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Newsletter Behindertenhilfe 02/2025
02/2025
Neues aus der Rechtsprechung
Angehörige sind vorrangig als rechtliche Betreuer einzusetzen.
(BGH, Beschluss v. 05.03.2025, XII ZB 260/24)
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte über die Rechtsbeschwerde des Sohnes einer 91jährigen Betreuten zu entscheiden, der begehrte, anstelle eines Berufsbetreuers zum Betreuer seiner Mutter eingesetzt zu werden.
Die Betreute und ihr Sohn lebten bis zu deren Umzug in ein Pflegeheim in einer gemeinsamen Wohnung und schliefen in der Nacht in einem gemeinsamen Bett. Nach dem Umzug seiner Mutter suchte der Sohn sie dort nachts auf und teilte weiterhin das Bett mit ihr. Ferner störte er wiederholt die Arbeitsabläufe des Pflegepersonals. Nach einiger Zeit besserte sich sein Verhalten, er hielt Abstand zu seiner Mutter und konnte die neue Situation im Pflegeheim akzeptieren.
Das Landgericht lehnte ihn trotzdem als rechtlichen Betreuer seiner Mutter ab und setzte einen Berufsbetreuer ein. Der BGH hob diese Entscheidung auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das zuständige Landgericht zurück. Aus Sicht des BGH darf ein Angehöriger, der zur Übernahme der Betreuung bereit ist, grundsätzlich nur dann zugunsten eines Berufsbetreuers übergangen werden, wenn er hierfür nicht geeignet ist. Die Geeignetheit müsse im Wege der Amtsermittlung vom Betreuungsgericht geprüft werden. Diese Amtsermittlungspflicht habe das Landgericht verletzt. Das Landgericht habe maßgeblich auf das Verhalten des Sohnes in der Vergangenheit abgestellt, als er die Pflegeeinrichtung zur Unzeit aufgesucht und gegenüber seiner Mutter ein übergriffiges Verhalten gezeigt habe. Einer Absichtserklärung des Sohnes, sich in künftigen Ausnahmesituationen anders verhalten zu wollen, habe es keine Bedeutung beigemessen. Ferner habe es eine aktuelle Bescheinigung der Pflegeeinrichtung nicht einbezogen, in der eine deutliche Verhaltensbesserung des Sohnes bestätigt wurde.
Anmerkung:
Der BGH verdeutlicht mit seiner Entscheidung erneut, dass Angehörige von betreuungsbedürftigen Personen grundsätzlich vorrangig zu deren rechtlichen Betreuern bestellt werden sollen. Hat die betreuungsbedürftige Person weder durch eine Vorsorgevollmacht noch durch eine Betreuungsverfügung von ihrem Recht Gebrauch gemacht, einen rechtlichen Vertreter zu bestimmen, ist vorrangig ein Angehöriger einzusetzen. Dies ist nur dann anders, wenn dieser entweder zum Führen der Betreuung ungeeignet ist oder wenn die betreuungsbedürftige Person diesen Angehörigen als gesetzlichen Betreuer ablehnt.
Wiederholte sexuelle Übergriffe berechtigen den Leistungserbringer zur Kündigung des Wohn- und Betreuungsvertrags wegen schuldhafter gröblicher Pflichtverletzung.
(Hanseatisches OLG, Beschluss v. 29.04.2025, 4 W 105/24)
Das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) hatte im Rahmen einer Kostenbeschwerde nach Erledigung der Hauptsache darüber zu entscheiden, ob die von dem Leistungserbringer angestrengte Räumungsklage gegen einen Leistungsberechtigten wegen wiederholter sexueller Belästigungen rechtmäßig war.
Der Beklagte war Bewohner einer Einrichtung der Klägerin für Menschen mit Intelligenzminderung. Die Klägerin kündigte den Wohn- und Betreuungsvertrag fristlos, da der Beklagte mehrfach gegenüber anderen Bewohnern der Einrichtung sexuell übergriffig geworden war und die angestrengten Unterstützungsangebote nicht zu einer Abhilfe geführt hatten. Sie stützte die Kündigung auf § 12 Absatz 1 Satz 3 Nr. 2 b) WBVG unter Bezugnahme die nach § 8 Absatz 4 WBVG mit dem Beklagten geschlossenes Vereinbarung zum Ausschluss der Vertragsanpassung sowie auf eine schuldhafte gröbliche Pflichtverletzung nach § 12 Absatz 1 Satz 3 Nr. 3 WBVG.
Da der Beklagte nach erhobenen Räumungsklage auszog, war das Klageverfahren für erledigt zu erklären. Das zunächst zuständige Landgericht hob die Kosten des Verfahrens gegeneinander auf. Der Beklagte erhob hiergegen Beschwerde. Diese wurde vom Hanseatischen OLG zurückgewiesen.
Aus Sicht des OLG lagen beide Kündigungsgründe vor. Insbesondere sah das Gericht eine gröbliche Pflichtverletzung i.S.d. § 12 Absatz 1 Satz 3 Nr. 3 WBVG als gegeben an, da der beklagte Heimbewohner nachhaltig gegen das Selbstbestimmungs- oder Persönlichkeitsrecht anderer Bewohner, insbesondere durch wiederholte sexuelle Übergriffe, verstoßen hatte. In der lediglich summarischen Prüfung des Beschwerdeverfahrens hielt das Gericht den Vortrag der Klägerin für glaubwürdig, wonach der Beklagte trotz kognitiver Einschränkungen sehr wohl wusste, dass sein Verhalten Unrecht war. Ferner konnte die Kündigung auf die einschlägige Vereinbarung zum Ausschluss der Vertragsanpassung gestützt werden, da auch die dort geregelten Ausschlussgründe teilweise einschlägig waren.
Anmerkung:
Auch bei Menschen mit kognitiven Einschränkungen kann der Kündigungsgrund der "schuldhaften gröblichen Plfichtverletzung" einschlägig sein. In einem Klageverfahren ist die Schuld(un)fähigkeit regelmäßig durch ein gerichtliches Gutachten zu überprüfen.
Bei dem Kündigungsgrund der "schuldhaften gröblichen Plfichtverletzung" kann der Leistungserbringer überlegen, ob er neben der fristlosen Kündigung hilfsweise eine fristgerechte Kündigung aus einem "sonstigen wichtigen Grund" mit einer Kündigungsfrist von zwei Monaten ausspricht. Je nach Gefährdungslage muss geprüft werden, ob das vertretbar ist. Eine fristgerechte Kündigung aus einem "sonstigen wichtigen Grund" aufgrund desselben Sachverhalts hat nicht als Voraussetzung, dass der sexuell übergriffige Bewohner schuldfähig und damit geschäftsfähig sein muss.
Neues aus der Gesetzgebung
Änderungen bei der Kurzzeit- und Verhinderungspflege treten zum 01.07.2025 in Kraft.
Zum 1. Juli 2025 werden die jeweiligen Leistungsbeträge der beiden Leistungsarten zu einem gemeinsamen Jahresbetrag für Verhinderungspflege und Kurzzeitpflege zusammengelegt (§ 42a SGB XI in der am 01.07.2025 geltenden Fassung). Damit steht ab diesem Zeitpunkt für Verhinderungspflege und Kurzzeitpflege ein jährlicher Gesamtbetrag von bis zu 3.539,- € zur Verfügung, den die Anspruchsberechtigten dann nach ihrer Wahl flexibel für beide Leistungsarten einsetzen können.
Die zeitliche Höchstdauer der Verhinderungspflege wird auf bis zu acht Wochen im Kalenderjahr angehoben und damit der zeitlichen Höchstdauer der Kurzzeitpflege angeglichen. Auch der Zeitraum der hälftigen Fortzahlung eines zuvor bezogenen (anteiligen) Pflegegeldes verlängert sich entsprechend.
Ferner entfällt das Erfordernis einer sechsmonatigen Vorpflegezeit vor der erstmaligen Inanspruchnahme von Verhinderungspflege.
Weitere Informationen über uns finden Sie auf www.vandrey-hoofe.de
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