Oktober 2015

Neues aus der Rechtsprechung

Ein Pflegeheimbetreiber darf Dritte nicht mit einer "Beitrittserklärung" zur Übernahme der Kosten des Pflegegastes verpflichten.

(Urteil des BGH vom 21.05.2015, III ZR 263/14)

Ein Verbraucherverband klagte gegen einen Pflegeheimbetreiber, der als Anlage zum "Heimvertrag Kurzzeit- und Verhinderungspflege" die folgende Beitrittserklärung beifügte: "Der Beitretende verpflichtet sich gegenüber dem Träger, selbständig und neben dem Pflegegast für die Verpflichtungen des Pflegegastes (z.B. Zahlungen) aus dem oben genannten Vertrag sowie für alle weiteren Verpflichtungen des Pflegegastes gegenüber dem Träger aufzukommen. Der Träger kann die Erfüllung seiner Ansprüche sowohl vom Pflegegast als auch vom Beitretenden verlangen."

Aus Sicht des Bundesgerichtshofs (BGH) war die Beitrittserklärung, die dem Heimvertrag als Anlage beigefügt war, zunächst als Teil des gesamten Vertragswerks zu verstehen. Ein potentieller Pflegegast könne so vor Vertragsunterzeichnung den Eindruck gewinnen, dass der gesamte Vertrag von der Unterzeichnung der Beitrittserklärung abhängt. Nur wenn der Pflegeheimbetreiber mit Übergabe des Heimvertrags deutlich darauf hinweise, dass dies nicht der Fall ist, könnte eine solche Beitrittserklärung ggf. wirksam sein.

Nach Auffassung des BGH ist eine solche Beitrittserklärung als Sicherheitsleistung i.S.d. § 14 WBVG unzulässig. In den Schutzbereich des Gesetzes seien auch dritte Personen einzubeziehen, die für den Pflegegast oder in seinem Interesse handeln. Das Verlangen einer Sicherheitsleistung in Form der Beitrittserklärung durch Dritte hält der BGH für rechtswidrig. Das Gericht sprach dem klagenden Verbraucherverband einen Unterlassungsanspruch gegen den Pflegeheimbetreiber zu. Dieser darf die  Beitrittserklärung in Zukunft nicht mehr verwenden.

Hinweis:

Allein mit dem Pflegegast darf eine Zahlungsverpflichtung hinsichtlich Heimkosten und Zusatzleistungen im Heimvertrag vereinbart werden. Weder dürfen Dritte im Wege einer Beitrittserklärung verpflichtet werden, noch darf im Heimvertrag selbst eine Zahlungspflicht Dritter (häufig des gesetzlichen Betreuers oder Vorsorgebevollmächtigten) vereinbart werden. Eine entsprechende Klausel ist ebenso wie eine Beitrittserklärung unwirksam.


Bei Schuldunfähigkeit kann der Heimvertrag nicht wegen "schuldhafter Vertragsverletzung" gekündigt werden.

(Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 07.10.2014, 5 W 37/14)

Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) hatte über die Wirksamkeit der Kündigung eines Wohn- und Betreuungsvertrags und den Wiedereinzug des Bewohners zu entscheiden, der aus der Psychiatrie in die Einrichtung entlassen werden sollte.

Im Jahr 2013 war zwischen der Behindertenhilfeeinrichtung und dem Betroffenen ein Wohn- und Betreuungsvertrag geschlossen worden. Bereits bei Einzug war bekannt, dass bei ihm eine geistige Behinderung sowie eine psychische Erkrankung mit erheblichen Aggressionen und Verhaltensauffälligkeiten besteht. Während des Aufenthalts in der Einrichtung griff der Bewohner wiederholt Mitbewohner sowie das Personal an. Im Mai 2014 wurde er in die Psychiatrie eingewiesen. Zugleich sprach die Einrichtung die fristlose Kündigung des Wohn- und Betreuungsvertrags wegen schuldhafter Vertragsverletzungen des Bewohners aus.

Einige Monate verhandelten die gesetzlichen Betreuer mit der Einrichtung über eine alternative Unterbringung. Als dies scheiterte, beantragten sie eine einstweilige Anordnung zur Wiederaufnahme des Bewohners in die Einrichtung.

Das OLG gab der einstweiligen Anordnung statt. Es erklärte die fristlose Kündigung durch die Einrichtung für unwirksam, da diese den Wohn- und Betreuungsvertrag mit einem schuldunfähigen Bewohner nicht aufgrund "schuldhafter Vertragsverletzung" kündigen durfte. Aus Sicht des Gerichtes war der Einrichtung auch schon bei Aufnahme des Bewohners bekannt, dass dieser unter erheblichen Verhaltensauffälligkeiten leidet. Ferner wurde durch den Kostenträger eine zusätzliche Fachkraft zum Ausgleich des besonderen behinderungsbedingten Mehrbedarfs des Bewohners bewilligt. Dies alles verpflichte die Einrichtung zur Wiederaufnahme des Bewohners.

Anmerkung:

Dieser Beschluss des Schleswig-Holsteinischen OLG verdeutlicht, dass der Abschluss einer wirksamen Vereinbarung zum Ausschluss der Vertragsanpassung gemäß § 8 Abs. 4 WBVG mit den Bewohnern wichtig ist. Ferner ist es erforderlich, den Kreis der Personen, die in die Einrichtung aufgenommen werden können, sehr genau in der Konzeption zu definieren und auch hier die wortgleichen Ausschlussgründe aufzunehmen. Eine Kündigung schuldunfähiger Bewohner sollte keinesfalls wegen "schuldhafter Vertragsverletzung" erfolgen.


Auch die Anordnung freiheitsentziehender Maßnahmen durch einen Vorsorgebevollmächtigten bedarf der Genehmigung durch das Betreuungsgericht.

(Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10.06.2015, 2 BvR 1967/12)

Das Bundesverfassungsgericht hatte darüber zu entscheiden, ob eine Anwendung des § 1906 Abs. 5 BGB die Betroffene in ihren Grundrechten verletzt. Hiernach hat auch ein Vorsorgebevollmächtigter die Genehmigung der Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßnahme durch das Betreuungsgericht zu beantragten.

Die Beschwerdeführerin lebt in einem Pflegeheim. Sie erhält Leistungen der Pflegestufe III. Sie hatte ihrem Sohn eine General- und Vorsorgevollmacht erteilt, die ihn auch zur Anordnung freiheitsentziehender Maßnahmen nach § 1906 BGB berechtigt. Aus Sicht der Betroffenen hat sie durch diese rechtsgeschäftliche Erklärung in Form der Vorsorgevollmacht entschieden, dass über den Freiheitsentzug allein ihr Sohn zu entscheiden hat und sie durch die gerichtliche Genehmigungspflicht in ihrem Selbstbestimmungsrecht aus Artikel 2 Abs. 1 i.V.m. Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz verletzt wird.

Dieser Rechtsauffassung erteilte das Bundesverfassungsgericht eine klare Absage. Das Gericht sieht zwar in dem betreuungsgerichtlichen Genehmigungsvorbehalt hinsichtlich einer freiheitsentziehenden Maßnahme einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen, allerdings sei dieser Grundrechtseingriff durch die Wahrnehmung staatlicher Schutzpflichten gerechtfertigt. Auch diese staatlichen Schutzpflichten ergeben sich aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz. Die Regelung des § 1906 Abs. 5 BGB stelle eine Umsetzung der staatlichen Schutzpflichten dar. Eine nicht mehr einwilligungsfähige Person könne die Anordnung eines Freiheitsentzugs als bedrohlich empfinden. Hierfür mache es keinen Unterschied, ob der gesetzliche Betreuer oder der Vorsorgebevollmächtigte die Maßnahme angeordnet hat. Es entspreche daher der Wahrnehmung staatlicher Schutzpflichten, wenn der Gesetzgeber die Maßnahme unter den Genehmigungsvorbehalt des § 1906 Abs. 5 BGB stellt.

Anmerkung:

Ordnet ein gesetzlicher Betreuer oder ein Vorsorgebevollmächtigter eine freiheitsentziehende Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB oder eine freiheitsentziehende unterbringungsähnliche Maßnahme nach § 1906 Abs. 4 BGB an, so bedarf die angeordnete Maßnahme immer der Genehmigung durch das zuständige Betreuungsgericht. Wird eine entsprechende Genehmigung nicht vom gesetzlichen Betreuer oder Vorsorgebevollmächtigten beantragt, darf die freiheitsentziehende Maßnahme nicht durchgeführt werden. Die Einrichtung sollte sich dann selbst an das Betreuungsgericht hinsichtlich der Genehmigung der Maßnahme wenden.


Hinweis in eigener Sache

Wir möchten Sie einladen, unsere neu gestaltete Webseite unter www.vandrey-hoofe.de zu besuchen. 

Hier finden Sie in der Rubrik Rechtsgebiete eine detaillierte Übersicht unseres Leistungsspektrums. Im Ratgeber werden Fragen zu wechselnden Spezialthemen beantwortet. Bei Veranstaltungen können Sie sich zu unseren aktuellen Terminen und unserem Seminar- und Vortragsangebot informieren. Und in der Rubrik Newsletter finden Sie unsere aktuellen Newsletter und unser Newsletterarchiv.

Sie erreichen uns jederzeit auch mobil über das Smartphone, Tablet oder iphone.


Foto © Joe Miletzki (Bundesgerichtshof), Schleswig-Holsteinisches OLG


Impressum:

Christine Vandrey & Barbara Hoofe
Rechtsanwältinnen in Partnerschaft
Kaiserdamm 88
14057 Berlin
E-Mail: info@vandrey-hoofe.de
Internet: www.vandrey-hoofe.de