04/2019

Neues aus der Rechtsprechung

Schutzpflichten von Heimen gegenüber ihren Bewohnern.

(Bundesgerichtshof, Urteil vom 22.08.2019, III ZR 113/18)

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte darüber zu entscheiden, inwieweit den Betreiber einer Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung Schutzpflichten im Zusammenhang mit dem Baden treffen.

Die Bewohnerin der beklagten Einrichtung bat die Betreuungskraft baden zu dürfen, was diese gestattete. In den vergangenen Jahren hatte die Bewohnerin dies immer ohne Probleme selbständig bewältigt. Die Mischbatterie, an der sie sich heißes Wasser in eine Sitzbadewanne in einer Dusche einließ, war nicht mit besonderen Sicherheitsvorkehrungen hinsichtlich eines Verbrühungsschutzes versehen. Die Bewohnerin ließ unbeaufsichtigt derart heißes Wasser ein, dass sie sich Verbrennungen II. und III. Grades an den Füßen und den Unterschenkeln zuzog. Sie benötigte Hauttransplantationen. Es kam zu erheblichen Komplikationen, die dazu führten, dass sie heute auf den Rollstuhl angewiesen ist.

Die Bewohnerin machte ein Schmerzensgeld von 50.000,- € und eine monatliche Rentenzahlung von 300,- € gegen den Einrichtungsträger geltend. Das zuständige Landgericht und Oberlandesgericht wiesen die Klage gegen den Heimträger zunächst ab. Der BGH hob diese Entscheidung auf und verwies die Sache zurück ans Oberlandesgericht.

Der BGH führt aus, dass durch den Heimvertrag Obhutspflichten der Einrichtung gemäß § 241 Abs. 2 BGB zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der ihr anvertrauten Bewohnerin begründet werden. Ebenso bestehe eine allgemeine Verkehrssicherungspflicht zum Schutz der Bewohner vor Schädigungen, die ihnen bspw. wegen Krankheit u.a. durch das Inventar und die bauliche Gestaltung des Heims drohen. Diese Pflichten seien jedoch auf die in vergleichbaren Heimen üblichen (gebotenen) Maßnahmen begrenzt, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind. Maßstab sei das Erforderliche und das für die Bewohner und das Pflegepersonal Zumutbare.

Aus Sicht des BGH sollen diese Erwägungen auch für die Bestimmung der Obhuts- und Verkehrssicherungspflichten eines Heimträgers gelten, soweit in DIN-Normen enthaltene technische Regelungen bestimmte als regelungsbedürftig erkannte Gefahrenlagen beschreiben. Bewohner, die dem Heim zum Schutz ihrer körperlichen Unversehrtheit anvertraut sind, könnten erwarten, dass das Heim sie vor einer Gefahrenlage schütze, soweit sie selbst auf Grund körperlicher oder geistiger Einschränkungen nicht in der Lage seien, die Gefahr zu erkennen und angemessen auf sie zu reagieren. Um die daraus folgende Obhutspflicht zu erfüllen, muss das Heim, soweit dies mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand möglich und für die Bewohner sowie das Pflegepersonal zumutbar ist, nach seinem Ermessen entweder die Empfehlungen der DIN-Norm umsetzen oder aber die erforderliche Sicherheit gegenüber der dieser Norm zugrunde liegenden Gefahr auf andere Weise gewährleisten, um Schäden der Bewohner zu vermeiden.

Nach Auffassung des Gerichts ist im vorliegenden Fall die DIN-Norm DIN EN 806-2 einschlägig. Der DIN-Norm ist über ihren unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus allgemeingültig zu entnehmen, dass bei Warmwasseranlagen das Risiko von Verbrühungen besteht, wenn die Auslauftemperatur mehr als 43 °C beträgt, und deshalb in Einrichtungen mit einem besonders schutzbedürftigen Benutzerkreis (Krankenhäuser, Schulen, Seniorenheime usw.) spezielle Sicherheitsvorkehrungen zur Verminderung des Risikos von Verbrühungen erforderlich sind.

Aus Sicht des BGH hatte das beklagte Heim entweder die Verpflichtung, eine Mischbatterie mit einer Temperaturbegrenzung zu installieren oder die klagende Bewohnerin während des Badens zu beaufsichtigen. Beides war nicht geschehen.

Anmerkung:

Es ist zu vermuten, dass die meisten Altenpflegeheime die hier vom BGH angewandte DIN-Norm bei der Warmwasserversorgung bereits umsetzen. Sollte dies aber im Einzelfall nicht so sein, so ist zu raten, die erforderlichen Mischbatterien einbauen zu lassen.


Grenzen der Obhutspflichten bei der Begleitung zur Toilette.

(Urteil des OLG Karlsruhe vom 18.09.2019, 7 U 21/18)

Das Oberlandesgericht Karlsruhe hatte darüber zu entscheiden, ob die Krankenkasse einer Bewohnerin, die bei einem Toilettengang gestürzt war, die Behandlungskosten von der beklagten Pflegeeinrichtung als Schadensersatz fordern konnte.

Die demente Bewohnerin war von der Pflegekraft zur Toilette begleitet worden und war mit ihrer Hilfe auf dem Toilettensitz sicher zum Sitzen gekommen. Nach dieser üblichen Routine verließ die Pflegekraft zum Schutz der Intimsphäre der Bewohnerin die Toilette und wartete vor der Tür. Es war abgesprochen, dass die Bewohnerin nicht alleine aufsteht. Trotz Absprache hatte die Bewohnerin versucht, allein aufzustehen und war dabei gestürzt.

Das Gericht wies die Berufung der klagenden Krankenkasse zurück und sprach ihr keinen Anspruch auf Erstattung von Behandlungskosten zu.

Aus Sicht des OLG Karlsruhe treffen die Pflegeeinrichtung Obhutspflichten zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Bewohnerin, die begrenzt sind auf die in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind. Maßstab müssen das Erforderliche und das für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare sein. Dabei sei insbesondere auch zu beachten, dass beim Wohnen in einem Heim die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner vor Beeinträchtigungen zu schützen und die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohner zu wahren und zu fördern sind. Angesichts der teilweise schwierigen Entscheidungen sei dem Pflegepersonal ein Beurteilungsspielraum einzuräumen. Maßgeblich ist aus Sicht des Gerichts, ob im konkreten Einzelfall die Entscheidung des Pflegepersonals vertretbar war. Maßstab bei der Beurteilung der Pflegeleistungen sei es nicht, jeden Unfall durch weitgreifende Sicherungsmaßnahmen vermeiden. Ein allumfassender Schutz könne im Spannungsfeld zwischen Freiheitsrecht einerseits und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit andererseits nicht gewährt werden.

Das OLG kam zu dem Ergebnis, dass die gestürzte Bewohnerin trotz ihrer Demenz noch in der Lage war, sich an Absprachen zu halten, sodass die Pflegekraft darauf vertrauen durfte, dass sie nicht allein von der Toilette aufzustehen versucht. Bei der Abwägung zwischen Sicherungsbedürfnis und Intimsphäre bestünden aufgrund der Demenzerkrankung keine Besonderheiten, da auch fortgeschritten Demenzkranke regelmäßig noch Scham empfinden würden und dies unter Umständen nur nicht mehr ausdrücken könnten.


Neues aus der Gesetzgebung

Elternunterhalt in der bisher bekannten Form fällt zum Jahreswechsel weg.

Ab 01.01.2020 tritt § 94 Absatz 1a SGB XII in Kraft, der regelt, dass Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigten gegenüber ihren Kindern und Eltern bei der Gewährung von Sozialhilfe nicht zu berücksichtigen sind, es sei denn, deren jährliches Gesamteinkommen beträgt jeweils mehr als 100.000,- €. Zum Gesamteinkommen der unterhaltsverpflichteten Person zählen sämtliche zu versteuernden Einnahmen. Das Vermögen der Betroffenen bleibt zukünftig bei der Ermittlung eventueller Unterhaltsansprüche unberücksichtigt.

Es besteht zunächst immer die (widerlegbare) Vermutung, dass das Einkommen der unterhaltspflichtigen Personen die Jahreseinkommensgrenze von 100.000,- € nicht übersteigt. Es können zunächst nur von den Leistungsberechtigten Angaben allgemeiner Art verlangt werden, die Rückschlüsse auf die Einkommensverhältnisse der Unterhaltspflichtigen zulassen. Nur wenn im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze bei dem unterhaltspflichtigen Kind oder Elternteil vorliegen, ist dieses verpflichtet, gegenüber dem Sozialamt seine Einkommensverhältnisse konkret offen zu legen.

Mindestlohn in der Pflege steigt zum 01.01.2020.

Der Mindestlohn in der Altenpflege steigt ab Januar 2020 um 0,30 € pro Stunde. Er liegt dann in den alten Bundesländern bei 11,35 € und in den neuen Bundesländern bei 10,85 € pro Stunde. Diese Regelung gilt bis 30.04.2019. Danach soll eine Neuregelung in Kraft treten, die von der Pflegemindestlohnkommission derzeit noch erarbeitet wird.

Mindestvergütung für Auszubildende ab 01.01.2020.

In § 17 Berufsbildungsgesetz wird ein neu gefasster Absatz 2 eingefügt, der die Arbeitgeber dazu verpflichtet, den Auszubildenden ab 2020 eine Mindestvergütung zu zahlen.

Arbeitgeber müssen den Auszubildenden danach im ersten Ausbildungsjahr mindestens 515,- € pro Monat zahlen. 2021 steigt dieser Betrag auf 550,- €, 2022 auf 585,- € und 2023 auf 620,- €. Ab 2024 wird der Steigerungsbetrag fortgeschrieben.

Im zweiten Ausbildungsjahr erhöht sich die Mindestvergütung um 18%, im dritten Ausbildungsjahr um 35% und im vierten um 40%.


Wir wünschen Ihnen frohe Weihnachten und glückliches, gesundes und erfolgreiches Jahr 2020!

 

Foto: © Joe Miletzki (Bundesgerichtshof)


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