Regelbedarfsstufen gelten ab Januar 2023 für volljährige Sozialhilfeempfänger, soweit sie Grundsicherung oder Hilfe zur Pflege beziehen:
- 502,- € für Regelbedarfsstufe 1 (u.a. Volljährige Alleinstehende)
- 451,- € für Regelbedarfsstufe 2 (Volljährige Partner in Bedarfsgemeinschaft jew.)
- 402,- € für Regelbedarfsstufe 3 (Volljährige in Einrichtungen (SGB XII))
Ferner tritt zum 01.01.2023 das neu geregelte "Wohngeld Plus" in Kraft. Hiermit verbunden ist eine generelle Anhebung der Wohngeldsätze. Ferner werden eine dauerhafte Heizkomponente und eine Klimakomponente mit eingeführt.
Wohngeldberechtigt sind Mieter, deren Einkommen eine gesetzlich festgeschriebene Grenze unterschreitet. Der Heizkostenzuschuss ist vom Wohngeldbezug abhängig. Wohngeldberechtigt sind gemäß § 3 Absatz 1 Satz 2 Nr. 3 Wohngeldgesetz auch Personen, die in einem Heim im Sinne landesheimrechtlicher Regelungen dauerhaft leben. Heimbewohner werden bei der Berechnung des Wohngeldes als Einpersonenhaushalt mit dem Miethöchstbetrag der jeweiligen Mietenstufe des Wohngeldgesetzes behandelt. Wohngeld wird nur auf Antrag bewilligt. Neu eingeführt wird die Zahlung vorläufigen Wohngeldes, soweit die Feststellung des endgültigen Wohngeldes einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Die Einführung des "Wohngeldes Plus" dürfte zu einer Ausweitung des leistungsberechtigten Personenkreises führen.
Ferner wurde in § 85 Absatz 7 SGB XI seit November 2022 die Regelung aufgenommen, dass unvorhersehbare wesentliche Veränderungen der Annahmen, die dazu berechtigen, die Pflegesätze im laufenden Pflegesatzzeitraum neu zu verhandeln, insbesondere bei einer erheblichen Abweichung der tatsächlichen Bewohnerstruktur sowie bei einer erheblichen Änderung der Energieaufwendungen vorliegen.
Weitere Informationen über uns finden Sie auf www.vandrey-hoofe.de
Wir wünschen Ihnen eine schöne Weihnachtszeit und ein glückliches Jahr 2023!
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