Neues aus der Rechtsprechung
Die Ausübung des Hausrechts steht jedem einzelnen Bewohner zu.
(Beschluss des KG Berlin vom 01.02.2016, 3 Ws [B] 29/16)
Das Kammergericht (KG) Berlin hatte über die
Beschwerde eines Pflegedienstes in einer Ordnungswidrigkeitensache nach
dem Wohnteilhabegesetz (WTG) Berlin zu entscheiden.
Der Pflegedienst betreibt eine ambulante Pflege-WG
mit 11 Bewohnerinnen und Bewohnern. Die Heimaufsicht hatte sich zu einer
Begehung u.a. der Gemeinschaftsräume der WG angekündigt. Hierauf
stimmten acht Bewohner teilweise durch ihre gesetzlichen Betreuer der
Begehung zu, zwei äußerten sich nicht und eine Bewohnerin lehnte die
Begehung durch die Heimaufsicht ab. Der Pflegedienst verweigerte
daraufhin der Mitarbeiterin der Heimaufsicht den Zugang zu den
Räumlichkeiten der Pflege-WG. Die Heimaufsicht erlies gemäß § 31 Absatz 2
Nr. 2 WTG Berlin einen Bußgeldbescheid gegen den Pflegedienst.
Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte den
Pflegedienst wegen einer Ordnungswidrigkeit wegen Vereitelung der
anlassbezogenen Prüfung der WG durch die Heimaufsicht. Die hiergegen
eingelegte Beschwerde wurde durch das Kammergericht Berlin
zurückgewiesen.
Das Kammergericht stellte klar, dass alle
Mitbewohnerinnen und Mitbewohner einer Einrichtung das Hausrecht
gleichrangig ausüben dürfen. Eine Zustimmung aller zum Betreten der
Gemeinschaftsräume sei nicht erforderlich, vielmehr könne ein
Mitbewohner allein entscheiden, wem er den Zutritt zu den
Gemeinschaftsräumen ermöglicht. Die anderen Mitbewohnerinnen und
Mitbewohner haben dagegen grundsätzlich kein Widerspruchsrecht. Als
Grenze sei aber zu beachten, ob der Aufenthalt der dritten Person den
anderen Bewohnerinnen und Bewohnern unzumutbar ist.
Aus Sicht des Gerichtes war der Einlass der
Heimaufsicht auch der Bewohnerin zumutbar, die den Zugang verweitert
hatte. Die Heimaufsichtsbegehung diene dem Schutz aller Bewohner und sei
daher allen zumutbar gewesen. Die Verweigerung der Zustimmung wertete
das Gericht als willkürliche Beschränkung der Freiheitsrechte der
anderen Bewohner der WG und damit als offensichtlich treu- und
rechtswidrig.
Anmerkung:
Jede Bewohnerin und jeder Bewohner kann das Betreten
des eigenen Zimmers auch durch die Heimaufsicht verweigern (Ausnahme:
Gefahr im Verzug). Allerdings ist die Verweigerung des Zugangs Dritter
zu den Gemeinschaftsräumen nur dann möglich, wenn dies einzelnen oder
allen Mitbewohnern unzumutbar ist. Die Grenze der Unzumutbarkeit ist
überschritten, wenn der Schutz der Privatspäre der Mitbewohner vor
störenden Dritten im Rahmen einer Interessenabwägung höher wiegt, als
der Wunsch eines Einzelnen, privaten Besuch zu empfangen.
(Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen vom 03.11.2015, L 20 SO 388/15 B ER)
Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen
hatte darüber zu entscheiden, ob nach Versterben der Heimbewohnerin ihr
Ehemann als Sonderrechtsnachfolger bzw. Erbe einen Eilantrag gegen das
Sozialamt auf Übernahme offener Heimkosten i.H.v. rund 31.000,- €
weiterführen durfte.
Die Bewohnerin stellte im Juli 2015 einen Eilantrag
auf Übernahme der offenen Heimkosten vor dem Sozialgericht Düsseldorf.
Das Gericht wies den Eilantrag mit der Begründung ab, dass keine
Eilbedürftigkeit vorliege, nachdem die beigeladene Pflegeeinrichtung im
Verfahren erklärte, dass sie nicht beabsichtige, den Heimvertrag trotz
der Zahlungsrückstände zu kündigen.
Hiergegen legte die Bewohnerin Beschwerde vor dem
LSG ein. Im Verlaufe des Beschwerdeverfahrens verstarb sie. Ihr Ehemann,
der sie zuvor im Prozess vertreten hatte, erklärte sich zum sog.
Sonderrechtsnachfolger seiner verstorbenen Frau und führte das Verfahren
fort.
Das LSG wies die Beschwerde ab. Es stellte klar,
dass der Ehemann weder als Sonderrechtsnachfolger nach § 56 SGB I noch
als Erbe nach § 58 SGB I einen eigenen Anspruch auf Übernahme der
Heimkosten seiner verstorbenen Ehefrau geltend machen konnte. Der
Sozialhilfeanspruch gehe regelmäßig mit dem Versterben des
Antragstellers selbst unter, da mit dessen Tod die Notlage wegfalle, die
zur Bewilligung des Anspruchs auf Sozialhilfe erforderlich ist. Allein
die Pflegeeinrichtung habe gemäß § 19 Absatz 6 SGB XII einen Anspruch
auf Geltendmachung der offenen Heimkosten gegenüber dem Sozialamt, da
hier ein spezieller Fall der Sonderrechtsnachfolge einer stationären
Einrichtung für die verstorbene Bewohnerin gegenüber dem Sozialamt
gesetzlich normiert ist.
Hinweis:
Soll ein Anspruch auf Sozialhilfe durch den Bewohner
im Eilverfahren vor dem Sozialgericht erfolgreich durchgesetzt werden,
so ist eine zwingende Voraussetzung dafür die sog. Eilbedürftigkeit der
Entscheidung des Gerichts. Eilbedürftigkeit ist dann gegeben, wenn der
Heimvertrag durch das Pflegeheim wegen Zahlungsrückständen gemäß § 12
Absatz 1 Satz 3 Nr. 4 a) oder b) Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz
(WBVG) gekündigt wurde, da dann Obdachlosigkeit des Bewohners droht.
Zu § 19 Absatz 6 SGB XII lesen Sie bitte den nachfolgenden Praxistipp.
Durchsetzen offenen Heimkosten nach Versterben des Bewohners gegenüber dem Sozialamt
§ 19 Absatz 6 SGB XII trifft die folgende Regelung:
Hatte ein Sozialhilfeempfänger vor seinem Tod Anspruch auf Sozialhilfe
in einer stationären Pflegeeinrichtung, so geht dieser Anspruch nach
seinem Tod auf die stationäre Einrichtung über, die die Pflegeleistung
erbracht hatte.
Für die erfolgreiche Durchsetzung dieses Anspruchs sind die folgenden Punkte zu beachten:
- Der
Hilfebedarf des Bewohners muss beim Sozialamt vor dessen Versterben
bekannt gewesen sein. Sollte ein (möglicher) Hilfebedarf bei Einzug
erkennbar sein, so ist es ratsam, dass die Einrichtung eine formlose
schriftliche Mitteilung an das Sozialamt schickt und über den
(möglichen) Hilfebedarf informiert.
- Hat das Sozialamt bereits
über die Sozialhilfe durch Bescheid entschieden und besteht mit der
Entscheidung kein Einverständnis seitens des Bewohners und der
Einrichtung, ist dringend darauf zu achten, dass fristwahrend
Rechtsmittel (Widerspruch oder Klage) eingelegt werden. Ein
bestandskräftiger (Widerspruchs-)Bescheid kann nach Versterben des
Betroffenen nicht mehr überprüft werden. Zu Lebzeiten des Bewohners ist
ein solcher bestandskräftiger Bescheid hingegen aufgrund eines sog.
Nachprüfungsantrags auch nach Versäumen der Rechtsmittelfrist
überprüfbar.
- Läuft zum Zeitpunkt des Versterbens des
Betroffenen ein Antrags-, Widerspruchs- oder Klageverfahren, so muss die
Pflegeeinrichtung gegenüber dem Sozialamt bzw. dem Sozialgericht
mitteilen, dass der Antragsteller verstorben ist und dass sie gemäß § 19
Abs. 6 SGB XII Sonderrechtsnachfolgerin hinsichtlich des Anspruchs
geworden ist.
Das LSG Baden-Württemberg
hatte im Jahr 2013 entschieden, dass ambulante Pflegedienste keine
"Einrichtungen" im Sinne des § 19 Abs. 6 SGB XII darstellen (Urteil vom
28.02.2013, L 7 SO 5130/09).