Neues aus der Rechtsprechung
Keine automatische Berücksichtigung eines 4%igen Gewinnzuschlags für ein Pflegeheim.
(Bundessozialgericht, Urteil v. 26.09.2019, B 3 P 1/18 R)
Das
Bundessozialgericht (BSG) hatte darüber zu entscheiden, ob ein
Pflegeheimbetreiber bei der Verhandlung der Kostensätze einen Anspruch
auf einen pauschalierten 4%igen Gewinnzuschlag hat. Das Pflegeheim aus
Nordrhein-Westfalen hatte die zuständigen Kostenträger zu
Vergütungsverhandlungen für den Zeitraum 01.07.2015 bis 30.06.2016
aufgefordert. Hierbei forderte es einen Risikozuschlag von 4% der
Gesamtkosten. Die Kostenträger waren zu dieser pauschalierten Gewährung
eines Risikozuschlags nicht bereit. Daraufhin rief der
Pflegeheimbetreiber die zuständige Schiedsstelle an. Diese gewährte den
Zuschlag von 4% und griff als Bezugspunkt hierfür auf § 44 Abs. 1 SGB I
zurück. Dort ist der Verzugszins in Höhe von 4% regelt, der für
Sozialleistungsträger gilt.
Gegen den Schiedsspruch erhoben die Kostenträger vor
dem zuständigen LSG Klage. Das LSG gab der Klage statt. Die
Schiedsstelle legte hiergegen vor dem BSG Revision ein. Die Revision
wurde durch das Gericht zurückgewiesen.
Aus Sicht des BSG war der Ansatz der Schiedsstelle
von vornherein falsch, eine Gewinnmarge zugunsten des Pflegeheimes
völlig losgelöst von den kalkulierten Gestehungskosten und einen
externen Vergleich festzusetzen. Dies sei mit dem Gesetz nicht
vereinbar. Aus Sicht des Gerichtes überschritt die Schiedsstelle damit
ihren Beurteilungsspielrahmen und verkannte den Umfang ihrer
Amtsermittlungspflicht.
Nach ständiger Rechtsprechung des BSG hat eine
Schiedsstelle zunächst die Einschätzung der Pflegeeinrichtung über die
voraussichtlichen Kosten der in der Einrichtung erbrachten Leistungen zu
überprüfen (§ 85 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 und Satz 3 SGB XI). In einem
zweiten Schritt müssen die Kostenansätze im Rahmen eines externen
Vergleiches im Hinblick auf ihre Leistungsgerechtigkeit überprüft werden
(§ 84 Abs. 2 Satz 1, 4 und 6 bis 8 SGB XI). Aus Sicht des Gerichtes hat
die beklagte Schiedsstelle im vorliegenden Fall das dargestellte
Prüfungsschema außer Acht gelassen, da sie weder die kalkulierten
Gestehungskosten der Pflegeeinrichtung überprüft hat noch einen externen
Vergleich durchgeführt hat.
Das BSG führt weiter aus, dass es sehr wohl zum
Beurteilungsspielraum einer Schiedsstelle gehört, auch eine
Gewinnkalkulation mit zu berücksichtigen. Bei der Überprüfung
kalkulierter Gewinne seien die Prinzipien der Wirtschaftlichkeit und
Beitragssatzstabilität zu berücksichtigen. Dies erlegt den Beteiligten
einer Pflegesatzvereinbarung eine gewisse Zurückhaltung hinsichtlich der
Gewinnmargen auf. Das soll aus Sicht des Gerichtes jedenfalls dann
gelten, wenn der Leistungserbringer zusätzlich eine Gewinnmarge fordert,
nachdem seine Aufwendungen bereits vollständig prospektiv refinanziert
werden.
Anmerkung:
Das Bundessozialgericht macht klare Vorgaben zur
Überprüfung des gesetzlich geregelten Gewinnzuschlags. Der pragmatischen
Lösung der Schiedsstelle hinsichtlich der Gewährung eines pauschalen
4%igen Gewinnzuschlags hat das BSG dabei eine Absage erteilt. Die
rechtssichere Kalkulation eines Gewinnzuschlags dürfte damit deutlich
komplizierter geworden sein.
(LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 17.09.2019, L 16 KR 182/18)
Das
Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hatte darüber zu
entscheiden, ob der an Trisomie 21 leidende Kläger Anspruch auf eine
GPS-Uhr mit Alarmfunktion als Hilfsmittel der gesetzlichen
Krankenversicherung hat.
Der Kläger leidet an einer geistigen Behinderung,
die mit Weglauftendenz und Orientierungslosigkeit einhergeht. Bei ihm
sind ein GdB von 100 sowie die Merkzeichen „H“, „B“ und „G“
festgestellt. Er erhält Leistungen des Pflegegrades 5 von der
Pflegeversicherung. Der zuständige Facharzt des Klägers beantragte die
Kostenübernahme für eine GPS-Notfalluhr als Hilfsmittel der GKV, da der
Kläger zuvor bereits zweimal orientierungslos aufgefunden worden war.
Dies GPS-Notfalluhr schlägt Alarm, sobald sich der Betroffene aus einem
vorher begrenzten Areal entfernt. Der Kläger hatte zuvor andere Arten
von Notrufsystemen nicht toleriert und eigenständig entfernt. Die
beklagte Krankenkasse lehnte die Kostenübernahme ab, da das
MDK-Gutachten zu dem Ergebnis kam, dass es sich bei der Uhr um einen
Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt.
Das zuständige Sozialgericht gab der Krankenkasse
Recht. Diese Entscheidung wurde vom LSG aufgehoben. Das LSG kam zu dem
Ergebnis, dass der Kläger sehr wohl gegen die Krankenkasse einen
Anspruch auf Versorgung mit der begehrten GPS-Notfalluhr als Hilfsmittel
im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs gemäß § 33 Abs. 1 Satz
1 SGB V hat. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die GPS-Uhr nicht im
Hilfsmittelverzeichnis der GKV aufgeführt ist, da es sich hierbei um
eine reine Auslegungs- und Orientierungshilfe handele.
Ebenso wenig folgte das LSG der Rechtsauffassung der
Krankenkasse, dass es sich bei der GPS-Uhr um einen Gebrauchsgegenstand
des täglichen Lebens handelt. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die
GPS-Uhr auch von gesunden Menschen im täglichen Leben verwendet wird.
Tatsächlich ist die Uhr aber insbesondere für demenzkranke Personen
entwickelt worden, um bei bestehender Weglauftendenz und
Orientierungslosigkeit möglichst lange ein selbstbestimmtes Leben zu
ermöglichen.
Anmerkung:
Diese Rechtsprechung gilt selbstverständlich ebenso
für ältere Menschen, die an Demenz oder anderen Krankheiten leiden, die
eine Orientierungslosigkeit verursachen können. Die Betroffenen haben
einen Anspruch darauf, dass ihr Grundbedürfnis auf Mobilität im
Nahbereich trotzdem weiterhin sicher gestellt wird. Die Krankenkasse
ist hier zur Kostentragung des Hilfsmittels im Rahmen des
mittelbaren Behinderungsausgleichs verpflichtet.
Höhere Mindestlöhne in der Pflege zum 01. Juli 2020.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat am
22.04.2020 die Vierte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für
die Pflegebranche erlassen.
Die Mindestarbeitsbedingungen insbesondere in der
Altenpflege sollen verbessert werden. Der Mindestlohn für
Pflegehilfskräfte soll in vier Schritten bis zum 30.04.2022 auf
bundesweit einheitlich 12,55 € pro Stunde steigen. Ab Juli 2020 sollen
Pflegehilfskräfte im Westen und in Berlin mindestens 11,60 € pro Stunde
erhalten, im Osten 11,20 €. Für qualifizierte Pflegehilfskräfte mit
mindestens einjähriger Ausbildung wird ein etwas höherer Mindestlohn
erst 2021 eingeführt.
Die Verordnung macht diesen Beschluss für
die Zeit ab Mai 2020 bis zum 30.4.2022 branchenweit verbindlich. Es
werden nach der Art der Tätigkeit und der Qualifikation der Arbeitnehmer
differenzierende Mindestentgelte eingeführt. Dadurch sollen
insbesondere Pflegefachkräfte und Pflegekräfte mit einer mindestens
einjährigen Ausbildung und entsprechenden Tätigkeit bessergestellt
werden. Die Mindestentgelte in Ost und West werden bis zum 01.09.2021
nach und nach angeglichen.
§ 4 der Verordnung führt darüber hinaus einen
Anspruch auf Mehrurlaub ein. Im Jahr 2020 soll dieser 5 Urlaubstage
betragen, in den Jahren 2021 und 2022 jeweils 6 Urlaubstage. Verteilt
sich die regelmäßige Arbeitszeit im Jahresdurchschnitt auf mehr oder
weniger als fünf Tage in der Woche, erhöht oder verringert sich der
Anspruch auf Mehrurlaub entsprechend.
Foto: © Dirk Felmeden (Bundessozialgericht); LSG Niedersachsen-Bremen