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Newsletter Vandrey & Hoofe | 01/2022
01/2022
Neues aus der Rechtsprechung
Der Gesetzgeber hat die Pflicht, ein Triage-Gesetz unter besonderer Berücksichtigung der Schutzbedürftigkeit von Menschen mit Behinderung zu erlassen.
(BVerfG, Beschluss v. 16.12.2021, 1 BvR 1541/20)
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte darüber zu entscheiden, ob der Gesetzgeber in einem Triage-Gesetz Regelungen zu treffen hat, die eine Benachteiligung aufgrund bestehender Behinderung bei der Zuteilung knapper intensivmedizinischer Ressourcen (sog. Triage) verhindern sollen.
Neun Menschen mit Behinderung hatten im Jahr 2020 eine entsprechende Verfassungsbeschwerde erhoben und geltend gemacht, dass der Gesetzgeber gegen das Benachteiligungsverbot aus Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 Grundgesetz (GG) verstößt, weil er angesichts der Pandemie keine gesetzlichen Regelungen getroffen habe, die eine Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen im Rahmen einer ggf. erforderlichen Triage verhindern.
Das Bundesverfassungsgericht gab den Antragstellern vollumfänglich Recht und verurteilte den Bundesgesetzgeber dazu Vorkehrungen zu treffen, damit niemand wegen einer Behinderung bei der Zuteilung überlebenswichtiger, nicht für alle zur Verfügung stehender intensivmedizinischer Ressourcen benachteiligt wird.
Das Gericht kam aufgrund von Expertenanhörungen zu dem Ergebnis, dass eine konkrete Gefahr der Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen besteht, da deren Lebenssituation und Lebensqualität in Krankenhäusern oft falsch beurteilt würden und das dortige Personal meist unter hohem zeitlichen und ökonomischem Druck stehe und ferner im Umgang mit Menschen mit spezifischen Behinderungen regelmäßig nicht geschult sei. Dies könne zu unbewussten Stereotypisierungen führen, die die Betroffenen bei Entscheidungen zur Triage benachteiligen könnten.
Hinweis:
Der Bundesgesetzgeber ist nunmehr aufgefordert, unverzüglich ein Gesetz zur Regelung der Triage zu verabschieden, das den besonderen Belangen von Menschen mit Behinderung Rechnung trägt, um eine Benachteiligung möglichst zu verhindern.
Besteht kein Anspruch auf einen Mehrbedarf für das Mittagessen gegen den Sozialhilfeträger, so ist das Mittagessen auch nicht vom Eingliederungshilfeträger zu übernehmen.
(SG Heilbronn, Urteil v. 14.12.2021, S 2 SO 1228/20)
Das Sozialgericht (SG) Heilbronn hatte darüber zu entscheiden, ob der Kläger die Kosten des Mittagessens in einer tagesstrukturierenden Maßnahme vom Eingliederungshilfeträger zu erhalten hat, wenn er aufgrund zu hohen Einkommens keinen Anspruch auf Sozialhilfe hat.
Der behinderte Kläger erhält eine Erwerbsminderungsrente und eine Betriebsrente, aufgrund derer er keinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen hat. Er besucht an 5 Tagen pro Woche ein tagesstrukturierendes Angebot und hat für das dortige Mittagessen 64,60 € pro Monat an den Leistungserbringer zu zahlen. Der gesetzliche Betreuer verweigerte die Unterzeichnung einer entsprechenden vertraglichen Regelung mit dem Leistungserbringer. Er beantragte beim Leistungsträger der Eingliederungshilfe die Kostenübernahme der monatlichen Mittagsverpflegung als Leistung der Eingliederungshilfe nach § 113 Absatz 4 SGB IX.
Das Sozialgericht Heilbronn wies die Klage ab. Das Gericht führt aus, dass einen Mehrbedarf für Mittagessen Menschen mit Behinderung in Werkstätten oder entsprechenden tagesstrukturierenden Maßnahmen nach § 42b Absatz 2 Satz 1 SGB XII erhalten, wenn sie Anspruch auf Grundsicherung haben. Wer aufgrund eigenen Einkommens keinen Anspruch auf Grundsicherung habe, erhalte den Mehrbedarf für Mittagsverpflegung nicht und habe die Kosten des Mittagessens selbst zu tragen. § 113 Absatz 4 SGB IX regele, dass der Leistungserbringer, der eine gemeinschaftliche Mittagsverpflegung in Werkstätten und entsprechenden tagesstrukturierenden Maßnahmen anbiete, hierfür im Rahmen der Eingliederungshilfe die erforderliche sächliche und personelle Ausstattung sowie die betriebsnotwendigen Anlagen refinanziert erhalte. Die für das Mittagessen erforderlichen Lebensmittel gehörten aufgrund der BTHG-Reform nicht mehr zu den Leistungen der Eingliederungshilfe.
Das Gericht sieht in der Trennung in Fachleistungen und unterhaltssichernde Leistungen keinen Verstoß des Gesetzgebers gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz aus Artikel 3 Absatz 1 GG.
Anmerkung:
Aufgrund der gesetzlichen Neuregelungen zum 01.01.2020 haben die Betroffenen in Werkstätten und anderen tagesstrukturierenden Angeboten die Sachkosten der Mittagsverpflegung selbst zu tragen. Diejenigen, die Anspruch auf Grundsicherungsleistungen haben, erhalten einen entsprechenden Mehrbedarf nach § 42b Absatz 2 Satz 1 SGB XII. Wer über ausreichend Einkommen verfügt, hat keinen solchen Anspruch. Das SG Heilbronn entscheidet somit auf Basis der geltenden Rechtslage. Die Berufung ist anhängig. Hier könnte ein genauerer Blick darauf geworfen werden, wie hoch das Einkommen des Klägers tatsächlich ist. Überschreitet es nur um wenige Euro den Grundsicherungsbedarf, so sollte eine genauere Prüfung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch das Landessozialgericht erfolgen.
Das Gericht wies in seiner Urteilsbegründung darauf hin, dass sich die Prüfung eines Anspruchs gegen den Leistungserbringer der Eingliederungshilfe schon deshalb erübrigt, da der gesetzliche Betreuer die zivilrechtliche Vereinbarung mit dem Leistungserbringer zur Mittagsverpflegung nicht unterzeichnet hatte. Vor einer gerichtlichen Geltendmachung ist in allen Bereichen der Eingliederungshilfe darauf zu achten, dass die erforderlichen zivilrechtlichen Verträge unterzeichnet sind. Das gilt auch für Nachträge zu den Verträgen aufgrund eventueller Entgelterhöhungen. Ohne entsprechende vertragliche Vereinbarungen besteht kein Anspruch gegen den Leistungsträger der Eingliederungshilfe.
Erfolgloser Eilantrag gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht.
(BVerfG, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 10.02.2022, 1 BvR 2649/21)
Das Bundesverfassungsgericht hatte über den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Außervollzugsetzung der einrichtungs- und unternehmensbezogenen Nachweispflicht über die Impfungen gegen COVID-19 nach § 20a Infektionsschutzgesetz (IfSG) zu entscheiden.
Im Rahmen einer Folgenabwägung kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht nach § 20a IfSG nicht vorläufig außer Kraft zu setzen ist, sondern dass die Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten ist. Das Gericht führt hierzu aus, dass trotz der Irreversibilität der Impfungen den in entsprechenden Einrichtungen Tätigen keine derart hohen Gesundheitsrisiken auferlegt werden, dass sie die Risiken für die in den Einrichtungen betreuten vulnerablen Personen übersteigen würden. Es bleibe den betroffenen Arbeitnehmern unbenommen, sich nicht impfen zu lassen. Die hierdurch entstehenden beruflichen Nachteile seien hinzunehmen, da aus Sicht des Gerichts nicht die Gefahr besteht, dass diese Nachteile bis zur Entscheidung in der Hauptsache irreversibel wären. Aufgrund des weiterhin hohen Infektionsgeschehens seien vulnerable Personen hingegen nach wie vor besonders schutzbedürftig.
Das BVerfG weist weiter darauf hin, dass sich vulnerable Personen nur eingeschränkt selbst schützen können und auf die Inanspruchnahme der Betreuungs- und Pflegeleistungen in den Einrichtungen angewiesen sind. Dies alles rechtfertige die Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung und das Abwarten der Antragsteller auf die Entscheidung in der Hauptsache.
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