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Newsletter Behindertenhilfe 03/2025
03/2025
Neues aus der Rechtsprechung
Die Beförderung in einem Fahrzeug kann eine freiheitsentziehende Maßnahme sein.
(AG Rüdesheim, Beschluss v. 12.12.2024, 4 XVII 158/16 B)
Das Amtsgericht (AG) Rüdesheim hatte darüber zu entscheiden, ob die Verwendung eines SEGUFIX-Rückhaltegurtes eine freiheitsentziehende Maßnahme darstellt, in deren Durchführung das Amtsgericht einwilligen muss.
Bei dem Betroffenen besteht eine schwere Intelligenzminderung. Er wurde täglich von der besonderen Wohnform zum Betreuungsangebot außerhalb des Wohnbereiches mit einem Fahrdienst transportiert. Während der Fahrt wand er sich regelmäßig aus dem Sicherheitsgurt und stand auf. Der Fahrdienst lehnte daraufhin die weitere Beförderung des Betroffenen ab. Um ein Herauswinden zu verhindern und weiterhin den Besuch des Tagesraumes zu ermöglichen, beantragte der gesetzliche Betreuer beim AG Rüdesheim die Zustimmung zur Verwendung eines SEGUFIX-Rückhaltegurtes als freiheitsentziehende Maßnahme.
Das Amtsgericht wies den Antrag zurück. Es kam zu dem Ergebnis, dass eine Freiheitsentziehung vorliegt, aber zugleich eine Genehmigung nach § 1831 Abs. 4 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) dem Gericht nicht möglich ist.
1831 Abs. 4 BGB knüpft das Erfordernis einer betreuungsgerichtlichen Genehmigung daran, dass sich der Betroffene in einem Krankenhaus, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält. Das Gericht stellte im vorliegenden Fall fest, dass ein Fahrzeug keine „sonstige Einrichtung“ ist, da eine solche Einrichtung dem Aufenthalt und der Versorgung oder Pflege der betreuten Person dienen muss. Dies sei bei einem Kraftfahrzeug nicht der Fall.
Damit sah sich das Gericht nicht in der Lage dazu, die erforderliche Fixierung für den Transport zu genehmigen, da die Verwendung eines Gurtes eine freiheitsentziehende Maßnahme darstellt, in die der Betroffene aufgrund seiner schweren Intelligenzminderung nicht einwilligen kann.
Anmerkung:
Der vorliegende Beschluss des AG Rüdesheim lässt Zweifel daran aufkommen, ob bei Menschen, die nicht einwilligungsfähig sind, überhaupt eine Beförderung in einem Kfz möglich ist, da hier eine Gurtpflicht besteht, die zugleich einen Freiheitsentzug darstellt, in den die Betroffenen nicht einwilligen können. Es bleibt zu hoffen, dass es in absehbarer Zeit eine Klärung der Rechtslage durch die Rechtsprechung gibt.
Eine längere Kündigungsfrist kann in der Probezeit zulässig sein.
(LAG Hessen, Urteil v. 29.10.2024, 8 Sa 1057/23)
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen hatte darüber zu entscheiden, ob eine durch die Arbeitgeberin in der Probezeit ausgesprochene Kündigung mit verlängerter Kündigungsfrist über die Probezeit hinaus zulässig ist.
Die beklagte Arbeitgeberin hatte die klagende Arbeitnehmerin mit einer sechsmonatige Probezeit zum 01.01. angestellt. Aus Sicht der Arbeitgeberin hatte sich die Arbeitnehmerin während der Probezeit nicht bewährt. Sie teilte ihr im Mai mit, dass sie beabsichtige, diese zum Ende der Probezeit zu kündigen. Daraufhin legte die Arbeitnehmerin einen "Maßnahmenplan" vor, mit dem sie die Situation verbessern wollte. Die Arbeitgeberin kündigte ihr dann am 02.06. zum 31.12. des Jahres mit der Option, einen neuen Arbeitsvertrag abzuschließen, wenn sie sich in der verlängerten Probezeit bewährt hätte.
Daraufhin erhob die Arbeitnehmerin Kündigungsschutzklage vor dem zuständigen Arbeitsgericht. Sowohl das Arbeitsgericht Offenbach als auch das Landesarbeitsgericht Hessen wiesen ihre Klage ab.
Beide Gerichte verwiesen darauf, dass der Klägerin vor Ablauf der sechsmonatigen Probezeit kein Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) zustand. Es lag aus Sicht der Gerichte auch keine Umgehung der Kündigungsfristen nach dem KschG vor. Die Verlängerung der Kündigungsfrist um sechs Monate sei nicht unangemessen lang gewesen, so dass kein sitten- oder treuwidriges Verhalten der Arbeitgeberin vorgelegen habe. Ferner folgten die Gerichte der Rechtsauffassung der Arbeitgeberin, wonach die verlängerte Probezeit nicht nur im überwiegenden Arbeitgeberinteresse lag, sondern der Arbeitnehmerin eine Bewährungschance gegeben werden sollte. Des weiteren folgten die Gerichte der Rechtsauffassung der Klägerin nicht, wonach eine verbindliche Wiedereinstellungszusage durch die Arbeitgeberin nach Ablauf der verlängerten Probezeit erforderlich gewesen sei.
Hinweis:
Gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hessen ist die Revision vor dem Bundesarbeitsgericht anhängig.
Zur Entscheidungsbefugnis der Schiedsstelle hinsichtlich des Inkrafttretens von Vereinbarungen
(LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil v. 08.05.2025, L 9 SO 48/23 KL)
Das Landessozialgericht (LSG) Mecklenburg-Vorpommern hatte darüber zu entscheiden, in welchem Umfang die Schiedsstelle über den Beginn einer Leistungs- und Vergütungsvereinbarung entscheiden darf.
Die Klägerin als Einrichtung der Wohlfahrtspflege hatte den Beklagten als Träger der Eingliederungshilfe fristgemäß zu Entgeltverhandlungen für den Zeitraum Juni 2022 bis Mai 2023 aufgefordert. Ferner hatte sie rechtzeitig zum 01.06.2022 ein Schiedsstellenverfahren eingeleitet. In diesem Verfahren beantragte die Klägerin die Festsetzung der neuen Leistungsentgelte ab dem 01.06.2022. Im November 2022 erfolgte außerhalb der Schiedsstelle eine Einigung zwischen den Parteien ab 01.12.2022 bis 31.05.2023. In der getroffenen Leistungsvereinbarung wurde festgelegt, dass die Schiedsstelle über den noch streitigen Zeitraum Juni bis November 2022 entscheiden soll. Ferner wurde in der Leistungsvereinbarung geregelt, dass deren Laufzeitbeginn unter dem Vorbehalt der Entscheidung der Schiedsstelle steht. Für die Vergütungsvereinbarung wurden keine entsprechenden Regelungen zwischen den Parteien getroffen.
Im Schiedsspruch setzte die Schiedsstelle die Leistungsvereinbarung auch für den Zeitraum 01.06. bis 30.11.2022 fest. Für die Vergütungsvereinbarung traf sie keine entsprechende Festsetzung. Dies begründete die Schiedsstelle damit, dass hinsichtlich der Vergütungsregelung kein Vorbehalt für die Festsetzung eines abweichenden Zeitraumes von den Parteien vereinbart worden war. Hiergegen erhob die Klägerin Klage vor dem LSG Mecklenburg-Vorpommern. Hier beantragte sie die teilweise Aufhebung des Schiedsspruches im Hinblick auf die Vergütungsvereinbarung. Dieser Klage wurde vom LSG stattgegeben.
Das LSG begründete sein Urteil unter anderem damit, dass die Schiedsstelle auch gerade für den streitigen Zeitraum hinsichtlich der Vergütungsvereinbarung eine Festsetzungsbefugnis hat. Auch ein entgegenstehender Beteiligtenwille hindere die Schiedsstelle nicht daran, eine Entscheidung für den Teilzeitraum Juni bis November 2022 zu fällen. Aus Sicht des Gerichtes wurden in der bereits geeinten Vergütungsvereinbarung gerade keine Beschränkungen durch die Parteien aufgenommen. Ferner stellten diese im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht klar, dass eine solche zeitliche Beschränkung lediglich vergessen worden war. Aus Sicht des LSG hat sich die Schiedsstelle nach dem Antrag der Klägerin zu richten und nicht nach einer außerhalb des Schiedsverfahrens zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung. Die Schiedsstelle habe daher kein Recht dazu, hinsichtlich der Vergütungsvereinbarung einen entgegenstehenden Parteiwillen für die Festlegung des Zeitraums Juni bis November 2022 zu unterstellen.
Weitere Informationen über uns finden Sie auf www.vandrey-hoofe.de
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