Neues aus der Rechtsprechung
Eine ärztliche Zwangsbehandlung muss ausnahmsweise auch bei immobilen Personen möglich sein.
(Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26.07.2016, 1 BvL 8/15)
Das Bundesverfassungsgericht hatte auf Vorlage durch
den Bundesgerichtshof (BGH) darüber zu entscheiden, ob § 1906 Absatz 3
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gegen das Grundgesetz verstößt, weil
hiernach nur eine Zwangsbehandlung verbunden mit einer zwangsweisen
Unterbringung möglich ist.
Die Betroffene war psychisch erkrankt und stand
unter gesetzlicher Betreuung u.a. hinsichtlich der Aufgabenkreise
"Gesundheitssorge" und "Aufenthaltsbestimmung". Sie war aufgrund einer
Autoimmunerkrankung und eines diagnostizierten Mammakarzinoms stark
geschwächt und immobil. Hinsichtlich ihrer Behandlung konnte sie einen
natürlichen Willen bilden und verweigerte die Behandlung der
Krebserkrankung. Das zuständige Amtsgericht und Landgericht verweigerten
die Genehmigung zur Zwangsbehandlung mit zwangsweiser Unterbringung, da
die Betroffene auch in der Klinik, in der sie sich aufhielt, wegen der
Krebserkrankung behandelt werden konnte.
Der BGH legte die Sache dem Bundesverfassungsgericht
vor mit der Frage, ob eine Zwangsbehandlung nur mit zwangsweiser
Unterbringung verfassungskonform sei. Die Betroffene verstarb während
des Verfahrens. Das Bundesverfassungsgericht entschied die Angelegenheit
trotzdem wegen der hohen Bedeutung der Rechtsfrage.
Das Gericht entschied, dass § 1906 Absatz 3 BGB in
seiner derzeitigen Fassung nicht verfassungskonform ist. Es forderte den
Gesetzgeber auf, die Regelungen dahingehend zu ergänzen, dass bei
immobilen gesetzlich Betreuten, die eine lebenswichtige Behandlung
verweigerten, diese unter Beachtung der weiteren gesetzlichen
Voraussetzung auch ohne zwangsweise Unterbringung als Zwangsbehandlung
durchgeführt werden kann.
Es ist ständige Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts, dass das Recht auf körperliche Unversehrtheit
nach Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz (GG) nicht nur ein subjektives
Abwehrrecht des Einzelnen beinhaltet, sondern auch eine staatliche
Schutzpflicht begründet. Hiernach müssen bspw. Polizisten eine
suizidgefährdete Person an der Ausführung des Suizids hindern, wenn sie
die Möglichkeit dazu haben. Auch ein unter Betreuung stehender, nicht
einsichtsfähiger Mensch unterfalle dieser staatlichen Schutzpflicht. Aus
Sicht des Gerichts überwiegt die staatliche Schutzpflicht bei hilflosen
Personen deren Selbstbestimmungsrecht, wenn mit der ärztlichen Maßnahme
keine besonderen Behandlungsrisiken einhergehen und es keine
Anhaltspunkte gibt, dass die Person auch ohne psychische
Beeinträchtigung diese Maßnahme abgelehnt hätte.
Anmerkung:
Bis der Gesetzgeber die vom Bundesverfassungsgericht
geforderte Anpassung des § 1906 Absatz 3 BGB vorgenommen hat, sind nun
die Betreuungsgerichte gehalten, bei immobilen Personen, die unter
gesetzlicher Betreuung stehen und eine lebensnotwendige Behandlung
verweigern, eine Zwangsbehandlung auch ohne zwangsweise Unterbringung zu
genehmigen, die bspw. im Pflegeheim durchgeführt werden kann.
(Urteil des BAG vom 02.11.2016, 10 AZR 596/15)
Das
Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte darüber zu entscheiden, ob eine
Pflegekraft während der Erkrankung bei der Arbeitgeberin zu einem
Personalgespräch zu erscheinen hatte, in dem seine weitere
Beschäftigungsmöglichkeiten besprochen werden sollten.
Die Pflegekraft war aufgrund eines Arbeitsunfalls
vorübergehend bis Ende 2013 als Dokumentationsassistent beschäftigt. In
dieser Tätigkeit war er von Dezember 2013 bis Februar 2014
arbeitsunfähig erkrankt. Am 06.01.2014 wurde er von der Arbeitgeberin zu
einem Gespräch geladen. Dieses sagte er ab mit Hinweis auf seine
Arbeitsunfähigkeit. Auch an dem neuen Termin, den die Arbeitgeberin für
den 11.02.2014 anberaumte, nahm der Pfleger unter Hinweis auf die
fortbestehende Arbeitsunfähigkeit nicht teil. Ein von der Arbeitgeberin
gefordertes ärztliches Attest, aus dem speziell hervorgehen sollte,
warum er an dem Gespräch nicht teilnehmen konnte, legte er nicht vor.
Daraufhin mahnte ihn die Arbeitgeberin ab. Gegen diese Abmahnung erhob
die Pflegekraft Klage vor dem Arbeitsgericht auf Entfernung aus der
Personalakte.
Die Arbeitgeberin unterlag vor dem
Bundesarbeitsgericht und musste die Abmahnung aus der Personalakte
entfernen. Das Gericht stellte klar, dass die Arbeitgeberin den
arbeitsunfähig erkrankten Mitarbeiter trotz ihres Direktionsrechts nicht
dazu verpflichten konnte, an einem Personalgespräch im Betrieb
teilzunehmen oder ein spezielles ärztliches Attest vorzulegen, das
belegen sollte, warum er während der Arbeitsunfähigkeit nicht zu einem
solchen Gespräch in der Lage war.
Aus Sicht des BAG dürfen Arbeitgeber auch während
der Erkrankung von Mitarbeitern mit diesen in Kontakt treten, soweit sie
hieran ein berechtigtes Interesse haben. Dies sei bspw. der Fall, wenn
die Einsatzmöglichkeiten des Mitarbeiters nach seiner Rückkehr unklar
seien. Der Betroffene habe aber das Recht, ein solches Gespräch aufgrund
der bestehenden Arbeitsunfähigkeit zu verweigern.
Das Pflegestärkungsgesetz III tritt zum 1. Januar 2017 in Kraft.
Der Bundesrat gab am 16.12.2016 grünes Licht für das
Inkrafttreten des PSG III. Bereits am 1. Dezember 2016 war das Gesetz
in 2. und 3. Lesung vom Bundestag verabschiedet worden. Das
Pflegestärkungsgesetz III wird zum 01.01.2017 in Kraft treten.
Wesentliche Regelungsinhalte des Gesetzes beziehen
sich auf das 11. Sozialgesetzbuch (SGB XI) und das 12. Sozialgesetzbuch
(SGB XII). Im SGB XI wurden nochmal diverse Anpassungen vorgenommen und
die Übergangs- und Bestandsschutzregelungen erweitert. Im SGB XII wurde
die Hilfe zur Pflege vollständig neu geregelt.
Einige der Änderungen im SGB XI werden im Folgenden dargestellt:
- Der
Gesetzgeber nimmt in § 79 SGB XI neben den Regelungen zur
Wirtschaftslichkeitsprüfung nunmehr neu die Regelungen zur
Abrechnungsprüfung mit auf. Der neu eingefügte § 79 Absatz 4 SGB XI
regelt, dass die Pflegekassen Abrechnungsprüfungen anlassbezogen
durchführen dürfen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass
die Pflegeeinrichtung fehlerhaft abrechnet. Hierbei dürfen dann die
Abrechnung der Pflegeleistungen, die zu Lasten der Pflegeversicherung
erbracht werden sowie die Abrechnung der Leistungen der Unterkunft und
Verpflegung überprüft werden.
- § 84 Absatz 2 Satz 4 SGB XI
besagt, dass die Pflegesätze einem Pflegeheim bei wirtschaftlicher
Betriebsführung ermöglichen müssen, seine Aufwendungen zu finanzieren
und seinen Versorgungsauftrag zu erfüllen. Diese Regelung wurde
dahingehend erweitert, dass eine "angemessene Vergütung des
Unternehmerrisikos" des Pflegeheims berücksichtigt werden muss.
- §
84 Absatz 2 Satz 5 SGB XI regelt, dass tariflich bzw. kirchlich
vereinbarte Vergütungen immer wirtschaftlich sind. Diese Regelung wird
dahingehend erweitert, dass nunmehr "Gehälter bis zur Höhe" tariflicher
oder kirchlich vereinbarter Vergütung angemessen sind. Dies erweitert
den Anwendungsbereich auch auf nicht tarifgebundene Pflegeheime.
- §
85 SGB XI trifft Regelungen zum Pflegesatzverfahren. In Absatz 3 ist
u.a. näher ausgeführt, welche Unterlagen das Pflegeheim für die
Pflegesatzverhandlungen vorzulegen hat. Hinsichtlich der nachzuweisenden
Personalkosten wurde festgelegt, dass die voraussichtlichen
Personalkosten einschließlich entsprechender Erhöhungen im Vergleich zum
bisherigen Pflegesatzzeitraum vorzulegen sind.
- § 89 SGB XI wird
dahingehend ergänzt, dass auch für ambulante Pflegedienste eine
angemessene Vergütung des Unternehmerrisikos zu berücksichtigen ist.
Ferner sollen auch hier zukünftig Gehälter bis zur Höhe tariflicher bzw.
kirchlich vereinbarter Gehälter als wirtschaftlich gelten, so dass auch
hier nicht tarifgebundene ambulante Pflegedienste zukünftig höhere
Personalkosten geltend machen können.
- Die Vertragspartner der
Rahmenverträge nach § 75 SGB XI sollen zukünftig auch Regelungen zu den
"Vertragsvoraussetzungen und der Vertragserfüllung für eine
leistungsfähige und wirtschaftliche pflegerische Versorgung" treffen. Es
sollen Verfahrens- und Prüfgrundsätze für die neu eingeführten
Abrechnungsprüfungen festgelegt werden. Ferner sollen Regelungen zum
Verfahren und der Überprüfung der Zahlung einer ortüblichen Vergütung an
die Beschäftigten vereinbart werden sowie Regelungen zu den geeigneten
Nachweisen bei Vergütungsverhandlungen nach § 85 Abs. 3 SGB XI.
- Die
Bestandsschutzregelung des § 141 Absatz 3 SGB XI wird dahingehend
erweitert, dass Pflegebedürftige in Pflegeheimen, die bis zum 31.12.2016
den Zuschuss der Pflegekasse nicht vollständig zur Deckung der Kosten
für die Pflegeleistungen aufwenden mussten, sondern auch noch einen Teil
der Kosten für Unterkunft und Verpflegung mit dem Zuschuss abdecken
konnten, auch bezüglich dieser Kosten Bestandsschutz erhalten. Die
Pflegekasse muss dann die entsprechenden Kosten weiter bezuschussen.
- Diejenigen,
deren Kosten durch Einführung des einrichtungseinheitlichen
Eigenanteils (EEE) ab Januar 2017 steigen und die im Rahmen der
Bestandsschutzregelung des § 141 Absatz 3 SGB XI eine erhöhte Zahlung
der Pflegekassen erhalten, sollen hierüber und über jeden Änderung
schriftlich durch die Pflegekasse informiert werden.
- Der
Gesetzgeber trifft darüber hinaus mit § 141 Absätzen 3a bis 3c weitere
umfängliche Übergangsregelungen zu pflegebedürftigen Personen in der
Kurzzeitpflege und bei Umzug in ein neues Pflegeheim. Für einen
Übergangszeitraum bis 31.12.2021 soll z.B. bei Pflegebedürftigen, die am
31.12.2016 in einem Pflegeheim gelebt haben, bei einem
Einrichtungswechsel die Zuzahlung im neuen Pflegeheim mit Stichtag
31.12.2016 berechnet werden. Die Pflegekasse wird dann den ggf. nach
dieser Rechnung erhöhten Differenzbetrag zum EEE übernehmen.
Hinsichtlich
der Hilfe zur Pflege im SGB XII ist insbesondere festzustellen, dass
der erweiterte Pflegebedürftigkeitsbegriff, der bisher auch Personen
unterhalb der Pflegestufe 0 einen Anspruch auf Leistungen bringen
konnte, endgültig abgeschafft wurde. Der Gesetzgeber hat es nur wie
bisher dabei belassen, dass auch Personen, die ggf. weniger als sechs
Monate pflegebedüftig sind, weiterhin einen Anspruch auf Hilfe zur
Pflege haben können. Der Gesetzgeber hat es ferner unterlassen,
Bestandsschutzregelungen für Personen in das SGB XII aufzunehmen, die
bisher unterhalb der Pflegestufe 0 eingestuft sind und Leistungen der
Hilfe zur Pflege in einer stationären Pflegeeinrichtung erhalten. Hier
müssen die Bundesländer ggf. eigene Übergangsregelungen schaffen.
Foto: © Bundesarbeitsgericht