Neues aus der Rechtsprechung
Nicht die Pflegeeinrichtung, sondern das Sozialamt trägt das Risiko ungeklärter Unterhaltsansprüche.
(BSG, Urteil vom 06.12.2018, B 8 SO 2/17 R)
Das
Bundessozialgericht (BSG) hatte darüber zu entscheiden, ob eine
Pflegeeinrichtung das Ausfallrisiko offener Heimkosten für eine
Bewohnerin zu tragen hatte, da sich sowohl der Ehemann als auch das
Sozialamt weigerten, die Heimkosten zu begleichen.
Die Bewohnerin wohnte rund ein Jahr in der
Einrichtung, bevor sie verstarb. Das beklagte Sozialamt lehnte die
Sozialhilfe mit der Begründung ab, dass der Ehemann der Klägerin in der
Türkei eine Wohnung im Wert von 30.000,- € besitzt, die einzusetzen ist.
Der Ehemann verweigerte den Verkauf der Wohnung und teilte mit, dass
diese geschütztes Vermögen sei, da er sie mehrere Monate im Jahr selbst
nutze. Nach dem Tod der Bewohnerin trat die Pflegeeinrichtung als deren
Sonderrechtsnachfolgerin gemäß § 19 Abs. 6 SGB XII in das
Verwaltungsverfahren ein.
Das BSG bestätigte im Wesentlichen die
Entscheidungen der Vorinstanzen, die der Pflegeeinrichtung einen
Anspruch auf Übernahme der offenen Pflegeheimkosten gegen das Sozialamt
zusprachen.
Gemäß § 19 Abs. 3 SGB XII hatte die verstorbene
Bewohnerin Anspruch auf Hilfe zur Pflege, soweit ihr und ihrem nicht
getrennt lebenden Ehemann die Aufbringung der Mittel aus eigenem
Einkommen und Vermögen nicht zumutbar war. § 19 Abs. 5 Satz 1 SGB XII
wiederum normiert einen sog. Aufwendungsersatzanspruch des
Sozialhilfeträgers gegen die leistungsberechtigte Person und ihren nicht
getrennt lebenden Ehegatten, wenn Einkommen oder Vermögen in zumutbarer
Weise eingesetzt werden muss und der Sozialhilfeträger die Leistungen
erbracht hatte.
Das BSG stellte klar, dass dieser
Aufwendungsersatzanspruch auch gegenüber dem Sonderrechtsnachfolger nach
§ 19 Abs. 6 SGB XII zur Anwendung kommt. Damit war das Ermessen des
Sozialamtes auf Übernahme der offenen Heimkosten gegenüber der
Bewohnerin und nachfolgend gegenüber der Pflegeeinrichtung auf Null
reduziert. Das Sozialamt musste also die offenen Heimkosten übernehmen
und hat in einem gesonderten Verwaltungsverfahren zu klären, ob der
Ehemann gemäß § 19 Abs. 5 Satz 1 SGB XII zum Aufwendungsersatz
verpflichtet ist.
Anmerkung:
Bei dem Urteil des BSG handelt es sich um eine
erfreuliche Klarstellung, dass das Pflegeheim nicht dem Risiko offener
Heimkosten ausgesetzt sein darf. Vielmehr ist der Sozialhilfeträger
grundsätzlich einstandspflichtig und hat eventuelle Ansprüche gegen
Familienangehörige gesondert durchzusetzen.
(Urteil des BSG vom 07.06.2019, B 12 R 6/18 R u.a.)
Das BSG hatte in insgesamt 17 Verfahren zu
entscheiden, ob Honorarpflegekräfte in Krankenhäusern und Altenheimen
tatsächlich abhängig beschäftigt sind und damit der
Sozialversicherungspflicht unterliegen.
Das Bundessozialgericht ging von folgender
Ausgangslage in allen Verfahren aus: Pflegefachkräfte auf Honorarbasis
werden vornehmlich im Rahmen stationärer Krankenhausbehandlung sowie im
Rahmen stationärer oder ambulanter Pflege eingesetzt. Sie werden auf
Basis individuell vereinbarter Einsätze und Dienste tätig und betätigen
sich häufig für mehrere Auftraggeber sowie zeitlich auf Tage oder wenige
Wochen befristet. Oft werden sie über Agenturen vermittelt und arbeiten
für einen vorher festgelegten Stundensatz, der üblicherweise deutlich
über dem Arbeitsentgelt einer vergleichbar eingesetzten angestellten
Pflegefachkraft liegt.
Im konkreten Verfahren klagte eine Pflegeeinrichtung
gegen die Feststellung der Versicherungspflicht einer
Honorarpflegekraft durch den beklagten Rentenversicherungsträger. Die
beigeladene Pflegefachkraft ist staatlich anerkannter Altenpfleger und
Fachkraft für Leitungsaufgaben in der Pflege. Er entschied sich ab
September 2012 zur freiberuflichen Tätigkeit, um seine Arbeitszeit frei
bestimmen zu können und sich finanziell zu verbessern. Er und die
Klägerin schlossen unter Einschaltung einer Vermittlungsagentur einen
"Dienstleistungsvertrag" für die Zeit vom 6.11. bis 14.11.2012 und
21.11. bis 28.11.2012 und wandten die getroffenen Regelungen auch auf
weitere Einsätze in den Zeiträumen 4.12. bis 9.12.2012, 14.12. bis
23.12.2012 und 3.1. bis 10.1.2013 an.
Das BSG kam zu dem Ergebnis, dass der Altenpfleger
in seiner Tätigkeit für das Pflegeheim abhängig beschäftigt war. Auf die
vertraglichen Regelungen zwischen der Pflegeeinrichtung und der
Honorarkraft komme es nicht an. Die tatsächlichen Verhältnisse führen
zur Annahme von Beschäftigung. Der Betriebsablauf folgte einem
Dienstplan mit Schichtzeiten, in die sich die Honorarkraft einordnete.
Auch wenn der Dienstplan eine Auswahl von Einsatzzeiten vorsah, die
ausschließlich für Honorarkräfte vorgesehen waren und längere Einsätze
ermöglichten, seien sie trotzdem in die Abläufe der betrieblichen
Organisation einbezogen gewesen. Auch innerhalb des Schichtdienstes war
die Honorarkraft in die strukturierten Betriebsabläufe eingegliedert.
Die Arbeits- und Verbrauchsmittel wurden der Honorarkraft im
Wesentlichen gestellt. Zur Überwachung war eine verantwortliche
Pflegefachkraft eingesetzt. Aus Sicht des BSG hatte der Altenpfleger als
Honorarkraft im Vergleich zu angestellten Pflegekräften keine ins
Gewicht fallenden Freiheiten hinsichtlich Gestaltung und Umfang seiner
Arbeitsleistung innerhalb des einzelnen Dienstes. Er trug nach
Auffassung des Gerichts auch kein nennenswertes Unternehmerrisiko.
Anmerkung:
Mit dieser und weiteren Entscheidungen stellt das
Bundessozialgericht klar, dass der allerorten spürbare Fachkräftemangel
nicht dazu führen kann, dass Honorarkräfte zum Einsatz kommen, die einer
Sozialversicherungspflicht nicht unterliegen. Das Gericht sieht auch
Honorarkräfte als in vollem Umfang in die Arbeitsorganisation der
Pflegeeinrichtung eingebunden und der Weisungsgebundenheit unterliegend
an.
(Urteil des LAG Köln vom 09.04.2019, 4 Sa 242/18)
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln hatte darüber zu
entscheiden, ob ein gekündigter Arbeitnehmer Schadensersatz in Form der
Urlaubsabgeltung für nicht gewährten Urlaub der der Kündigung
vorangegangenen drei Kalenderjahre vom Arbeitgeber verlangen konnte.
Der Kläger hatte rund fünf Jahre als Bote bei dem
beklagten Apotheker gearbeitet, bis dieser ihn kündigte. Im
Arbeitsvertrag hatten die Vertragsparteien vereinbart, dass der Kläger
30 Stunden wöchentliche Arbeitszeit vergütet erhielt, allerdings nur
27,5 Stunden tatsächlich zu arbeiten hatte, wobei die übrigen 2,5
Stunden auf seinen Jahresurlaub angerechnet werden sollten. Nach seiner
Kündigung verlangte der Arbeitnehmer die Vergütung des nicht genommenen
Urlaubs der vorangegangenen drei Kalenderjahre.
Das LAG Köln stellte zunächst fest, dass die
Regelung im Arbeitsvertrag gegen § 13 Abs. 1 Satz 3 Bundesurlaubsgesetz
(BUrlG) verstößt. Nach dieser Regelung dürfen die Vertragsparteien nicht
zuungunsten des Arbeitnehmers vom Bundesurlaubsgesetz abweichen. Somit
stand dem Kläger gesetzlicher Mindesturlaub nach § 3 BUrlG zu.
In Fortsetung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aus dem November 2018 (vgl. Newsletter 4/2018),
entschied das LAG Köln, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer
nachweislich dazu hätte auffordern müssen, den Urlaub der
vorangegangenen drei Jahre zu nehmen. Dadurch, dass eine entsprechende
Aufforderung unterblieb, ist der Urlaub nicht verfallen, sodass der
Kläger Urlaubsabgeltung zu erhalten hatte.