Neues aus der Rechtsprechung
Die Kosten eines Andickungsmittels bei Dysphagie hat der Sozialhilfeträger zu übernehmen.
(LSG Sachsen, Beschluss vom 22.05.2018, L 8 SO 121/17 B ER)
Das Sächsische Landessozialgericht hatte darüber zu
entscheiden, wer die Kosten des Dickungsmittels Nutilis Powder des
Bewohners einer Pflegeeinrichtung zu tragen hat.
Der Betroffene leidet an Dysphagie. Seine Logopädin
hielt im Rahmen ihres Therapieplans das Andicken von Getränken für
erforderlich. Die Kosten des Dickungsmittels lagen bei rund 50,00 € pro
Monat. Sowohl die Krankenkasse als auch das Sozialamt lehnten die
Kostenübernahme ab.
Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes
beantragte der Betroffene beim Sozialgericht Chemnitz die vorläufige
Kostenübernahme durch das Sozialamt. Das Sozialgericht lehnte den Erlass
einer entsprechenden einstweiligen Anordnung ab. Auf die Beschwerde des
Betroffenen gab das LSG Sachsen ihm recht.
Aus Sicht des Gerichtes hat die Einrichtung, in der
der Betroffene lebt, gemäß § 27b Abs. 1 SGB XII den notwendigen
Lebensunterhalt in Einrichtungen auf Basis des Versorgungsvertrages und
des Rahmenvertrages zu erbringen. Aus dem Rahmenvertrag des Landes
Sachsen ergab sich die Verpflichtung der Einrichtung neben Normal- und
Vollkost auch zur Verpflegung mit Diätkost. Eine entsprechende Regelung
fand sich im Heimvertrag der Pflegeeinrichtung.
Nach Auffassung des LSG Sachsen bedeutet diese
Regelung allerdings nicht, dass die Pflegeeinrichtung jedweden
krankheitsbedingten Ernährungsmehraufwand aus dem Pflegesatz zu
bestreiten hat, sondern nur den typischerweise bei den von ihr betreuten
Bewohner*innen auftretenden Mehraufwand, wie er im Rahmenvertrag zum
Ausdruck kommt und der Vergütungskalkulation zugrunde liegt. Nach
Auffassung des Gerichtes zählt ein Dickungspulver bei Dysphagie nicht zu
einem typischerweise von dem Pflegeheim zu übernehmenden
krankheitsbedingten Ernährungsmehraufwand. Dieser sei gemäß § 27b Abs. 2
SGB XII als weiterer notwendiger Lebensunterhalt in Einrichtungen durch
den zuständigen Sozialhilfeträger sicherzustellen. Eine Kostentragung
durch die Krankenkasse scheide aus, da das Dickungsmittel nicht in ihren
Leistungskatalog fällt.
Anmerkung:
Dieser Beschluss verdeutlicht, dass der Regelung im
Wohn- und Betreuungsvertrag durchaus Bedeutung zukommt. Hier sollte es
unbedingt vermieden werden, jedwede besondere Ernährung bzw. jeden
Ernährungsmehraufwand pauschal als Leistung der Einrichtung zu regeln.
(Urteil des SG Koblenz vom 16.08.2018, S 1 SO 143/17)
Das Sozialgericht Koblenz hatte darüber zu
entscheiden, ob die Bewohnerin eines Pflegeheimes, die bis zum
31.12.2016 mit Pflegestufe 0 dort versorgt worden war und bei der im
Januar 2017 bei einer Begutachtung durch den MDK der Pflegegrad 1
festgestellt worden war, weiterhin eine Übernahme der Heimkosten durch
das zuständige Sozialamt zu erhalten hat.
Die Betroffene war im Februar 2015 in eine
Pflegeeinrichtung umgezogen. Der MDK stellte damals einen Zeitbedarf im
Bereich der Grundpflege von 17 Minuten fest. Mit weiterem Gutachten aus
dem Februar 2016 ermittelte der MDK einen Zeitbedarf an Grundpflege von
30 Minuten. Aus seiner Sicht war die vollstationäre Pflege mangels einer
geeigneten Pflegeperson und drohender bzw. bereits eingetretener
Verwahrlosung der Betroffenen erforderlich. Der zuständige
Sozialhilfeträger bewilligte daraufhin Leistungen der Hilfe zur Pflege.
Bei einer Begutachtung im Januar 2017 stellte der
MDK den Pflegegrad 1 fest. Die Pflegekasse bewilligte der Klägerin
daraufhin einen Zuschuss in Höhe von 125,00 € monatlich. Das Sozialamt
hob den bisherigen Bewilligungsbescheid auf und lehnte die weitere
Übernahme der offenen Heimkosten ab.
Das SG Koblenz kam zu dem Ergebnis, dass der
Bewohnerin keine Hilfe zur Pflege gemäß §§ 61 ff. SGB XII zusteht, da
nach der Neuregelung der Hilfe zu Pflege bei einem Pflegegrad 1 maximal
125,00 € pro Monat auch im Rahmen dieser Leistungsart zu bewilligen
sind.
Das Gericht spricht der Betroffenen allerdings einen
Anspruch auf Kostenübernahme der Heimkosten gemäß § 73 SGB XII zu.
Hiernach können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht
werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Nach
Auffassung des Gerichtes ist dies vorliegend der Fall, da eine Besserung
des Gesundheitszustandes der Betroffenen, die im Jahr 2017 die Rückkehr
in eine Wohnung und die Gewährung dortiger ambulanter Pflege
rechtfertigen würde, nicht eingetreten war. Aus diesem Grund konnte die
Betroffene nur in der Pflegeeinrichtung bleiben. Aus Sicht des Gerichtes
handelt es sich hierbei um eine „Besitzstandswahrung“, die als
„sonstige Lebenslage“ unter § 73 SGB XII fällt.
Anmerkung:
Das Gericht lässt ausdrücklich offen, ob § 73 SGB
XII auch auf Einzüge in ein Pflegeheim nach dem 01.01.2017 Anwendung
findet. Dies könnte zweifelhaft sein, da hier die eindeutige Neuregelung
der §§ 61 ff. SGB XII einer Kostenübernahme von mehr als 125,00 € pro
Monat entgegenstehen könnte. In vielen Sozialämtern wird aber genau für
den beschriebenen Fall über § 73 SGB XII eine Übernahme der weiteren
Kosten der Einrichtung auch für Bewohner*innen bewilligt, die nach dem
01.01.2017 eingezogen waren.
Änderungen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes im Jahr 2019 – „Brückenteilzeit“
Der
Gesetzgeber hat im Jahr 2019 einige Änderungen am Teilzeit- und
Befristungsgesetz (TzBfG) vorgenommen. Kernpunkt der Reform ist die
Einführung der sog. "Brückenteilzeit". Diese „zeitlich begrenzte
Verringerung der Arbeitszeit“ ist in § 9a TzBfG aufgenommen worden. Sie
tritt neben die bisherige Regelung des § 8 TzBfG, der die bisherige
Teilzeitregelung enthält. Dieser Paragraph wurde jetzt umbenannt in
„zeitlich nicht begrenzte Verringerung der Arbeitszeit“. Damit hat der
Gesetzgeber nunmehr die Möglichkeit geschaffen, entweder ohne zeitliche
Begrenzung oder mit zeitlicher Begrenzung die Arbeitszeit verringern zu
können.
Anspruch auf die sog. Brückenteilzeit haben
Arbeitnehmer*innen, deren Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate
bestanden hat. Der Zeitraum der Arbeitszeitreduzierung muss mindestens
ein Jahr betragen und darf höchstens fünf Jahre betragen. Ein Anspruch
auf zeitlich begrenzte Arbeitszeitreduzierung haben Arbeitnehmer*innen
nur gegenüber Arbeitgebern, die in der Regel mehr als 45
Arbeitnehmer*innen beschäftigen. Hierbei werden Auszubildende nicht
mitgerechnet. Der Arbeitgeber hat ebenso wie bei der zeitlich nicht
begrenzten Arbeitszeitverringerung nach § 8 auch bei der zeitlich
begrenzten Arbeitszeitverringerung nach § 9a ein Recht, diese
abzulehnen, soweit betriebliche Gründe dagegenstehen. Eine Besonderheit
des § 9a Abs. 2 ist, dass Arbeitgeber, die mehr als 45 aber weniger als
200 Beschäftigte haben, auch dann die zeitlich begrenzte
Arbeitszeitverringerung ablehnen können, wenn je nach Größe des
Unternehmens bereits eine bestimmte Anzahl an Beschäftigten (zwischen 4
und 14) die zeitlich begrenzte Arbeitszeitverringerung in Anspruch
genommen hatten.
Wer einen Anspruch gemäß § 9a TzBfG gegenüber dem
Arbeitgeber geltend macht, ist an den festgelegten Zeitraum und Umfang
der Arbeitszeitverringerung gebunden. Nach Rückkehr in die Vollzeit
können Beschäftigte erst wieder nach Ablauf eines Jahres einen erneuten
Antrag auf zeitlich begrenzte Arbeitszeitverringerung stellen.
Der Gesetzgeber hat zugleich die Regelungen des § 9
TzBfG zur Verlängerung der Arbeitszeit neu und genauer gefasst. Hat ein
teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer dem Arbeitgeber in Textform seinen
Wunsch nach Verlängerung der Arbeitszeit angezeigt, so hat der
Arbeitgeber diesen bei Besetzung eines Arbeitsplatzes bevorzugt zu
berücksichtigen, es sei denn, die folgenden Gründe sprechen dagegen:
- Bei dem freien Arbeitsplatz handelt es sich nicht um einen der Tätigkeit des Arbeitnehmers entsprechenden Arbeitsplatz.
- Der teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer ist nicht mindestens gleich geeignet wie ein vom Arbeitgeber bevorzugter Bewerber.
- Arbeitszeitwünsche
anderer teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer oder dringende betriebliche
Gründe stehen einer Berücksichtigung entgegen.
Ein
„freier Arbeitsplatz“ im Sinne des § 9 TzBfG liegt vor, wenn der
Arbeitgeber eine entsprechende neue Stelle geschaffen hat oder einen
aktuell unbesetzten Arbeitsplatz neu besetzen will.
Wegfall der Lebensaltersregelung bei Kündigungen
Zum 01.01.2019 hat der Gesetzgeber § 622 Abs. 2 Satz
2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gestrichen. Der Abs. 2 des § 622 BGB
enthält die Kündigungsfristen, die ein Arbeitgeber bei der Kündigung
eines Arbeitsverhältnisses einzuhalten hat, soweit dieses mindestens
zwei Jahre bestanden hat. Nach Ablauf von zwei Beschäftigungsjahren
erhöht sich die normale Kündigungsfrist von vier Wochen auf einen Monat
zum Ende des Kalendermonats. Diese Frist verlängert sich bei Anstieg der
Beschäftigungsjahre. Nach 20 Beschäftigungsjahren hat der Arbeitgeber
eine Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Ende eines Kalendermonats
einzuhalten. Dies ist die maximale Kündigungsfrist.
§ 622 Abs. 2 Satz 2 BGB traf die Regelung, dass für
die Berechnung der Beschäftigungsdauer Zeiten, die vor der Vollendung
des 25. Lebensjahres eines Arbeitnehmers bzw. einer Arbeitnehmerin
lagen, nicht berücksichtigt wurden. Diese Regelung hat der Gesetzgeber
nun ersatzlos gestrichen. Somit finden die verlängerten
Kündigungsfristen auch auf Arbeitnehmer*innen Anwendung, die jünger als
25 Jahre alt sind.