01/2020

Neues aus der Rechtsprechung

 

 

Keine automatische Berücksichtigung eines 4%igen Gewinnzuschlags für ein Pflegeheim.

(Bundessozialgericht, Urteil v. 26.09.2019, B 3 P 1/18 R)

Das Bundessozialgericht (BSG) hatte darüber zu entscheiden, ob ein Pflegeheimbetreiber bei der Verhandlung der Kostensätze einen Anspruch auf einen pauschalierten 4%igen Gewinnzuschlag hat. Das Pflegeheim aus Nordrhein-Westfalen hatte die zuständigen Kostenträger zu Vergütungsverhandlungen für den Zeitraum 01.07.2015 bis 30.06.2016 aufgefordert. Hierbei forderte es einen Risikozuschlag von 4% der Gesamtkosten. Die Kostenträger waren zu dieser pauschalierten Gewährung eines Risikozuschlags nicht bereit. Daraufhin rief der Pflegeheimbetreiber die zuständige Schiedsstelle an. Diese gewährte den Zuschlag von 4% und griff als Bezugspunkt hierfür auf § 44 Abs. 1 SGB I zurück. Dort ist der Verzugszins in Höhe von 4% regelt, der für Sozialleistungsträger gilt.

Gegen den Schiedsspruch erhoben die Kostenträger vor dem zuständigen LSG Klage. Das LSG gab der Klage statt. Die Schiedsstelle legte hiergegen vor dem BSG Revision ein. Die Revision wurde durch das Gericht zurückgewiesen.

Aus Sicht des BSG war der Ansatz der Schiedsstelle von vornherein falsch, eine Gewinnmarge zugunsten des Pflegeheimes völlig losgelöst von den kalkulierten Gestehungskosten und einen externen Vergleich festzusetzen. Dies sei mit dem Gesetz nicht vereinbar. Aus Sicht des Gerichtes überschritt die Schiedsstelle damit ihren Beurteilungsspielrahmen und verkannte den Umfang ihrer Amtsermittlungspflicht.

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG hat eine Schiedsstelle zunächst die Einschätzung der Pflegeeinrichtung über die voraussichtlichen Kosten der in der Einrichtung erbrachten Leistungen zu überprüfen (§ 85 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 und Satz 3 SGB XI). In einem zweiten Schritt müssen die Kostenansätze im Rahmen eines externen Vergleiches im Hinblick auf ihre Leistungsgerechtigkeit überprüft werden (§ 84 Abs. 2 Satz 1, 4 und 6 bis 8 SGB XI). Aus Sicht des Gerichtes hat die beklagte Schiedsstelle im vorliegenden Fall das dargestellte Prüfungsschema außer Acht gelassen, da sie weder die kalkulierten Gestehungskosten der Pflegeeinrichtung überprüft hat noch einen externen Vergleich durchgeführt hat.

Das BSG führt weiter aus, dass es sehr wohl zum Beurteilungsspielraum einer Schiedsstelle gehört, auch eine Gewinnkalkulation mit zu berücksichtigen. Bei der Überprüfung kalkulierter Gewinne seien die Prinzipien der Wirtschaftlichkeit und Beitragssatzstabilität zu berücksichtigen. Dies erlegt den Beteiligten einer Pflegesatzvereinbarung eine gewisse Zurückhaltung hinsichtlich der Gewinnmargen auf. Das soll aus Sicht des Gerichtes jedenfalls dann gelten, wenn der Leistungserbringer zusätzlich eine Gewinnmarge fordert, nachdem seine Aufwendungen bereits vollständig prospektiv refinanziert werden.

Anmerkung:

Das Bundessozialgericht macht klare Vorgaben zur Überprüfung des gesetzlich geregelten Gewinnzuschlags. Der pragmatischen Lösung der Schiedsstelle hinsichtlich der Gewährung eines pauschalen 4%igen Gewinnzuschlags hat das BSG dabei eine Absage erteilt. Die rechtssichere Kalkulation eines Gewinnzuschlags dürfte damit deutlich komplizierter geworden sein.


GPS-Uhr mit Alarmfunktion kann ein von der gesetzlichen Krankenversicherung zu leistendes Hilfsmittel sein.

(LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 17.09.2019, L 16 KR 182/18)

Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hatte darüber zu entscheiden, ob der an Trisomie 21 leidende Kläger Anspruch auf eine GPS-Uhr mit Alarmfunktion als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung hat.

Der Kläger leidet an einer geistigen Behinderung, die mit Weglauftendenz und Orientierungslosigkeit einhergeht. Bei ihm sind ein GdB von 100 sowie die Merkzeichen „H“, „B“ und „G“ festgestellt. Er erhält Leistungen des Pflegegrades 5 von der Pflegeversicherung. Der zuständige Facharzt des Klägers beantragte die Kostenübernahme für eine GPS-Notfalluhr als Hilfsmittel der GKV, da der Kläger zuvor bereits zweimal orientierungslos aufgefunden worden war. Dies GPS-Notfalluhr schlägt Alarm, sobald sich der Betroffene aus einem vorher begrenzten Areal entfernt. Der Kläger hatte zuvor andere Arten von Notrufsystemen nicht toleriert und eigenständig entfernt. Die beklagte Krankenkasse lehnte die Kostenübernahme ab, da das MDK-Gutachten zu dem Ergebnis kam, dass es sich bei der Uhr um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt.

Das zuständige Sozialgericht gab der Krankenkasse Recht. Diese Entscheidung wurde vom LSG aufgehoben. Das LSG kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger sehr wohl gegen die Krankenkasse einen Anspruch auf Versorgung mit der begehrten GPS-Notfalluhr als Hilfsmittel im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V hat. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die GPS-Uhr nicht im Hilfsmittelverzeichnis der GKV aufgeführt ist, da es sich hierbei um eine reine Auslegungs- und Orientierungshilfe handele.

Ebenso wenig folgte das LSG der Rechtsauffassung der Krankenkasse, dass es sich bei der GPS-Uhr um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die GPS-Uhr auch von gesunden Menschen im täglichen Leben verwendet wird. Tatsächlich ist die Uhr aber insbesondere für demenzkranke Personen entwickelt worden, um bei bestehender Weglauftendenz und Orientierungslosigkeit möglichst lange ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

Anmerkung:

Diese Rechtsprechung gilt selbstverständlich ebenso für ältere Menschen, die an Demenz oder anderen Krankheiten leiden, die eine Orientierungslosigkeit verursachen können. Die Betroffenen haben einen Anspruch darauf, dass ihr Grundbedürfnis auf Mobilität im Nahbereich trotzdem weiterhin sicher gestellt wird. Die Krankenkasse ist hier zur Kostentragung des Hilfsmittels  im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs verpflichtet.


Neues aus der Gesetzgebung

Höhere Mindestlöhne in der Pflege zum 01. Juli 2020.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat am 22.04.2020 die Vierte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche erlassen.

Die Mindestarbeitsbedingungen insbesondere in der Altenpflege sollen verbessert werden. Der Mindestlohn für Pflegehilfskräfte soll in vier Schritten bis zum 30.04.2022 auf bundesweit einheitlich 12,55 € pro Stunde steigen. Ab Juli 2020 sollen Pflegehilfskräfte im Westen und in Berlin mindestens 11,60 € pro Stunde erhalten, im Osten 11,20 €. Für qualifizierte Pflegehilfskräfte mit mindestens einjähriger Ausbildung wird ein etwas höherer Mindestlohn erst 2021 eingeführt.

Die Verordnung macht diesen Beschluss für die Zeit ab Mai 2020 bis zum 30.4.2022 branchenweit verbindlich. Es werden nach der Art der Tätigkeit und der Qualifikation der Arbeitnehmer differenzierende Mindestentgelte eingeführt. Dadurch sollen insbesondere Pflegefachkräfte und Pflegekräfte mit einer mindestens einjährigen Ausbildung und entsprechenden Tätigkeit bessergestellt werden. Die Mindestentgelte in Ost und West werden bis zum 01.09.2021 nach und nach angeglichen.

§ 4 der Verordnung führt darüber hinaus einen Anspruch auf Mehrurlaub ein. Im Jahr 2020 soll dieser 5 Urlaubstage betragen, in den Jahren 2021 und 2022 jeweils 6 Urlaubstage. Verteilt sich die regelmäßige Arbeitszeit im Jahresdurchschnitt auf mehr oder weniger als fünf Tage in der Woche, erhöht oder verringert sich der Anspruch auf Mehrurlaub entsprechend.


Wir wünschen Ihnen schöne Pfingsttage! Bleiben Sie gesund!

 

Foto: © Dirk Felmeden (Bundessozialgericht); LSG Niedersachsen-Bremen


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