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Newsletter Behindertenhilfe 03/2024
03/2024
Neues aus der Rechtsprechung
Für die Übernahme der Kosten der Unterkunft kann das Sozialamt nicht auf der Vorlage eines schriftlichen Wohn- und Betreuungsvertrags bestehen
(SG Mannheim, Urteil v. 22.05.2024, S 9 SO 241/24)
Das Sozialgericht (SG) Mannheim hatte darüber zu entscheiden, ob das Sozialamt zu Recht die vollständige Übernahme der Kosten der Unterkunft (KdU) in einer besonderen Wohnform abgelehnt hatte, weil der Leistungsempfänger keinen schriftlichen Wohn- und Betreuungsvertrag (WBV) vorlegen konnte.
Das beklagte Sozialamt bewilligte im Rahmen eines Weiterbewilligungsantrags nur noch KdU i.H.v. 409,54 € monatlich. Zuvor hatte der klagende Leistungsempfänger KdU i.H.v. 514,39 € pro Monat erhalten. Dieser Betrag stellte 125% der KdU dar. Das Sozialamt forderte den Kläger zur Vorlage eines schriftlichen WBV auf. Ein solcher lag dem Kläger nicht vor, da der Leistungserbringer, in dessen besonderer Wohnform der Kläger lebt, nach der BTHG-Reform noch keinen neuen WBV mit dem Kläger abgeschlossen hatte, weil er zunächst abwarten wollte, bis im Land Baden-Württemberg die endgültigen Regelungen auf Basis der BTHG-Reform in Kraft treten. Der Leistungserbringer hatte dem Kläger aber einen schriftlichen Nachweis über die monatlich anfallenden Kosten der Unterkunft ausgestellt, den der Kläger dem Sozialamt vorlegte. Diesen Nachweis ließ das Sozialamt nicht gelten und bestand weiterhin auf der Vorlage des schriftlichen WBV.
Das Sozialgericht folgte der Rechtsauffassung des Sozialamts allerdings nicht. Nach § 42a Absatz 5 Satz 4 SGB XII setzt der Zuschlag von 25% auf die 100% KdU einen Vertrag zwischen dem Leistungserbringer und dem Leistungsberechtigten voraus. Aus Sicht des Gerichts bedeutet dies aber nicht, dass es sich um einen schriftlichen Vertrag handeln muss. Auch ein mündlicher Vertrag reiche vorliegend aus, da der Leistungserbringer dem Kläger einen schriftlichen Nachweis über die mündlich zwischen den beiden Vertragspartner vereinbarten Zuschläge gemäß § 42a Absatz 5 Satz 4 SGB XII erteit habe. Hingegen stelle die Forderung des Sozialamts zur Vorlage eines schriftlichen WBV eine unnötige Förmlichkeit dar, da der Kläger den Abschluss des WBV aus Sicht des Sozialgerichts wohl erst einklagen müsste.
Das Gericht gab allerdings der Klage nur im Hinblick auf einen Zuschlag für Haushaltsstrom i.H.v. 29,27 € statt, da der Leistungserbringer die weiteren Zuschläge in seinem Nachweis an das Sozialamt nicht einzeln beziffert hatte.
Anmerkung:
Sozialämter haben nach dem vorliegenden Urteil kein Recht auf Vorlage eines schriftlichen Wohn- und Betreuungsvertrags, soweit ihnen vom Leistungsberechtigten ein Nachweis über die vereinbarten Wohnkosten und Zuschläge vorgelegt wird. Allerdings sollten die Leistungserbringer darauf achten, dass sämtliche Zuschläge, die sie mit dem Leistungsberechtigten vereinbaren wollen, einzeln beziffert werden. Das Gericht hat klargestellt, dass der pauschale Verweis des Leistungserbringers darauf, dass die Zuschläge in die Wohnkosten kalkuliert wurden, nicht ausreicht.
Keine automatische Kürzung von Eingliederungshilfeleistungen um den Mehrbedarf für Mobilität
(LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.10.2023, L 7 SO 1760/21)
Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hatte darüber zu entscheiden, ob der Träger der Eingliederungshilfe die Leistungen für den Leistungsberechtigten in einer besonderen Wohnform pauschal um den Mehrbedarf wegen des Merkzeichens G, den der Betroffene im Rahmen der Grundsicherung erhält, kürzen durfte.
Der Kläger lebt in einer besonderen Wohnform und hat vom Versorgungsamt u.a. das Merkzeichen G festgestellt bekommen. Vor der BTHG-Reform erbrachte der Träger der Eingliederungshilfe Leistungen für den Kläger unter Einbeziehung der Grundsicherungsleistungen. Nach der Trennung der Leistungen auf Basis der BTHG-Reform erhielt der Kläger jeweils einen Bescheid über Grundsicherungsleistungen und einen Bescheid über die Eingliederungshilfe in der besonderen Wohnform. Bei diesen Bescheid rechnete der Beklagte den Mehrbedarf aufgrund des Merkzeichens G anspruchsmindernd an.
Das zuständige Sozialgericht hob den Bescheid des Beklagten auf. Das LSG wies die Berufung des Beklagten zurück. Es erteilte der Rechtsauffassung des beklagten Trägers der Eingliederungshilfe eine Absage, der behauptete, dass der Kläger aufgrund der Trennung der Leistungen nunmehr Leistungen der Mobilität doppelt erhalten würde, einmal über die Eingliederungshilfe in der besonderen Wohnform und einmal über den Mehrbedarf im Rahmen der Grundsicherung.
Nach Auffassung des LSG ist der Mehrbedarfszuschlag nur dann an den Beklagten weiterzuleiten, wenn der Leistungserbringer aufgrund von Mobilitätseinschränkungen des leistungsberechtigten Klägers entsprechende Leistungen erbringt. Im streitgegenständlichen Fall werden solche Leistungen der Mobilität aber durch den Leistungserbringer nach Auffassung des Gerichts nicht erbracht. Zwar teilte der Leistungserbringer im Prozess mit, dass man die Mobilitätsbedarfe der Bewohner decke. Allerdings ergibt sich nach Meinung des LSG nichts Entsprechendes aus der Übergangsvereinbarung, die im Rahmen der BTHG-Reform zwischen den Trägern der Eingliederungshilfe und den Leistungserbringern abgeschlossen wurde. Daher stehe der Mehrbedarf aufgrund des Merkzeichens G allein dem Kläger zu, der diesen Betrag zur Deckung seiner Mobilitätsbedarfe einsetzen könne.
Anmerkung:
Das LSG Baden-Württemberg stellt klar, dass es keine pauschale Anrechnung von Mehrbedarfen auf Eingliederungshilfeleistungen gibt. Es ist immer im Einzelfall zu prüfen, ob der Träger der Eingliederungshilfe tatsächlich entsprechende Leistungen finanziert. Nur dann kann im konkreten Fall eine Anrechnung in Betracht kommen.
Keine Einräumung einer Räumungsfrist bei erheblichen, selbstverschuldeten Zahlungsrückständen
(LG Lübeck, Urteil vom 25.04.2024, 5 O 197/23)
Das Landgericht (LG) Lübeck hatte darüber zu entscheiden, ob der Räumungsklage eines Pflegeheims gegen eine hochbetagte Bewohnerin wegen erheblicher Zahlungsrückstände stattzugeben war und ob der Bewohnerin eine Räumungsfrist einzuräumen war.
Die Bewohnerin zog 2020 in das Pflegeheim ein. Ab 2021 kam es immer wieder zu erheblichen Zahlungsrückständen, die der gesetzliche Betreuer der Bewohnerin trotz diverser Mahnungen nicht ausglich und auch sonst nichts zur Sicherung der Heimentgelte unternahm. Die Rückstände summierten sich zuletzt auf 34.626,22 €. Im August 2023 kündigte das Pflegeheim den Wohn- und Betreuungsvertrag gemäß § 12 Absatz 1 Satz 3 Nr. 4 b) WBVG wegen der Zahlungsrückstände. Im anhängigen Klageverfahren vor dem Landgericht zahlte der gesetzliche Betreuer insgesamt 4.900,- € offene Heimentgelte und stellte bei der Stadt Lübeck einen Antrag auf Übernahme der Mietrückstände.
Das Gericht verurteilte die Bewohnerin zur Räumung des Heimplatzes und erklärte die Kündigung des Pflegeheimes wegen Entgeltrückständen für wirksam. Ferner wies das Gericht den Antrag der Bewohnerin auf Gewährung einer Räumungsfrist gemäß § 721 Zivilprozeßordnung (ZPO) ab.
Das Gericht führte aus, dass eine Räumungsfrist gemäß § 721 ZPO auf Antrag oder von Amts wegen gewährt werden kann, wenn auf Räumung von Wohnraum erkannt wird. Eine Bewilligung sei grundsätzlich auch bei einer Kündigung wegen Zahlungsrückständen möglich. Dabei seien allerdings die Interessen der Parteien gegeneinander abzuwägen.
Aus Sicht des Gerichtes war der Bewohnerin vorliegend keine Räumungsfrist nach § 721 ZPO zu gewähren, da die wirtschaftliche Belastung des Pflegeheimes durch die erheblichen Entgeltrückstände zu gravierend waren und sich auch auf die anderen Bewohner auswirken könnten. Bereits kurze Zeit nach dem Einzug habe die Bewohnerin keine regelmäßigen Zahlungen mehr geleistet. Das wäre aus Sicht des Gerichts auch für den Zeitraum der Räumungsfrist nicht zu erwarten. Der gesetzliche Betreuer habe sich nicht ausreichend bemüht, die vereinbarten Entgelte zu zahlen oder eine alternative Unterkunft für die Bewohnerin zu finden. Diese Obliegenheitspflichtverletzung müsse sich die Bewohnerin zurechnen lassen. Das Landgericht ließ es auch nicht gelten, dass der gesetzliche Betreuer behauptete, er habe seinen Pflichten aufgrund von Long Covid nicht vollumfänglich nachkommen können. Aus Sicht des Gerichts hätte er dann einen Betreuerwechsel beim Betreuungsgericht initiieren müssen, so dass der neue gesetzliche Betreuer alles Erforderliche hätte tun können.
Anmerkung:
Wird einer Räumungsklage vom Gericht stattgegeben, so ist die zur Räumung verurteilte Person aufgrund des Urteils zum sofortigen Auszug verpflichtet. Nach § 721 ZPO kann das Gericht aus eigenem Antrieb oder aufgrund eines Antrags des Beklagten die Verpflichtung zur sofortigen Räumung des Wohnraums aussetzen und eine Räumungsfrist gewähren, damit der Beklagte ausreichend Zeit hat, neuen Wohnraum zu finden. Eine solche Räumungsfrist kann auf Antrag auch verlängert oder verkürzt werden. Aus Sicht der Rechtsprechung ist § 721 ZPO auch auf den von Trägern der Behindertenhilfe zur Verfügung gestellten Wohnraum anzuwenden.
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