Neues aus der Rechtsprechung
Es besteht ein Anspruch auf 4% Zinsen bei verspäteter Zahlung durch den Leistungsträger.
(BSG, Urteil v. 03.07.2020, B 8 SO 15/19 R - Terminsbericht)
Das
Bundessozialgericht (BSG) hatte darüber zu entscheiden, unter welchen
Voraussetzungen ein Leistungsträger verspätet gezahlte Sozialleistungen
zu verzinsen hat.
Die Klägerin erhielt von dem beklagten
Sozialhilfeträger von August 2015 bis Juli 2016
Grundsicherungsleistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII. Das Sozialamt
übernahm in diesem Zeitraum die Kosten für Unterkunft und Heizung nur
teilweise. Die Klägerin lies den Bewilligungsbescheid zunächst
bestandskräftig werden und stellte erst später einen Nachprüfungsantrag
nach § 44 SGB X wegen der zu geringen Zahlungen der Kosten für
Unterkunft und Heizung.
Der Nachprüfungsantrag wurde zunächst abgelehnt. Die
hiergegen erhobene Klage gewann die Klägerin und erhielt eine
Nachzahlung durch das Sozialamt. Allerdings weigerte es sich, den Betrag
mit 4% ab Fälligkeit zu verzinsen. Hiergegen erhob die Klägerin erneut
Klage. Das BSG sprach der Klägerin in dritter Instanz einen Zinsanspruch
nach § 44 Absatz 1 SGB I zu.
Ansprüche auf Geldleistungen sind nach Ablauf eines
Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit zu verzinsen. Aus
Sicht des BSG werden Ansprüche auf Sozialleistungen mit ihrem Entstehen
fällig. Sie entstehen, sobald die im Gesetz bestimmten
materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen.
Das BSG führt weiter aus, dass die
Anspruchsvoraussetzungen auf höhere Leistungen der Unterkunft und
Heizung von August 2015 bis Juli 2016 durch das rechtskräftige Urteil
des Sozialgerichts vorgelegen haben. Dem stehe die Bestandskraft des
ursprünglich höhere Leistungen ablehnenden Bescheids nicht entgegen.
Wird eine Leistung zu Unrecht abgelehnt, könne der Anspruch zwar nicht
durchgesetzt werden, solange die Bestandskraft des Bescheids fortwirkt,
er sei aber gleichwohl entstanden.
Anmerkung:
Das Urteil hat grundsätzliche Bedeutung für die
Verzinsung von Ansprüchen auf Sozialleistungen. Das BSG stellt klar,
dass der Zinsanspruch ab dem Monat nach Antragstellung entsteht, wenn zu
diesem Zeitpunkt der vollständige Leistungsantrag vorgelegen hat -
unabhängig davon, wann eine rechtskräftige Entscheidung hierzu vorliegt.
Nach § 44 Absatz 2 SGB I beginnt die Verzinsung
frühestens nach Ablauf von sechs Monaten nach Eingang des vollständigen
Leistungsantrags. Lässt sich ein Leistungsträger also mit der
Entscheidung des Antrags und damit verbunden mit der Zahlung der
Leistungsentgelte mehr als sechs Monate Zeit, hat er die Entgelte ab dem
zweiten Monat nach Antragseingang zu verzinsen. Bei Beantragung von
Hilfe zur Pflege beim Sozialamt kommt es regelmäßig vor, dass die Frist
von sechs Monaten zur Entscheidung des Antrags überschritten wird und
die Zahlung mit entsprechender Verzögerung geleistet wird.
(LG Berlin, Urteil v. 27.11.2019, 65 S 112/19)
Das Landgericht (LG) Berlin hatte darüber zu
entscheiden, ob der Klägerin ein Rückzahlungsanspruch geleisteter
Entgelte wegen ungerechtfertigter Bereicherung zusteht, die die Beklagte
aufgrund einseitiger Entgelterhöhung auf Basis des Wohn- und
Betreuungsvertrags vereinnahmt hatte.
Die Beklagte hatte sich im Wohn- und
Betreuungsvertrag das Recht vorbehalten, Entgelte aufgrund einseitiger
Erklärung nach billigem Ermessen anzupassen. Die Klägerin zahlte die
erhöhten Entgelte zunächst und machte dann eine Rückforderung von rund
2.000,- € geltend.
Das Landgericht kam zu dem Ergebnis, dass die
einseitige Entgelterhöhung der Beklagten gegen §§ 9, 16 WBVG verstößt.
Es folgt damit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach die
Entgelterhöhung des Unternehmers wegen gestiegener Kosten auf Basis von §
9 WBVG der Zustimmung durch die Verbraucher bedarf. Dies gilt auch,
wenn die Entgelterhöhung auf Basis einer neuen Pflegesatzvereinbarung
mit den Pflegekassen erfolgt.
Das Gericht sprach der Klägerin einen
Erstattungsanspruch der von ihr gezahlten erhöhten Entgelte aus
ungerechtfertigter Bereicherung nach §§ 812 ff. BGB zu. Hiergegen
spreche auch nicht die Regelung des § 814 BGB, wonach eine Rückforderung
u.a. dann ausgeschlossen ist, wenn der Leistende wusste, dass er nicht
zur Leistung verpflichtet war. Die Klägerin habe im Zeitpunkt der
Zahlung nicht gewusst, dass sie zur Entrichtung der einseitig erhöhten
Entgelte nicht verpflichtet war.
Hinweis:
Der Bundesgerichtshof hatte schon vor vier Jahren
Klauseln, die den Unternehmer zur einseitigen Erhöhung der Wohn- und
Betreuungsentgelte aufgrund gestiegener Kosten berechtigen, für
unzulässig erklärt (vgl. Newsletter Altenpflege Oktober 2016).
Ferner folgt das Landgericht der Rechtsprechung des BGH zur
ungerechtfertigten Bereicherung. Der Leistende muss danach vor Zahlung
von Entgelten verstanden haben, dass er hierzu rechtlich nicht
verpflichtet ist und die Zahlung trotzdem geleistet haben. Nur dann hat
er nach § 814 BGB keinen Rückerstattungsanspruch. Das dürfte wohl nur
bei einer geringen Zahl der Betroffenen in Betracht kommen.
(BGH, Beschluss vom 30.04.2020, VII ZB 82/17)
Der
Bundesgerichtshof (BGH) hatte darüber zu entscheiden, ob ein
Pflegeheimbetreiber rechtmäßig die Zwangsvollstreckung in das
Verwahrgeldkonto eines Bewohners betreiben darf, der mit der Zahlung der
Entgelte für Unterkunft und Pflege im Rückstand ist.
Der BGH kam zu dem Ergebnis, dass der
Pflegeheimbetreiber als Gläubiger das Verwahrgeldkonto des Schuldners im
Wege der Zwangsvollstreckung pfänden darf. Aus Sicht des Gerichts ist
dem Schuldner lediglich der monatliche Barbetrag nach § 27b Absatz 3 SGB
XII zu belassen (aktuell 116,64 €).
Nach Auffassung des BGH muss Bewohnern im Pflegeheim
der notwendige Lebensunterhalt zur Verfügung stehen. Dieser wird im
Grundsatz dadurch gedeckt, das den Betroffenen von der Pflegeeinrichtung
Unterkunft, Verpflegung und Pflegeleistungen gewährt werden. Darüber
hinaus müsse den Betroffenen ein monatlicher Betrag in Höhe des
Barbetrags nach § 27b Absatz 3 SGB XII als notwendiger Lebensunterhalt
verbleiben. Darüber hinausgehende Geldbeträge auf dem Verwahrgeldkonto
können gepfändet werden.
Der BGH stellt klar, dass dies unabhängig davon
gilt, ob der Schuldner Sozialhilfeempfänger ist oder nicht. Bei
Sozialhilfeempfängern unterfalle nur die monatliche Leistung (bspw.
Hilfe zur Pflege oder Grundsicherung) dem Pfändungsschutz des § 17
Absatz 1 SGB XII. Verbleibt nach Ablauf des Leistungsmonats Geld aus der
Sozialhilfeleistung auf dem Konto der Betroffenen, so sind auch diese
Gelder pfändbar.
Anmerkung:
Pflegeheimbetreiber sollten zur Sicherung ihrer
Ansprüche Titel (Vollstreckungsbescheid, Urteil) über die
Zahlungsrückstände säumiger Zahler erwirken. Aus dem Titel kann dann die
Zwangsvollstreckung betrieben werden. Der BGH erweitert mit dem
vorligenden Beschluss die Möglichkeiten der Pflegeheimbetreiber
deutlich, wenigstens einen Teil der offenen Entgelte noch von den
Schuldnern beizutreiben.