01/2019

Neues aus der Rechtsprechung

Die Kosten eines Andickungsmittels bei Dysphagie hat der Sozialhilfeträger zu übernehmen.

(LSG Sachsen, Beschluss vom 22.05.2018, L 8 SO 121/17 B ER)

Das Sächsische Landessozialgericht hatte darüber zu entscheiden, wer die Kosten des Dickungsmittels Nutilis Powder des Bewohners einer Pflegeeinrichtung zu tragen hat.

Der Betroffene leidet an Dysphagie. Seine Logopädin hielt im Rahmen ihres Therapieplans das Andicken von Getränken für erforderlich. Die Kosten des Dickungsmittels lagen bei rund 50,00 € pro Monat. Sowohl die Krankenkasse als auch das Sozialamt lehnten die Kostenübernahme ab. 

Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes beantragte der Betroffene beim Sozialgericht Chemnitz die vorläufige Kostenübernahme durch das Sozialamt. Das Sozialgericht lehnte den Erlass einer entsprechenden einstweiligen Anordnung ab. Auf die Beschwerde des Betroffenen gab das LSG Sachsen ihm recht.

Aus Sicht des Gerichtes hat die Einrichtung, in der der Betroffene lebt, gemäß § 27b Abs. 1 SGB XII den notwendigen Lebensunterhalt in Einrichtungen auf Basis des Versorgungsvertrages und des Rahmenvertrages zu erbringen. Aus dem Rahmenvertrag des Landes Sachsen ergab sich die Verpflichtung der Einrichtung neben Normal- und Vollkost auch zur Verpflegung mit Diätkost. Eine entsprechende Regelung fand sich im Heimvertrag der Pflegeeinrichtung.

Nach Auffassung des LSG Sachsen bedeutet diese Regelung allerdings nicht, dass die Pflegeeinrichtung jedweden krankheitsbedingten Ernährungsmehraufwand aus dem Pflegesatz zu bestreiten hat, sondern nur den typischerweise bei den von ihr betreuten Bewohner*innen auftretenden Mehraufwand, wie er im Rahmenvertrag zum Ausdruck kommt und der Vergütungskalkulation zugrunde liegt. Nach Auffassung des Gerichtes zählt ein Dickungspulver bei Dysphagie nicht zu einem typischerweise von dem Pflegeheim zu übernehmenden krankheitsbedingten Ernährungsmehraufwand. Dieser sei gemäß § 27b Abs. 2 SGB XII als weiterer notwendiger Lebensunterhalt in Einrichtungen durch den zuständigen Sozialhilfeträger sicherzustellen. Eine Kostentragung durch die Krankenkasse scheide aus, da das Dickungsmittel nicht in ihren Leistungskatalog fällt.

Anmerkung:

Dieser Beschluss verdeutlicht, dass der Regelung im Wohn- und Betreuungsvertrag durchaus Bedeutung zukommt. Hier sollte es unbedingt vermieden werden, jedwede besondere Ernährung bzw. jeden Ernährungsmehraufwand pauschal als Leistung der Einrichtung zu regeln.


Sozialhilfe für stationäre Pflege bei Umstellung von Pflegestufe 0 auf Pflegegrad 1.

(Urteil des SG Koblenz vom 16.08.2018, S 1 SO 143/17)

Das Sozialgericht Koblenz hatte darüber zu entscheiden, ob die Bewohnerin eines Pflegeheimes, die bis zum 31.12.2016 mit Pflegestufe 0 dort versorgt worden war und bei der im Januar 2017 bei einer Begutachtung durch den MDK der Pflegegrad 1 festgestellt worden war, weiterhin eine Übernahme der Heimkosten durch das zuständige Sozialamt zu erhalten hat.

Die Betroffene war im Februar 2015 in eine Pflegeeinrichtung umgezogen. Der MDK stellte damals einen Zeitbedarf im Bereich der Grundpflege von 17 Minuten fest. Mit weiterem Gutachten aus dem Februar 2016 ermittelte der MDK einen Zeitbedarf an Grundpflege von 30 Minuten. Aus seiner Sicht war die vollstationäre Pflege mangels einer geeigneten Pflegeperson und drohender bzw. bereits eingetretener Verwahrlosung der Betroffenen erforderlich. Der zuständige Sozialhilfeträger bewilligte daraufhin Leistungen der Hilfe zur Pflege.

Bei einer Begutachtung im Januar 2017 stellte der MDK den Pflegegrad 1 fest. Die Pflegekasse bewilligte der Klägerin daraufhin einen Zuschuss in Höhe von 125,00 € monatlich. Das Sozialamt hob den bisherigen Bewilligungsbescheid auf und lehnte die weitere Übernahme der offenen Heimkosten ab.

Das SG Koblenz kam zu dem Ergebnis, dass der Bewohnerin keine Hilfe zur Pflege gemäß §§ 61 ff. SGB XII zusteht, da nach der Neuregelung der Hilfe zu Pflege bei einem Pflegegrad 1 maximal 125,00 € pro Monat auch im Rahmen dieser Leistungsart zu bewilligen sind.

Das Gericht spricht der Betroffenen allerdings einen Anspruch auf Kostenübernahme der Heimkosten gemäß § 73 SGB XII zu. Hiernach können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Nach Auffassung des Gerichtes ist dies vorliegend der Fall, da eine Besserung des Gesundheitszustandes der Betroffenen, die im Jahr 2017 die Rückkehr in eine Wohnung und die Gewährung dortiger ambulanter Pflege rechtfertigen würde, nicht eingetreten war. Aus diesem Grund konnte die Betroffene nur in der Pflegeeinrichtung bleiben. Aus Sicht des Gerichtes handelt es sich hierbei um eine „Besitzstandswahrung“, die als „sonstige Lebenslage“ unter § 73 SGB XII fällt.

Anmerkung:

Das Gericht lässt ausdrücklich offen, ob § 73 SGB XII auch auf Einzüge in ein Pflegeheim nach dem 01.01.2017 Anwendung findet. Dies könnte zweifelhaft sein, da hier die eindeutige Neuregelung der §§ 61 ff. SGB XII einer Kostenübernahme von mehr als 125,00 € pro Monat entgegenstehen könnte. In vielen Sozialämtern wird aber genau für den beschriebenen Fall über § 73 SGB XII eine Übernahme der weiteren Kosten der Einrichtung auch für Bewohner*innen bewilligt, die nach dem 01.01.2017 eingezogen waren.


Neues aus der Gesetzgebung

Änderungen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes im Jahr 2019 – „Brückenteilzeit“

Der Gesetzgeber hat im Jahr 2019 einige Änderungen am Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) vorgenommen. Kernpunkt der Reform ist die Einführung der sog. "Brückenteilzeit". Diese „zeitlich begrenzte Verringerung der Arbeitszeit“ ist in § 9a TzBfG aufgenommen worden. Sie tritt neben die bisherige Regelung des § 8 TzBfG, der die bisherige Teilzeitregelung enthält. Dieser Paragraph wurde jetzt umbenannt in „zeitlich nicht begrenzte Verringerung der Arbeitszeit“. Damit hat der Gesetzgeber nunmehr die Möglichkeit geschaffen, entweder ohne zeitliche Begrenzung oder mit zeitlicher Begrenzung die Arbeitszeit verringern zu können.

Anspruch auf die sog. Brückenteilzeit haben Arbeitnehmer*innen, deren Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat. Der Zeitraum der Arbeitszeitreduzierung muss mindestens ein Jahr betragen und darf höchstens fünf Jahre betragen. Ein Anspruch auf zeitlich begrenzte Arbeitszeitreduzierung haben Arbeitnehmer*innen nur gegenüber Arbeitgebern, die in der Regel mehr als 45 Arbeitnehmer*innen beschäftigen. Hierbei werden Auszubildende nicht mitgerechnet. Der Arbeitgeber hat ebenso wie bei der zeitlich nicht begrenzten Arbeitszeitverringerung nach § 8 auch bei der zeitlich begrenzten Arbeitszeitverringerung nach § 9a ein Recht, diese abzulehnen, soweit betriebliche Gründe dagegenstehen. Eine Besonderheit des § 9a Abs. 2 ist, dass Arbeitgeber, die mehr als 45 aber weniger als 200 Beschäftigte haben, auch dann die zeitlich begrenzte Arbeitszeitverringerung ablehnen können, wenn je nach Größe des Unternehmens bereits eine bestimmte Anzahl an Beschäftigten (zwischen 4 und 14) die zeitlich begrenzte Arbeitszeitverringerung in Anspruch genommen hatten.

Wer einen Anspruch gemäß § 9a TzBfG gegenüber dem Arbeitgeber geltend macht, ist an den festgelegten Zeitraum und Umfang der Arbeitszeitverringerung gebunden. Nach Rückkehr in die Vollzeit können Beschäftigte erst wieder nach Ablauf eines Jahres einen erneuten Antrag auf zeitlich begrenzte Arbeitszeitverringerung stellen.

Der Gesetzgeber hat zugleich die Regelungen des § 9 TzBfG zur Verlängerung der Arbeitszeit neu und genauer gefasst. Hat ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer dem Arbeitgeber in Textform seinen Wunsch nach Verlängerung der Arbeitszeit angezeigt, so hat der Arbeitgeber diesen bei Besetzung eines Arbeitsplatzes bevorzugt zu berücksichtigen, es sei denn, die folgenden Gründe sprechen dagegen:

  • Bei dem freien Arbeitsplatz handelt es sich nicht um einen der Tätigkeit des Arbeitnehmers entsprechenden Arbeitsplatz.
  • Der teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer ist nicht mindestens gleich geeignet wie ein vom Arbeitgeber bevorzugter Bewerber.
  • Arbeitszeitwünsche anderer teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer oder dringende betriebliche Gründe stehen einer Berücksichtigung entgegen.

Ein „freier Arbeitsplatz“ im Sinne des § 9 TzBfG liegt vor, wenn der Arbeitgeber eine entsprechende neue Stelle geschaffen hat oder einen aktuell unbesetzten Arbeitsplatz neu besetzen will.

 

Wegfall der Lebensaltersregelung bei Kündigungen

Zum 01.01.2019 hat der Gesetzgeber § 622 Abs. 2 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gestrichen. Der Abs. 2 des § 622 BGB enthält die Kündigungsfristen, die ein Arbeitgeber bei der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses einzuhalten hat, soweit dieses mindestens zwei Jahre bestanden hat. Nach Ablauf von zwei Beschäftigungsjahren erhöht sich die normale Kündigungsfrist von vier Wochen auf einen Monat zum Ende des Kalendermonats. Diese Frist verlängert sich bei Anstieg der Beschäftigungsjahre. Nach 20 Beschäftigungsjahren hat der Arbeitgeber eine Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Ende eines Kalendermonats einzuhalten. Dies ist die maximale Kündigungsfrist.

§ 622 Abs. 2 Satz 2 BGB traf die Regelung, dass für die Berechnung der Beschäftigungsdauer Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahres eines Arbeitnehmers bzw. einer Arbeitnehmerin lagen, nicht berücksichtigt wurden. Diese Regelung hat der Gesetzgeber nun ersatzlos gestrichen. Somit finden die verlängerten Kündigungsfristen auch auf Arbeitnehmer*innen Anwendung, die jünger als 25 Jahre alt sind.


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Foto: © Deutscher Bundestag


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