04/2020

Neues aus der Rechtsprechung

 

An die Bewilligung des Wohngruppenzuschlags in Wohngemeinschaften dürfen keine überzogenen Anforderungen gestellt werden.

(BSG, 3 Urteile v. 10.09.2020, B 3 P 2/19 R, B 3 P 3/19 R, B 3 P 1/20 R)

Das Bundessozialgericht (BSG) hatte in drei Verfahren darüber zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen die Pflegekassen und die private Pflegepflichtversicherung einen Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI in ambulanten Wohngemeinschaften zu bewilligen haben.

Das BSG kam auf Basis der drei unterschiedlichen Ausgangsfälle zu dem Ergebnis, dass es u.a. gesetzliches Ziel war, ambulante Wohnformen zu fördern und weiterzuentwickeln und die Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen zu stärken, sodass eine enge Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 38a SGB XI ausscheidet.

Aus Sicht des Gerichts ist von einer "gemeinsamen Wohnung" im Sinn von § 38a Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI erst dann nicht mehr auszugehen, wenn die gesamte Wohnanlage so gestaltet ist, dass dies keine Möglichkeit eines gemeinschaftlichen Zusammenwohnens bietet.

Der Anspruch auf Wohngruppenzuschlag sei auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass mehr als eine Person Tätigkeiten gemäß § 38a Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI für die Wohngruppe verrichten sollen. Nach Auffassung des BSG lässt die Norm sehr wohl die Beauftragung mehrerer natürlicher und/oder juristischer Personen in Kombination wie auch in einem gestuften Auftragsverhältnis zu. Der Begriff "Präsenzkraft" werde lediglich in der Gesetzesbegründung verwendet. Dies schließt nach Auffassung des BSG die Beauftragung juristischer Personen nicht aus. Ferner hält das Gericht auch die Möglichkeit juristischer Personen, konkret benannte natürliche Personen mit der Wahrnehmung bestimmter Aufgaben zu betrauen, für ausreichend im Sinne des Gesetzes.

Auch das gesetzliche Erfordernis einer "gemeinschaftlichen" Beauftragung zur Verrichtung der in § 38a Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI genannten Aufgaben darf aus Sicht des Bundessozialgerichts nicht an überhöhte Anforderungen geknüpft werden. Die wechselnde personelle Zusammensetzung und eine damit verbundene Fluktuation machen eine gewisse Flexibilität bei der Beauftragung erforderlich. Nach Auffassung des Gerichts reicht es daher aus, wenn einschließlich der die Leistung begehrenden pflegebedürftigen Person mindestens zwei weitere pflegebedürftige Mitglieder der Wohngemeinschaft an der gemeinschaftlichen Beauftragung mitwirken und - im Falle eines Wechsels oder des Ausscheidens von Mitgliedern - die verbliebenen und neuen die Beauftragung aufrechterhalten. Dies könne zur Folge haben, dass mehrere Beauftragungen nebeneinander innerhalb der Wohngemeinschaft möglich sind.

Das BSG stellt klar, dass die Aufgaben der Präsenzkraft sich klar von den Aufgaben der Pflegekräfte in der WG unterscheiden müssen und dass sich das Maß der Versorgung von dem einer stationären Pflegeeinrichtung unterscheiden muss. Hierfür komme es darauf an, dass regelmäßig Beiträge der Bewohner selbst, ihres persönlichen sozialen Umfelds oder von bürgerschaftlich Tätigen zur Versorgung notwendig bleiben. Eine ambulante Versorgungsform liege somit vor, wenn keine vollständige Übertragung der Verantwortung ohne freie Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistungen erfolgt, sondern wenn die Versorgung auf die Übernahme von Aufgaben durch Dritte angelegt ist, unabhängig davon, ob auch tatsächlich davon in bestimmter Weise Gebrauch gemacht werde.

Anmerkung:

Das Bundessozialgericht bringt mit den Entscheidungen deutlich mehr Klarheit für die Bewilligung des Wohngruppenzuschlags und beendet - hoffentlich - die Praxis der Pflegekassen und der privaten Pflegepflichtversicherung, völlig überzogene Anforderungen an die Bewilligung des Zuschlags zu stellen.


Die Kündigung eines Mietvertrags, der nicht unter das WBVG fällt, bedarf der Genehmigung duch das Betreuungsgericht.

(LG München, Urteil v. 30.07.2020, 31 S 17737/19)

Das Landgericht (LG) München hatte darüber zu entscheiden, ob der Beklagte die Kosten einer Unterbringung in einem Wohnstift zu zahlen hatte oder ob der Vertrag durch Mietvertragskündigung des gesetzlichen Betreuers beendet worden war.

Der Beklagte hatte mit der Klägerin einen "Altenheimvertrag" für die Unterbringung in einem Wohnstift geschlossen. Bei Pflegebedürftigkeit sollte der Umzug in ein Pflegeheim der Klägerin erfolgen. Das zuständige Betreuungsgericht hatte dem gesetzlichen Betreuer des Beklagten schriftlich bestätigt, dass die Kündigung des Altenheimvertrags keiner gerichtlichen Genehmigung bedurfte. Daraufhin kündigte der gesetzliche Betreuer den Vertrag. Die Klägerin wandte sich gegen die Wirksamkeit der Kündigung ans Amtsgericht München.

Das Amtsgericht München kam zu dem Ergebnis, dass der streitgegenständliche Altenheimvertrag kein Vertrag im Sinne von § 1 Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) ist, da hier neben dem Wohnen nicht auch Betreuungs- und Pflegeleistungen geschuldet werden. Damit sei die Kündigung gemäß § 1907 BGB durch das Betreuungsgericht genehmigungspflichtig.

Die hiergegen vom Beklagten eingelegte Berufung wies das Landgericht München ab und bestätigte das Urteil des Amtsgerichts. Das Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass eine Klausel, nach der bei Pflegebedüftigkeit ein Wechsel in ein angeschlossenes Pflegeheim möglich wird, nicht den Anwendungsbereich von § 1 WBVG eröffnet. Das Betreuungsgericht habe sich nicht ausreichend mit dem Vertrag auseinandergesetzt.

Der Beklagte wurde zur Zahlung von insgesamt rund 21.000,- € verurteilt.

Hinweis:

Nur Verträge, die dem Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz unterfallen, bedürfen für ihre Kündigung nicht der vorherigen Genehmigung durch das Betreuungsgericht. Handelt es sich zum Beispiel um einen Vertrag mit einer Seniorenresidenz über sog. Servicewohnen oder mit einer Pflege-WG außerhalb des Anwendungsbereichs des WBVG, so ist bei nicht geschäftsfähigen Betreuten vor Kündigung des Wohnplatzes die Genehmigung durch das zuständige Betreuungsgericht durch den gesetzlichen Betreuer einzuholen. Anderenfalls ist die Kündigung unwirksam und der Betreute bleibt zur Zahlung der monatlichen Entgelte verpflichtet.


Neues aus der Gesetzgebung

Die neu gefasste Coronavirus-Testverordnung (TestV) ist am 2. Dezember 2020 in Kraft getreten

Die Anforderungen für Pflegeeinrichtungen nach der neugefassten TestV gestalten sich wie folgt:

  • Die Regelungen der Verordnung finden Anwendung auf "Einrichtungen und Unternehmen". Hierzu gehören u.a. stationäre Pflegeeinrichtungen, teilstationäre Tages-/ Nachtpflegeeinrichtungen und ambulante Pflegedienste, die Intensivpflege in Einrichtungen, Wohngruppen und sonstigen gemeinschaftlichen Wohnformen erbringen.
  • Die Testungen bei Infektionen in der Einrichtung oder dem Unternehmen sind in § 3 TestV geregelt. Hiernach besteht ein Anspruch auf Testung auch asyptomatischer Pflegebedürftiger, Mitarbeiter und Besucher, wenn in den zurückliegenden 10 Tagen eine infizierte Person in der Einrichtung oder dem Unternehmen festgestellt worden war.
  • Gemäß § 4 Absatz 1 TestV haben Pflegebedürftige, Mitarbeiter und Besucher darüber hinaus Anspruch auf einen PoC-Antigen-Test zur allgemeinen Verhinderung der Ausbreitung des Virus, auch wenn sie asyptomatisch sind. Voraussetzung hierfür ist ein Testkonzept der Einrichtung oder des Unternehmens, das die genannten Personengruppen zu einer entsprechenden Testung verpflichtet.
  • Für die Kostenübernahme auf Basis des Testkonzepts ist ein vorheriger Antrag an das zuständige Gesundheitsamt nach § 6 Absatz 3 TestV erforderlich. Die Einrichtungen oder Unternehmen müssen die Feststellung des Gesundheitsamts beantragen, dass im Rahmen ihres einrichtungs- oder unternehmensbezogenen Testkonzepts monatlich bestimmte Mengen an PoC-Antigen-Tests in eigener Verantwortung beschafft und genutzt werden können. Das Testkonzept ist mit dem Antrag zu übermitteln.
  • Die Gesundheitsämter legen die Menge der PoC-Antigen-Tests unter Berücksichtigung der Anzahl der Personen fest, die von der Einrichtung gepflegt werden. Von voll- und teilstationären Einrichtungen sollen dabei je Pflegebedürftigem bis zu 30 PoC-Antigen-Tests und von ambulanten Intensivpflegediensten bis zu 15 PoC-Antigen-Tests pro Monat beschafft und genutzt werden (§ 6 Absatz 3 Satz 3 TestV). Solange das Gesundheitsamt den Antrag noch nicht bewilligt hat, können die zuständigen Einrichtungen und Unternehmen auf Basis der vorgenannten Mengen immer für bis zu 30 Tage Tests im Voraus besorgen (§ 6 Absatz 3 Satz 4 TestV). Eine Kostenerstattung erfolgt aber nur, wenn zuvor der erforderliche Antrag an das Gesundheitsamt gestellt worden war.
  • Gemäß § 7 Absatz 2 Satz 3 TestV erfolgt die Abrechnung der Kosten nach dem Verfahren nach § 150 Abs. 2 bis 5a SGB XI (Pflege-Rettungsschirm). Gemäß § 11 TestV werden die Sachkosten erstattet, maximal aber 9,- € je Test.

Wir wünschen Ihnen geruhsame Weihnachtstage und ein glückliches und insbesondere gesundes neues Jahr.

Fotos: © Dirk Felmeden (Bundessozialgericht); Deutscher Bundestag


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