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Newsletter Behindertenhilfe 04/2021
04/2021
Neues aus der Rechtsprechung
Die Verhinderung einer gebotenen Impfung begründet die mangelnde Eignung als rechtlicher Betreuer.
(BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 31.05.2021, 1 BvR 1211/21)
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte über die Verfassungsbeschwerde eines Berufsbetreuers zu entscheiden, der bei mehreren hochbetagten, von ihm betreuten Personen die Corona-Impfung zu verhindern versucht hatte und daraufhin vom Betreuungsgericht als ungeeignet aus dem Amt entlassen worden war.
Der Beschwerdeführer wandte sich gegen seine Entlassung als Berufsbetreuer. Das Bundesverfassungsgericht nahm die Beschwerde nicht zur Entscheidung an und bestätigte damit die Entlassung des Beschwerdeführers als rechtlicher Betreuer. Da der Berufbetreuer die Impfung bei mehreren Betreuten aktiv zu verhindern suchte, war er für das Amt des Betreuers als nicht mehr geeignet anzusehen.
Das Gericht führt aus, dass das Betreuungsgericht die Nichteinwilligung des rechtlichen Betreuers mit Gesundheitssorge in eine medizinische Behandlung nach § 1904 Absatz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) genehmigen muss, wenn die ärztliche Maßnahme medizinisch geboten ist und bei ihrer Unterlassung eine begründete Gefahr für Leben und Gesundheit der Betreuten besteht. Im Übrigen ist der gesetzliche Betreuer dazu verpflichtet, seine Einwilligung in die medizinsch erforderliche Maßnahme zu erteilen. Aus Sicht des Gerichts liegt bei einer Corona-Schutzimpfung ein solcher Fall vor.
Anmerkung:
Das Bundesverfassungsgericht macht mit der Entscheidung nochmals deutlich, dass rechtliche Betreuer - seien sie ehrenamtlich tätig oder Berufsbetreuer - den Willen oder mutmaßlichen Willen der Betreuten umzusetzen haben und kein Recht dazu haben, ihre eigene Überzeugung an die Stelle des (mutmaßlichen) Willens der Betreuten zu setzen.
Anspruch auf häusliche Krankenpflege in Form des An- und Ausziehens von Kompressionsstrümpfen der Klasse II im betreuten Einzelwohnen.
(LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 24.06.2021, L 14 KR 95/19)
Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hatte darüber zu entscheiden, ob die Krankenkasse der Betroffenen die Kosten für den Pflegedienst zu übernehmen hat, der Behandlungspflegeleistungen in Form des An- und Ausziehens von Kompressionsstrümpfen der Klasse II erbracht hatte.
Die betroffene Klägerin lebt im betreuten Einzelwohnen. Im Vertrag mit dem Leistungserbringer war die Erbringung von Pflegeleistungen jeder Art ausgeschlossen. In den Jahren 2016 bis 2018 benötigte die Betroffene mehrfach Behandlungspflegeleistungen in Form des An- und Ausziehens von Kompressionsstrümpfen der Klasse II. Vom Sozialamt wurde eine Übernahme der Kosten für die Beauftragung des Pflegedienstes abgelehnt. Die Betreute erhielt lediglich Eingliederungshilfeleistungen im Umfang von 6,5 Stunden pro Woche. Die Krankenkasse lehnte die Kostenübernahme ab, da aus ihrer Sicht der Leistungserbringer der Eingliederungshilfe die Behandlungspflege zu erbringen hatte.
Das Sozialgericht Berlin verurteilte die Krankenkasse zur Zahlung. Die hiergegen erhobene Berufung wies das LSG zurück. Das Gericht stellt hierbei noch einmal klar, dass Versicherte in betreuten Wohnformen bereits nach dem Gesetzeswortlaut Anspruch auf häusliche Krankenpflege haben und dass dies nur anders ist, wenn sie bereits gegen den Leistungserbringer einen Anspruch auf Erbringung entsprechender Leistungen haben. Aus Sicht des Gerichts ist die betreute Wohnform der Klägerin nicht mit einer stationären Einrichtung gleichzusetzen, in der Leistungen der einfachsten Behandlungspflege nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom Leistungserbringer zu erbringen sind. Die bestandskräftigen Bescheide des Sozialamts über den Umfang der Eingliederungshilfeleistungen binden das Gericht in seiner Entscheidung. Damit kann aus Sicht des LSG die Frage offen bleiben, ob der Leistungsträger der Eingliederungshilfe eine höhere Stundenzahl hätte bewilligen müssen, um so die Krankenkasse von Kosten der häuslichen Krankenpflege freizuhalten.
Anmerkung:
Das LSG hat noch einmal klargestellt, dass ambulante Leistungen der Eingliederungshilfe nicht mit Leistungen in der besonderen Wohnform gleichzusetzen sind. Letztlich kommt es auf den Umfang der bewilligten Eingliederungshilfeleistungen an. Soweit diese so umfänglich sind, dass hiervon auch Leistungen der einfachsten Behandlungspflege erbracht werden können, sind diese wohl auch im Rahmen der Assistenzleistungen zu erbringen.
Ausdrücklich offen lässt das LSG, ob das An- und Ausziehens von Kompressionsstrümpfen der Klasse II überhaupt zu einfachsten Behandlungspflegeleistungen zählt.
Neues aus der Gesetzgebung
Das reformierte Wohnteilhabegesetz Berlin tritt in Kraft.
Am 01.12.2021 ist das geänderte Wohnteilhabegesetz (WTG) Berlin in Kraft getreten. Im Folgenden wird eine Zusammenfassung der für die Leistungserbringer wesentlichen Änderungen dargestellt:
- Eine besondere Wohnform ist gegeben, wenn mindestens 10 Bewohner:innen in einer Einrichtung wohnen und dort Pflege- und Betreuungsleistungen erhalten (§ 4 WTG Berlin). In einer betreuten Wohngemeinschaft dürfen maximal 9 Nutzer:innen leben (§ 7 WTG Berlin). Größere Wohngemeinschaften, die am 01.01.2020 bereits bestanden, haben Bestandsschutz (§ 40 Abs. 5 WTG Berlin).
- Die Transparenzverpflichtungen werden erweitert. Bewohner:innen und Nutzer:innen sind vor Vertragsschluss auf Beratungsmöglichkeiten und externe Beschwerdestellen hinzuweisen. Ihnen ist vor Einzug die Konzeption zur Verfügung zu stellen. Ferner sind die Ergebnisse der letzten Zufriedenheitsbefragung in anonymisierter Form auszuhändigen (§ 10 WTG Berlin).
- Die Beteiligungsrechte der Bewohner:innen und Nutzer:innen werden erweitert. Sie haben ein Mitbestimmungsrecht an der Hilfeplanung und ein Mitwirkungsrecht bei der Belegung des Doppelzimmers. Erstmals wird das Hausrecht der Bewohner:innen und Nutzer:innen am persönlichen Wohnraum geregelt. Ferner wird das Recht auf individuelle Möblierung normiert, das allerdings u.a. durch pflegerische oder betreuungsbedingte Gründe eingeschränkt werden kann (§ 11 WTG Berlin).
- Allen Bewohner:innen und Nutzer:innen ist im Rahmen des Beschwerdemanagements eine konkrete Anlaufstelle für Beschwerden zu benennen. Hinsichtlich der Zufriedenheitsbefragungen alle zwei Jahre stellt der Gesetzgeber klar, dass die Teilnahme daran freiwillig ist. Befragungen sind nur noch verwertbar, wenn vorherige Zustimmungen eingeholt wurden bzw. bestimmte Mindestquoren an Teilnehmer:innen erreicht wurden. Die Peerbefragung wird verpflichtend eingeführt. Ausgenommen sind lediglich Leistungsanbieter für Menschen mit seelischer Behinderung. Die Personen, die die Befragung durchführen, dürfen nicht bei dem Leistungsanbieter beschäftigt sein. Wohnen bei dem Leistungsanbieter nur Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen, die keine Willensäußerungen im Rahmen der Befragung tätigen können, kann von der Zufriedenheitsbefragung abgesehen werden (§ 12 WTG Berlin).
- Bewohnervertretungen in der besonderen Wohnform sollen regelmäßige Fortbildungsmöglichkeiten erhalten (§ 13 WTG Berlin).
- In Wohngemeinschaften wird die Wohngemeinschaftsvertretung neu eingeführt. 2 Nutzer:innen sollen diese bilden. Soweit das nicht möglich ist, kann die Vertretung auch von anderen Personen wie Angehörigen oder ehrenamtlich Tätigen übernommen werden. Das Nähere zur Bildung der Wohngemeinschaftsvertretung und deren Aufgaben regelt § 15 WTG Berlin.
- § 17 WTG Berlin trifft Regelungen zu den Mindestinhalten der Konzeption der Leistungsanbieter. Ferner ist hiernach zukünftig vor der Durchführung von freiheitsentziehenden Maßnahmen zu prüfen, ob es Möglichkeiten gibt, diese zu vermeiden.
- In § 19 Absatz 3 WTG wird für besondere Wohnformen ein umfänglicher Katalog an sog. besonderen Vorkommnissen aufgenommen, die gegenüber der Heimaufsicht anzeigepflichtig sind.
- Die Aufzeichnungspflichten der besonderen Wohnform werden auf die Wohngemeinschaften übertragen. Für alle Leistungsanbieter kommen Aufzeichnungspflichten hinzu, soweit Maßnahmen zum Schutz vor Missbrauch, Ausbeutung, körperlicher, seelischer und sexualisierter Gewalt und Diskriminierung durchgeführt werden sowie etwaige Vorkommnisse in den genannten Bereichen (§ 22 WTG Berlin).
Impfpflicht für Beschäftigte in der Behindertenhilfe.
Bis zum 15.03.2022 müssen Beschäftigte in der Behindertenhilfe gegenüber dem Arbeitgeber nachweisen, dass sie die vollständige Corona-Schutzimpfung erhalten haben.
Gemäß § 20a Absatz 1 Nr. 2 und Nr. 3 betrifft dies u.a. die folgenden Leistungserbringer:
- besondere Wohnformen
- Werkstätten für behinderte Menschen
- andere Leistungsanbieter nach § 60 SGB IX
- Tagesförderstätten und vergleichbare tagesstrukturierende Angebote
- Voll- und teilstationäre Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe
- ambulant betreute Wohngemeinschaften der Behindertenhilfe
- ambulante Anbieter von Assistenzleistungen
- Frühfördereinrichtungen
- Beförderungsdienste
Bei den jeweiligen Leistungserbringern sind sämtliche Beschäftigte (auch Auszubildende, Praktikanten, Bundesfrewilligendienst Leistende, Honorarkräfte, Leiharbeitnehmer etc.) von der Impfpflicht erfasst. Sämtliche betroffene Personengruppen haben einen Impfnachweis, einen Genesenennachweis oder ein ärztliches Zeugnis über eine Kontraindikation, aufgrund derer sie keine Corona-Schutzimpfung erhalten dürfen, vorzulegen. Verstöße gegen die Nachweispflicht sind unter Offenlegung der Daten der betroffenen Personen unverzüglich nach dem 15.03.2022 durch den Arbeitgeber an das zuständige Gesundheitsamt zu melden.
Weitere Informationen über uns finden Sie auf www.vandrey-hoofe.de
Wir wünschen Ihrer Familie und Ihnen besinnliche Weihnachtstage und einen guten Start ins Jahr 2022!
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