Dezember 2016

Neues aus der Rechtsprechung

Eine ärztliche Zwangsbehandlung muss ausnahmsweise auch bei immobilen Personen möglich sein.

(Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26.07.2016, 1 BvL 8/15)

Das Bundesverfassungsgericht hatte auf Vorlage durch den Bundesgerichtshof (BGH) darüber zu entscheiden, ob § 1906 Absatz 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gegen das Grundgesetz verstößt, weil hiernach nur eine Zwangsbehandlung verbunden mit einer zwangsweisen Unterbringung möglich ist.

Die Betroffene war psychisch erkrankt und stand unter gesetzlicher Betreuung u.a. hinsichtlich der Aufgabenkreise "Gesundheitssorge" und "Aufenthaltsbestimmung". Sie war aufgrund einer Autoimmunerkrankung und eines diagnostizierten Mammakarzinoms stark geschwächt und immobil. Hinsichtlich ihrer Behandlung konnte sie einen natürlichen Willen bilden und verweigerte die Behandlung der Krebserkrankung. Das zuständige Amtsgericht und Landgericht verweigerten die Genehmigung zur Zwangsbehandlung mit zwangsweiser Unterbringung, da die Betroffene auch in der Klinik, in der sie sich aufhielt, wegen der Krebserkrankung behandelt werden konnte.

Der BGH legte die Sache dem Bundesverfassungsgericht vor mit der Frage, ob eine Zwangsbehandlung nur mit zwangsweiser Unterbringung verfassungskonform sei. Die Betroffene verstarb während des Verfahrens. Das Bundesverfassungsgericht entschied die Angelegenheit trotzdem wegen der hohen Bedeutung der Rechtsfrage.

Das Gericht entschied, dass § 1906 Absatz 3 BGB in seiner derzeitigen Fassung nicht verfassungskonform ist. Es forderte den Gesetzgeber auf, die Regelungen dahingehend zu ergänzen, dass bei immobilen gesetzlich Betreuten, die eine lebenswichtige Behandlung verweigerten, diese unter Beachtung der weiteren gesetzlichen Voraussetzung auch ohne zwangsweise Unterbringung als Zwangsbehandlung durchgeführt werden kann.

Es ist ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass das Recht auf körperliche Unversehrtheit nach Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz (GG) nicht nur ein subjektives Abwehrrecht des Einzelnen beinhaltet, sondern auch eine staatliche Schutzpflicht begründet. Hiernach müssen bspw. Polizisten eine suizidgefährdete Person an der Ausführung des Suizids hindern, wenn sie die Möglichkeit dazu haben. Auch ein unter Betreuung stehender, nicht einsichtsfähiger Mensch unterfalle dieser staatlichen Schutzpflicht. Aus Sicht des Gerichts überwiegt die staatliche Schutzpflicht bei hilflosen Personen deren Selbstbestimmungsrecht, wenn mit der ärztlichen Maßnahme keine besonderen Behandlungsrisiken einhergehen und es keine Anhaltspunkte gibt, dass die Person auch ohne psychische Beeinträchtigung diese Maßnahme abgelehnt hätte.

Anmerkung:

Bis der Gesetzgeber die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Anpassung des § 1906 Absatz 3 BGB vorgenommen hat, sind nun die Betreuungsgerichte gehalten, bei immobilen Personen, die unter gesetzlicher Betreuung stehen und eine lebensnotwendige Behandlung verweigern, eine Zwangsbehandlung auch ohne zwangsweise Unterbringung zu genehmigen, die bspw. im Pflegeheim durchgeführt werden kann.


Ein erkrankter Arbeitnehmer ist nicht dazu verpflichtet, an einem Personalgespräch teilzunehmen.

(Urteil des BAG vom 02.11.2016, 10 AZR 596/15)

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte darüber zu entscheiden, ob eine Pflegekraft während der Erkrankung  bei der Arbeitgeberin zu einem Personalgespräch zu erscheinen hatte, in dem seine weitere Beschäftigungsmöglichkeiten besprochen werden sollten.

Die Pflegekraft war aufgrund eines Arbeitsunfalls vorübergehend bis Ende 2013 als Dokumentationsassistent beschäftigt. In dieser Tätigkeit war er von Dezember 2013 bis Februar 2014 arbeitsunfähig erkrankt. Am 06.01.2014 wurde er von der Arbeitgeberin zu einem Gespräch geladen. Dieses sagte er ab mit Hinweis auf seine Arbeitsunfähigkeit. Auch an dem neuen Termin, den die Arbeitgeberin für den 11.02.2014 anberaumte, nahm der Pfleger unter Hinweis auf die fortbestehende Arbeitsunfähigkeit nicht teil. Ein von der Arbeitgeberin gefordertes ärztliches Attest, aus dem speziell hervorgehen sollte, warum er an dem Gespräch nicht teilnehmen konnte, legte er nicht vor. Daraufhin mahnte ihn die Arbeitgeberin ab. Gegen diese Abmahnung erhob die Pflegekraft Klage vor dem Arbeitsgericht auf Entfernung aus der Personalakte.

Die Arbeitgeberin unterlag vor dem Bundesarbeitsgericht und musste die Abmahnung aus der Personalakte entfernen. Das Gericht stellte klar, dass die Arbeitgeberin den arbeitsunfähig erkrankten Mitarbeiter trotz ihres Direktionsrechts nicht dazu verpflichten konnte, an einem Personalgespräch im Betrieb teilzunehmen oder ein spezielles ärztliches Attest vorzulegen, das belegen sollte, warum er während der Arbeitsunfähigkeit nicht zu einem solchen Gespräch in der Lage war.

Aus Sicht des BAG dürfen Arbeitgeber auch während der Erkrankung von Mitarbeitern mit diesen in Kontakt treten, soweit sie hieran ein berechtigtes Interesse haben. Dies sei bspw. der Fall, wenn die Einsatzmöglichkeiten des Mitarbeiters nach seiner Rückkehr unklar seien. Der Betroffene habe aber das Recht, ein solches Gespräch aufgrund der bestehenden Arbeitsunfähigkeit zu verweigern.


Neues aus der Gesetzgebung

Das Pflegestärkungsgesetz III tritt zum 1. Januar 2017 in Kraft.

 

Der Bundesrat gab am 16.12.2016 grünes Licht für das Inkrafttreten des PSG III. Bereits am 1. Dezember 2016 war das Gesetz in 2. und 3. Lesung vom Bundestag verabschiedet worden. Das Pflegestärkungsgesetz III wird zum 01.01.2017 in Kraft treten.

Wesentliche Regelungsinhalte des Gesetzes beziehen sich auf das 11. Sozialgesetzbuch (SGB XI) und das 12. Sozialgesetzbuch (SGB XII). Im SGB XI wurden nochmal diverse Anpassungen vorgenommen und die Übergangs- und Bestandsschutzregelungen erweitert. Im SGB XII wurde die Hilfe zur Pflege vollständig neu geregelt.

Einige der Änderungen im SGB XI werden im Folgenden dargestellt:

  • Der Gesetzgeber nimmt in § 79 SGB XI neben den Regelungen zur Wirtschaftslichkeitsprüfung nunmehr neu die Regelungen zur Abrechnungsprüfung mit auf. Der neu eingefügte § 79 Absatz 4 SGB XI regelt, dass die Pflegekassen Abrechnungsprüfungen anlassbezogen durchführen dürfen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Pflegeeinrichtung fehlerhaft abrechnet. Hierbei dürfen dann die Abrechnung der Pflegeleistungen, die zu Lasten der Pflegeversicherung erbracht werden sowie die Abrechnung der Leistungen der Unterkunft und Verpflegung überprüft werden.
  • § 84 Absatz 2 Satz 4 SGB XI besagt, dass die Pflegesätze einem Pflegeheim bei wirtschaftlicher Betriebsführung ermöglichen müssen, seine Aufwendungen zu finanzieren und seinen Versorgungsauftrag zu erfüllen. Diese Regelung wurde dahingehend erweitert, dass eine "angemessene Vergütung des Unternehmerrisikos" des Pflegeheims berücksichtigt werden muss.
  • § 84 Absatz 2 Satz 5 SGB XI regelt, dass tariflich bzw. kirchlich vereinbarte Vergütungen immer wirtschaftlich sind. Diese Regelung wird dahingehend erweitert, dass nunmehr "Gehälter bis zur Höhe" tariflicher oder kirchlich vereinbarter Vergütung angemessen sind. Dies erweitert den Anwendungsbereich auch auf nicht tarifgebundene Pflegeheime.
  • § 85 SGB XI trifft Regelungen zum Pflegesatzverfahren. In Absatz 3 ist u.a. näher ausgeführt, welche Unterlagen das Pflegeheim für die Pflegesatzverhandlungen vorzulegen hat. Hinsichtlich der nachzuweisenden Personalkosten wurde festgelegt, dass die voraussichtlichen Personalkosten einschließlich entsprechender Erhöhungen im Vergleich zum bisherigen Pflegesatzzeitraum vorzulegen sind.
  • § 89 SGB XI wird dahingehend ergänzt, dass auch für ambulante Pflegedienste eine angemessene Vergütung des Unternehmerrisikos zu berücksichtigen ist. Ferner sollen auch hier zukünftig Gehälter bis zur Höhe tariflicher bzw. kirchlich vereinbarter Gehälter als wirtschaftlich gelten, so dass auch hier nicht tarifgebundene ambulante Pflegedienste zukünftig höhere Personalkosten geltend machen können.
  • Die Vertragspartner der Rahmenverträge nach § 75 SGB XI sollen zukünftig auch Regelungen zu den "Vertragsvoraussetzungen und der Vertragserfüllung für eine leistungsfähige und wirtschaftliche pflegerische Versorgung" treffen. Es sollen Verfahrens- und Prüfgrundsätze für die neu eingeführten Abrechnungsprüfungen festgelegt werden. Ferner sollen Regelungen zum Verfahren und der Überprüfung der Zahlung einer ortüblichen Vergütung an die Beschäftigten vereinbart werden sowie Regelungen zu den geeigneten Nachweisen bei Vergütungsverhandlungen nach § 85 Abs. 3 SGB XI.
  • Die Bestandsschutzregelung des § 141 Absatz 3 SGB XI wird dahingehend erweitert, dass Pflegebedürftige in Pflegeheimen, die bis zum 31.12.2016 den Zuschuss der Pflegekasse nicht vollständig zur Deckung der Kosten für die Pflegeleistungen aufwenden mussten, sondern auch noch einen Teil der Kosten für Unterkunft und Verpflegung mit dem Zuschuss abdecken konnten, auch bezüglich dieser Kosten Bestandsschutz erhalten. Die Pflegekasse muss dann die entsprechenden Kosten weiter bezuschussen.
  • Diejenigen, deren Kosten durch Einführung des einrichtungseinheitlichen Eigenanteils (EEE) ab Januar 2017 steigen und die im Rahmen der Bestandsschutzregelung des § 141 Absatz 3 SGB XI eine erhöhte Zahlung der Pflegekassen erhalten, sollen hierüber und über jeden Änderung schriftlich durch die Pflegekasse informiert werden.
  • Der Gesetzgeber trifft darüber hinaus mit § 141 Absätzen 3a bis 3c weitere umfängliche Übergangsregelungen zu pflegebedürftigen Personen in der Kurzzeitpflege und bei Umzug in ein neues Pflegeheim. Für einen Übergangszeitraum bis 31.12.2021 soll z.B. bei Pflegebedürftigen, die am 31.12.2016 in einem Pflegeheim gelebt haben, bei einem Einrichtungswechsel die Zuzahlung im neuen Pflegeheim mit Stichtag 31.12.2016 berechnet werden. Die Pflegekasse wird dann den ggf. nach dieser Rechnung erhöhten Differenzbetrag zum EEE übernehmen.

Hinsichtlich der Hilfe zur Pflege im SGB XII ist insbesondere festzustellen, dass der erweiterte Pflegebedürftigkeitsbegriff, der bisher auch Personen unterhalb der Pflegestufe 0 einen Anspruch auf Leistungen bringen konnte, endgültig abgeschafft wurde. Der Gesetzgeber hat es nur wie bisher dabei belassen, dass auch Personen, die ggf. weniger als sechs Monate pflegebedüftig sind, weiterhin einen Anspruch auf Hilfe zur Pflege haben können. Der Gesetzgeber hat es ferner unterlassen, Bestandsschutzregelungen für Personen in das SGB XII aufzunehmen, die bisher unterhalb der Pflegestufe 0 eingestuft sind und Leistungen der Hilfe zur Pflege in einer stationären Pflegeeinrichtung erhalten. Hier müssen die Bundesländer ggf. eigene Übergangsregelungen schaffen.


Wir wünschen Ihnen ein glückliches, gesundes und erfolgreiches Jahr 2017!

Foto: © Bundesarbeitsgericht


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