- Sie sind hier: Start
- Newsletter
- Ansicht
Newsletter Behindertenhilfe 04/2025
04/2025
Neues aus der Rechtsprechung
Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung des Wohn- und Betreuungsvertrags wegen verspätet geschlossener Ausschlussvereinbarung.
(LG Berlin II, Urteil v. 30.10.2025, 10 O 38/24)
Das Landgericht (LG) Berlin II hatte über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung des Wohn- und Betreuungsvertrags (WBV) u.a. wegen fremdgefährdenden Verhaltens auf Basis der Vereinbarung zum Ausschluss der Vertragsanpassung nach §§ 8 Absatz 4, 12 Absatz 1 Satz 3 Nr. 2 b) WBVG zu entscheiden.
Die 1972 geborene Beklagte leidet unter einer schweren geistigen Behinderung aus dem Autismusspektrum mit Verhaltensauffälligkeiten. Sie lebt seit 2000 in der besonderen Wohnform der Klägerin. Zum Einzug wurde ein Heimvertrag geschlossen, der aufgrund einer Vereinbarung zur Umsetzung der gesetzlichen Änderungen durch das Bundesteilhabegesetz im Jahr 2020 abgeändert wurde. Dieser Vereinbarung aus dem Jahr 2020 war als Anlage zum Vertrag eine gesonderte Vereinbarung zum Ausschluss der Vertragsanpassung nach § 8 Absatz 4 WBVG beigefügt.
Im Mai 2023 kündigte die Klägerin den Wohn- und Betreuungsvertrag mit der Beklagten zum 31.07.2023 nach § 12 Absatz 1 Satz 3 Nr. 2 b) und Nr. 3 WBVG wegen fehlender Kooperation der rechtlichen Betreuerin und aufgrund fremdgefährdenden Verhaltens der Beklagten, das sich insbesondere in wiederholter erheblicher Gewalt gegenüber Mitbewohnenden äußerte. In einem Gutachten des Sozialpsychiatrischen Dienstes wurde im Jahr 2024 festgestellt, dass es seit mehr als zwei Jahren zu den fremdaggressiven Verhaltensauffälligkeiten kam und dass diese von einer Änderung der Konzeption der Klägerin herrührten, die das Entwicklungspotential und die Selbstbestimmung der Bewohnenden fördern sollten, die Beklagte aber derart stark irritierten, dass sie darauf mit Gewaltdurchbrüchen reagierte.
Das Gericht wies die Klage ab und erklärte die Kündigung für unwirksam. Aus Sicht des Gerichts lag kein wichtiger Grund für die Kündigung des WBV vor.
Das LG zog bereits in Zweifel, ob tatsächlich eine Leistungsanpassung im Sinne der Ausschlussvereinbarung notwendig war, da diese wohl nur aufgrund der kontextuellen Veränderungen der Klägerin erforderlich wurden. Allerdings ließ das Gericht diesen Punkt letztlich unbeantwortet, da aus seiner Sicht die Vereinbarung zum Ausschluss der Vertragsanpassungen bereits unwirksam war, auf die die Klägerin ihre Kündigung u.a. gestützt hatte. Nach § 8 Absatz 4 WGVB könne eine solche Vereinbarung nur vor oder bei Vertragsschluss geschlossen werden. Die Klägerin habe aber erst 2020 im laufenden Vertragsverhältnis die vorliegende Ausschlussvereinbarung mit der Beklagten abgeschlossen. Nach Auffassung des Landgerichts kann sie daher eine Kündigung nicht auf die unwirksame Ausschlussvereinbarung stützen.
Ferner sah des Gericht in der mangelnden Kooperation der gesetzlichen Betreuerin zur Suche nach einer neuen geeigneten Einrichtung keine schuldhafte gröbliche Pflichtverletzung i.S.d. § 12 Absatz 1 Satz 3 Nr. 3 WBVG. Zwar müsse sich die Beklagte schuldhaftes Verhalten der rechtlichen Vertreterin zurechnen lassen, allerdings liege in diesem Fall kein "gröblicher" Pflichtenverstoß der gesetzlichen Betreuerin vor.
Das LG kam zu dem Ergebnis, dass auch kein "sonstiger wichtiger Grund" nach § 12 Absatz 1 Satz 1 WBVG zur Rechtfertigung der Kündigung vorlag. Zwar sah das Gericht die Gewaltdurchbrüche der Beklagten als wichtigen Grund für eine Kündigung an. Allerdings kam es bei der erforderlichen Abwägung der berechtigten Interessen der Klägerin an einer Beendigung der Kündigung und der Beklagten an einem Fortbestehen des WBV zu dem Ergebnis, dass die Interessen der Beklagten überwiegen. Zwar habe die Klägerin ein hohes Interesse an dem Schutz der Mitbewohnenden und Mitarbeitenden, allerdings habe sie durch die konzeptionelle Änderung selbst dazu beigetragen, dass sich die fremdgefährdenden Verhaltensweisen der Beklagten massiv gesteigert haben und ihr sei bereits bei Einzug der Beklagten im Jahr 2000 bekannt gewesen, dass die Beklagte sich wiederholt fremdgefährdend verhalten hatte.
Anmerkung:
Das Landgericht Berlin hat nunmehr klargestellt, dass die Vereinbarung zum Ausschluss der Vertragsanpassung nur am Beginn eines Vertragsverhältnisses einmalig abgeschlossen werden darf. Ein Abschluss nach Einzug bzw. der Abschluss einer neugefassten Ausschlussvereinbarung im laufenden Vertragsverhältnis macht diese Vereinbarung unwirksam. Das führt dazu, dass der Leistungserbringer nur aus einem "sonstigen wichtigen Grund" fristgemäß mit einer zweimonatigen Kündigungsfrist kündigen kann und ihm das Recht zur fristlosen Kündigung verloren geht.
Das Gericht legt im Hinblick auf die erforderliche Interessenabwägung strenge Zumutbarkeitskriterien zulasten des Leistungserbringers an. Insbesondere muss bei zukünftigen Aufnahmen ein besonderes Augenmerk auf die Kenntnis des Leistungserbringers hinsichtlich fremdgefährdender Verhaltensweisen der Interessenten gelegt werden. Aus Sicht des Gerichts überwiegt jedenfalls im vorliegenden Fall das Führsorgeinteresse der Beklagten das Schutzinteresse der Mitbewohner. Leider äußert sich das Gericht nicht zu dem Punkt, ob die Leistungsfähigkeit des Leistungserbringers zur Erbringung der erforderlichen Betreuungsleistungen an alle Bewohnenden auch bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen ist, da davon auszugehen ist, dass sich Mitarbeiter bei fortgesetztem Gewaltgeschehen zeitnah eine Stelle bei einem anderen Arbeitgeber suchen dürften und der Personalmangel sich negativ auf alle Bewohnerinnen und Bewohner auswirken dürfte. Möglicherweise hat die Klägerin dieses Argument nicht mit ins Klageverfahren eingebracht.
Ein Antrag auf Genehmigung des Hochklappens von Bettgittern beinhaltet auch den Antrag auf Erweiterung der Betreuung um den Aufgabenkreis "freiheitsentziehende Maßnahmen".
(LG Frankfurt a.M., Beschluss v. 13.08.2025, 2-12 T 97/25)
Das Landgericht (LG) Frankfurt a.M. hatte über die Beschwerde einer rechtlichen Betreuerin auf Ablehnung der Genehmigung von freiheitsentziehenden Maßnahmen durch das Amtsgericht (AG) Frankfurt a.M. zu entscheiden.
Die rechtliche Betreuerin hatte für eine Betreute, die an vaskulärer Demenz und einer halbseitigen Lähmung aufgrund eines Schlaganfalls leidet, beantragt, dass im Pflegeheim die Bettgitter des Pflegebettes hochgeklappt werden dürfen. Das AG lehnte die Genehmigung ab, da das Hochklappen der Bettgitter aus seiner Sicht nicht erforderlich war. Hiergegen legte die gesetzliche Betreuerin Beschwerde ein, der das LG stattgab und ihr zugleich den Aufgabenkreis "freiheitsentziehende Maßnahmen" befristet bis August 2027 übertrug.
Das Gericht stellte dabei fest, dass der Antrag auf Genehmigung des Hochklappens der Bettgitter konkludent auch den Antrag auf Übertragung des Aufgabenkreises "freiheitsentziehende Maßnahmen" nach § 1831 Absatz 4 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) umfasst. Das LG führte weiter aus, dass die Betreute aufgrund ihrer Erkrankung keinen freien Willen mehr bilden kann und so nicht mehr in der Lage ist, selbst über das Hochklappen der Bettgitter zu entscheiden. Ferner lasse sie sich aus dem Bett fallen, so dass das Hochklappen der Bettgitter zu ihrem Schutz erforderlich sei.
Hinweis:
Seit der Reform des Betreuungsrechts 2023 reicht es nicht aus, dass rechtlichen Betreuern die Aufgabenkreise "Aufenthaltsbestimmung" und "Gesundheitssorge" übertragen wurde, um freiheitsentziehende Maßnahmen anordnen zu dürfen. Vielmehr muss ihnen zur Anordnung solcher Maßnahmen der Aufgabenkreis "freiheitsentziehende Maßnahmen" vom Betreuungsgericht übertragen worden sein. Dieses Wissen ist noch nicht bei allen rechtlichen Betreuern vorhanden. Mit der vorliegenden Gerichtsentscheidung wird diesem Erfordernis auf prakmatische Weise Rechnung getragen, indem das Gericht davon ausgeht, dass der Antrag auf Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme auch den Antrag auf Erweiterung der rechtlichen Betreuung um den erforderlichen Aufgabenkreis umfasst.
Neues aus der Gesetzgebung
Änderung zum 01.01.2026
Die Bezugsgröße nach § 18 SGB IV steigt 2026 auf jährlich 47.460,- €, so dass Personen, die Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX beziehen, ab 2026 einen Vermögensfreibetrag von 71.190,- € haben.
Die Regelsätze für den Bezug von Grundsicherung bleiben 2026 in unveränderter Höhe bestehen. Auch der Schonvermögensbetrag nach § 90 SGB XII für den Bezug von Sozialhilfeleistungen verbleibt bei 10.000,- € für die berechtigte Person.
Weitere Informationen über uns finden Sie auf www.vandrey-hoofe.de
Wir wünschen Ihnen fröhliche Weihnachten und einen guten Start ins neue Jahr!
Klicken Sie hier, wenn Sie den Newsletter Behindertenhilfe abbestellen möchten.