Neues aus der Rechtsprechung
Ein Pflegeheimbetreiber darf Dritte nicht mit einer "Beitrittserklärung" zur Übernahme der Kosten des Pflegegastes verpflichten.
(Urteil des BGH vom 21.05.2015, III ZR 263/14)
Ein
Verbraucherverband klagte gegen einen Pflegeheimbetreiber, der als
Anlage zum "Heimvertrag Kurzzeit- und Verhinderungspflege" die folgende
Beitrittserklärung beifügte: "Der Beitretende verpflichtet sich
gegenüber dem Träger, selbständig und neben dem Pflegegast für die
Verpflichtungen des Pflegegastes (z.B. Zahlungen) aus dem oben genannten
Vertrag sowie für alle weiteren Verpflichtungen des Pflegegastes
gegenüber dem Träger aufzukommen. Der Träger kann die Erfüllung seiner
Ansprüche sowohl vom Pflegegast als auch vom Beitretenden verlangen."
Aus Sicht des Bundesgerichtshofs (BGH) war die
Beitrittserklärung, die dem Heimvertrag als Anlage beigefügt war,
zunächst als Teil des gesamten Vertragswerks zu verstehen. Ein
potentieller Pflegegast könne so vor Vertragsunterzeichnung den Eindruck
gewinnen, dass der gesamte Vertrag von der Unterzeichnung der
Beitrittserklärung abhängt. Nur wenn der Pflegeheimbetreiber mit
Übergabe des Heimvertrags deutlich darauf hinweise, dass dies nicht der
Fall ist, könnte eine solche Beitrittserklärung ggf. wirksam sein.
Nach Auffassung des BGH ist eine solche
Beitrittserklärung als Sicherheitsleistung i.S.d. § 14 WBVG unzulässig.
In den Schutzbereich des Gesetzes seien auch dritte Personen
einzubeziehen, die für den Pflegegast oder in seinem Interesse handeln.
Das Verlangen einer Sicherheitsleistung in Form der Beitrittserklärung
durch Dritte hält der BGH für rechtswidrig. Das Gericht sprach dem
klagenden Verbraucherverband einen Unterlassungsanspruch gegen den
Pflegeheimbetreiber zu. Dieser darf die Beitrittserklärung in
Zukunft nicht mehr verwenden.
Hinweis:
Allein mit dem Pflegegast darf eine
Zahlungsverpflichtung hinsichtlich Heimkosten und Zusatzleistungen im
Heimvertrag vereinbart werden. Weder dürfen Dritte im Wege einer
Beitrittserklärung verpflichtet werden, noch darf im Heimvertrag selbst
eine Zahlungspflicht Dritter (häufig des gesetzlichen Betreuers oder
Vorsorgebevollmächtigten) vereinbart werden. Eine entsprechende Klausel
ist ebenso wie eine Beitrittserklärung unwirksam.
(Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 07.10.2014, 5 W 37/14)
Das
Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) hatte über die
Wirksamkeit der Kündigung eines Wohn- und Betreuungsvertrags und den
Wiedereinzug des Bewohners zu entscheiden, der aus der Psychiatrie in
die Einrichtung entlassen werden sollte.
Im Jahr 2013 war zwischen der
Behindertenhilfeeinrichtung und dem Betroffenen ein Wohn- und
Betreuungsvertrag geschlossen worden. Bereits bei Einzug war bekannt,
dass bei ihm eine geistige Behinderung sowie eine psychische Erkrankung
mit erheblichen Aggressionen und Verhaltensauffälligkeiten besteht.
Während des Aufenthalts in der Einrichtung griff der Bewohner wiederholt
Mitbewohner sowie das Personal an. Im Mai 2014 wurde er in die
Psychiatrie eingewiesen. Zugleich sprach die Einrichtung die fristlose
Kündigung des Wohn- und Betreuungsvertrags wegen schuldhafter
Vertragsverletzungen des Bewohners aus.
Einige Monate verhandelten die gesetzlichen Betreuer
mit der Einrichtung über eine alternative Unterbringung. Als dies
scheiterte, beantragten sie eine einstweilige Anordnung zur
Wiederaufnahme des Bewohners in die Einrichtung.
Das OLG gab der einstweiligen Anordnung statt. Es
erklärte die fristlose Kündigung durch die Einrichtung für unwirksam, da
diese den Wohn- und Betreuungsvertrag mit einem schuldunfähigen
Bewohner nicht aufgrund "schuldhafter Vertragsverletzung" kündigen
durfte. Aus Sicht des Gerichtes war der Einrichtung auch schon bei
Aufnahme des Bewohners bekannt, dass dieser unter erheblichen
Verhaltensauffälligkeiten leidet. Ferner wurde durch den Kostenträger
eine zusätzliche Fachkraft zum Ausgleich des besonderen
behinderungsbedingten Mehrbedarfs des Bewohners bewilligt. Dies alles
verpflichte die Einrichtung zur Wiederaufnahme des Bewohners.
Anmerkung:
Dieser Beschluss des Schleswig-Holsteinischen OLG
verdeutlicht, dass der Abschluss einer wirksamen Vereinbarung zum
Ausschluss der Vertragsanpassung gemäß § 8 Abs. 4 WBVG mit den Bewohnern
wichtig ist. Ferner ist es erforderlich, den Kreis der Personen, die in
die Einrichtung aufgenommen werden können, sehr genau in der Konzeption
zu definieren und auch hier die wortgleichen Ausschlussgründe
aufzunehmen. Eine Kündigung schuldunfähiger Bewohner sollte keinesfalls
wegen "schuldhafter Vertragsverletzung" erfolgen.
(Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10.06.2015, 2 BvR 1967/12)
Das Bundesverfassungsgericht hatte darüber zu
entscheiden, ob eine Anwendung des § 1906 Abs. 5 BGB die Betroffene in
ihren Grundrechten verletzt. Hiernach hat auch ein
Vorsorgebevollmächtigter die Genehmigung der Anordnung einer
freiheitsentziehenden Maßnahme durch das Betreuungsgericht zu
beantragten.
Die Beschwerdeführerin lebt in einem Pflegeheim. Sie
erhält Leistungen der Pflegestufe III. Sie hatte ihrem Sohn eine
General- und Vorsorgevollmacht erteilt, die ihn auch zur Anordnung
freiheitsentziehender Maßnahmen nach § 1906 BGB berechtigt. Aus Sicht
der Betroffenen hat sie durch diese rechtsgeschäftliche Erklärung in
Form der Vorsorgevollmacht entschieden, dass über den Freiheitsentzug
allein ihr Sohn zu entscheiden hat und sie durch die gerichtliche
Genehmigungspflicht in ihrem Selbstbestimmungsrecht aus Artikel 2 Abs. 1
i.V.m. Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz verletzt wird.
Dieser Rechtsauffassung erteilte das
Bundesverfassungsgericht eine klare Absage. Das Gericht sieht zwar in
dem betreuungsgerichtlichen Genehmigungsvorbehalt hinsichtlich einer
freiheitsentziehenden Maßnahme einen Eingriff in das
Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen, allerdings sei dieser
Grundrechtseingriff durch die Wahrnehmung staatlicher Schutzpflichten
gerechtfertigt. Auch diese staatlichen Schutzpflichten ergeben sich aus
Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz. Die Regelung des § 1906
Abs. 5 BGB stelle eine Umsetzung der staatlichen Schutzpflichten dar.
Eine nicht mehr einwilligungsfähige Person könne die Anordnung eines
Freiheitsentzugs als bedrohlich empfinden. Hierfür mache es keinen
Unterschied, ob der gesetzliche Betreuer oder der
Vorsorgebevollmächtigte die Maßnahme angeordnet hat. Es entspreche daher
der Wahrnehmung staatlicher Schutzpflichten, wenn der Gesetzgeber die
Maßnahme unter den Genehmigungsvorbehalt des § 1906 Abs. 5 BGB stellt.
Anmerkung:
Ordnet ein gesetzlicher Betreuer oder ein
Vorsorgebevollmächtigter eine freiheitsentziehende Unterbringung nach §
1906 Abs. 1 BGB oder eine freiheitsentziehende unterbringungsähnliche
Maßnahme nach § 1906 Abs. 4 BGB an, so bedarf die angeordnete Maßnahme
immer der Genehmigung durch das zuständige Betreuungsgericht. Wird eine
entsprechende Genehmigung nicht vom gesetzlichen Betreuer oder
Vorsorgebevollmächtigten beantragt, darf die freiheitsentziehende
Maßnahme nicht durchgeführt werden. Die Einrichtung sollte sich dann
selbst an das Betreuungsgericht hinsichtlich der Genehmigung der
Maßnahme wenden.
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Foto © Joe Miletzki (Bundesgerichtshof), Schleswig-Holsteinisches OLG