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Newsletter Behindertenhilfe 01/2023
01/2023
Neues aus der Rechtsprechung
Die Verpflichtung zum Abschluss einer Leistungs- und Vergütungsvereinbarung kann nicht vor den Sozialgerichten durchgesetzt werden.
(LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 08.08.2022, L 8 SO 21/22 B ER)
Das Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt hatte im Beschwerdeverfahren im einstweiligen Rechtsschutz darüber zu entscheiden, ob der Leistungserbringer im sozialgerichtlichen Verfahren den Abschluss einer Leistungsvereinbarung nach § 125 Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 2 SGB IX erzwingen kann.
Der Leistungserbringer betreibt ambulante Wohngemeinschaften. Für diese bestehen Leistungsvereinbarungen. Ferner kommen auf Basis der Übergangsregelung im Land Sachsen-Anhalt Vergütungsvereinbarungen zur Anwendung. Im Dezember 2021 beantragte der Leistungserbringer beim zuständigen Leistungsträger den Abschluss von Vergütungsvereinbarungen § 125 Absatz 1 Nr. 2 SGB IX. Der Leistungsträger teilte im Februar 2022 mit, dass die Verhandlungen neuer Vergütungen eingestellt werden, bis die Gemeinsame Kommission nach § 131 SGB IX - GK 131 das System für eine neue Leistungsstruktur erarbeitet habe. Hierauf wandte sich der Leistungserbringer im einstweiligen Rechtsschutz an das Sozialgericht Halle, um den Leistungsträger zum Abschluss von Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen für seine Wohngemeinschaften verpflichten zu lassen. Das SG Halle wies den Antrag als unzulässig zurück. Das LSG Sachsen-Anhalt bestätigte die Enscheidung des Sozialgerichts.
Aus Sicht des LSG ist der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vor den Sozialgerichten unzulässig, wenn er darauf abzielt, den Leistungsträger zum Abschluss von Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen zu verpflichten. Nach der Gesetzessystematik des SGB IX habe über einen solchen Antrag zunächst die Schiedsstelle zu entscheiden (§ 126 Absatz 2 Satz 3 SGB IX).
Nach Auffassung des Gerichts ergibt sich aus der Wortwahl in der Gesetzesbegründung zu § 126 SGB IX, dass der Schiedsstelle eine besondere Bedeutung im Verfahren zum Abschluss einer Leistungs- und Vergütungsvereinbarung zukommt. Danach solle durch die Vorschaltung eines Schiedsstellenverfahrens zügig ein weitgehender Interessenausgleich zwischen den Verhandlungspartnern erzielt werden, ohne dass es eines zeitaufwendigen Gerichtsverfahrens bedürfe. Die Schiedsstelle habe als neutrale Stelle sowohl dem Interesse der Leistungsträger an einer ausreichenden und kostengünstigen Versorgung der Leistungsberechtigten als auch dem Interesse der Leistungserbringer an der angemessenen Vergütung ihrer Leistungen Rechnung zu tragen. Gegenüber dem bisher geltenden Recht sei die Erweiterung der Schiedsstellenfähigkeit auch auf die Leistungsvereinbarung mit der Begründung vorgenommen worden, dies diene der gleichgewichtigen Ausgestaltung des Vereinbarungsverfahrens.
Ferner führt das Landessozialgericht aus, dass über Klagen gegen Entscheidungen der Schiedsstellen nach § 133 SGB IX im ersten Rechtszug die Landessozialgerichte zu entscheiden haben, wie in § 29 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geregelt ist. Das Sozialgericht kann aufgrund dieser Zuständigkeitsregelung aus Sicht des LSG nicht für einstweilige Rechtsschutzverfahren hinsichtlich des Abschlusses von Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen zuständig sein.
Anmerkung:
Verweigert ein Leistungsträger den Abschluss einer Leistungsvereinbarung, ist in den gesetzlich geregelten Fristen des § 126 SGB IX die Schiedsstelle anzurufen. Die vor der BTHG-Reform gegebene Möglichkeit, Klage vor dem Sozialgericht auf Abschluss einer Leistungsvereinbarung zu erheben, ist aufgrund der Regelung des § 126 SGB IX weggefallen.
Keine grundlose Unterbindung des Umgangs durch gesetzliche Betreuerin.
(AG Brandenburg, Beschluss vom 10.11.2022, 85 XVII 127/20)
Das Amtsgericht (AG) Brandenburg hatte über den Antrag einer gesetzlichen Betreuerin auf Erweiterung des Aufgabenkreises zur Regelung des persönlichen Umgangs des Betroffenen zu entscheiden.
Der Betroffene übernachtete wiederholt bei einer Bekannten, konsumierte dort wohl Alkohol und kehrte erst am nächsten Morgen in die Einrichtung zurück. Die gesetzliche Betreuerin wollte dem Betroffenen daraufhin den Umgang mit seiner Bekannten untersagen, was der Betroffene ablehnte.
Auch das AG Brandenburg sah keinen hinreichenden Grund für die Erweiterung des Aufgabenkreises. Aus Sicht des Gerichtes kann dann die Vergabe des Aufgabenkreises "Umgangsbestimmung" erforderlich sein, wenn bei dem Betroffenen aufgrund seiner Erkrankung eine konkrete Gefährdung durch den Umgang vorliegt. Das sei u.a. dann der Fall, wenn die dritte Person Gewalt gegen den Betroffenen anwende, Kontakte zu Drogen vermittele, eine Dekompensierung des Betroffenen verursache, den Betroffenen unter psychischen Druck setze, einen erheblichen Leidensdruck bei dem Betroffenen hervorrufe oder dem Betroffenen Geld oder andere Vermögenswerte „abschwatze“. Nichts von alledem war aus Sicht des Gerichts im vorliegenden Fall gegeben. Das Amtsgericht stellte klar, dass gut gemeintes therapeutisches Vorgehen oder gar „Erziehungsversuche“ gegen den Willen
des Betroffenen und ohne konkrete Gefährdungsmomente die Vergabe des Aufgabenkreises "Umgangsbestimmung" nicht rechtfertigen.
Anmerkung:
Durch die am 01.01.2023 in Kraft getretene Reform des Betreuungsrechts ist der Aufgabenbereich "Bestimmung des Umgangs und des Aufenthalts des Betreuten" in § 1834 BGB geregelt worden. Der vorliegende Beschluss des AG Brandenburg bietet hilfreiche Ausführungen dazu, wann überhaupt der Aufgabenbereich "Umgang" aus Sicht des Betreuungsgerichts regelungsbedürftig sein kann.
Neues aus der Gesetzgebung
Anhebung des Schonvermögensbetrags / Änderung beim Zufluss von Erbschaften
Leistungsbeziehern in der Sozialhilfe (u.a. Grundsicherung, Hilfe zum Lebensunterhalt) steht seit 01.01.2023 ein Schonvermögensbetrag nach § 90 Absatz 1 Nr. 9 SGB XII in Höhe von 10.000,- € zu. Dies gilt für erwachsene Leistungsbezieher sowie deren Ehe-/Lebenspartner und für alleinstehende minderjährige Personen. Bei allen weiteren Leistungsbeziehern verbleibt es bei einem Schonvermögensbetrag i.H.v. 500,- €.
Neu aufgenommen in den Katalog des geschützten Vermögens wurde ein angemessenes Kraftfahrzeug nach § 90 Absatz 1 Nr. 10 SGB XII. Die Angemessenheitsgrenze soll bei einem Verkehrswert von 7.500,- € liegen.
Seit Jahresanfang wird der Zufluss von Erbschaften bei Leistungsempfängern der Sozialhilfe nicht mehr als Einkommen angerechnet (§ 82 Absatz 1 Satz 2 Nr. 9 SGB XII). Dies hat folgende Bedeutung: Fließt einem Leistungsempfänger Geld aus einer Erbschaft zu, so wird dieser Geldbetrag sozialhilferechtlich von Anfang an als Vermögen und nicht wie bisher als Einkommen gewertet, sodass dem Leistungsempfänger Geld aus der Erbschaft - ggf. zusammen mit weiterem bereits vorhandenem Vermögen - im Umfang von maximal 10.000,- € als Schonvermögen erhalten bleibt und er nur eventuell darüber hinausgehendes Vermögen für seine Sozialhilfeleistungen einzusetzen hat.
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