01/2021

Neues aus der Rechtsprechung

 

Bewohner, bei denen die ersthafte Gefahr zur Selbstschädigung besteht, müssen vor diesen Gefahren besonders geschützt werden.

(BGH, Urteil v. 14.01.2021, III ZR 168/19)

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte darüber zu entscheiden, ob der Ehefrau eines verstorbenen Bewohners Schadensersatz und Schmerzensgeld zusteht, weil der Bewohner in der Einrichtung vom Dach gestürzt und dadurch verstorben war.

Der verstorbene Bewohner litt unter einer Demenz aufgrund des Korsakow-Syndroms. Er war weder zeitlich, noch räumlich oder örtlich orientiert. Phasenweise war er zur eigenen Person nicht orientiert. Bei Einzug ins Pflegeheim erhielt er ein Zimmer im obersten Stockwerk, das über zwei Dachfenster verfügte, die vom Boden aus 1,2 Meter hoch lagen. Die Fenster waren nicht besonders gesichert. Darunter befanden sich eine Bank und ein Heizkörper, die das Hinaufsteigen zum Fenster und das Hinausklettern aufs Dach ermöglichten. In einem unbeaufsichtigten Moment stieg der Bewohner aufs Dach und stürzte von da aus zu Tode.

Der BGH geht davon aus, dass der Pflegeheimträger im Voraus eine Risikoprognose für den Bewohner hätte durchführen müssen um einzuschätzen, ob er sich ohne Sicherungsmaßnahmen hätte selbst schädigen können. Aus Sicht des Gerichts ist dabei auch zu beachten, dass bereits eine Gefahr, deren Verwirklichung nicht sehr wahrscheilich ist, aber zu besonders schweren Folgen führen kann, geeignet ist, Sicherungspflichten beim Heimträger auszulösen.

Nach Auffassung des BGH darf daher ein Bewohner, bei dem eine Selbstschädigungsgefahr erkennbar ist, nicht in einem Zimmer untergebracht werden, in dem er über einfach zu erreichende und ungesicherte Fenster auf das Dach steigen kann. Gerade bei Bewohnern, die an einer hochgradigen Demenz leiden, seien solche unkontrollierten und unkalkulierbaren Handlungen, wie sie der Kläger vorgenommen hatte, zu erwarten.

Zur Klärung noch offener Fragen verwies der BGH das Verfahren zurück an die zweite Instanz.

Anmerkung:

Der BGH setzt seine Rechtsprechung fort, wonach (nur) bei absehbaren, erheblichen und vom Bewohner nicht zu beherrschenden Risiken einer Selbstschädigung präventive Sicherungsmaßnahmen durch das Pflegeheim durchzuführen sind. Das bedeutet zugleich, dass nicht bei jedem Bewohner alle denkbaren Sicherungsmaßnahmen durchzuführen sind, um jedes mögliche Risiko auszuschließen. Das Selbstbestimmungsrecht der Bewohner ist weiterhin zu wahren.


Zur Einordnung von Bereitschaftsdiensten in Form der Rufbereitschaft als Arbeitszeit.

(EuGH, 2 Vorabentscheidungen v. 09.03.2021, C-344/19 und C-580/19)

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte darüber zu entscheiden, wann Bereitschaftsdienst in Form der Rufbereitschaft Arbeitszeit ist und damit entsprechend zu vergüten ist. Dem Gericht waren zwei Verfahren zur Vorabentscheidung vorgelegt worden, eines vom Verwaltungsgericht Darmstadt.

Der Kläger ist Feuerwehrmann in der Stadt Offenbach am Main. Neben seiner regulären Dienstzeit musste er regelmäßig Bereitschaftszeiten in Form von Rufbereitschaft leisten. Während dieser Zeiten war er nicht verpflichtet, sich an einem von seinem Arbeitgeber bestimmten Ort aufzuhalten, musste aber erreichbar und in der Lage sein, im Alarmfall innerhalb von 20 Minuten in seiner Einsatzkleidung und mit dem ihm zur Verfügung gestellten Einsatzfahrzeug die Stadtgrenzen zu erreichen. Aus Sicht des Klägers stellt diese Form der Rufbereitschaft Arbeitszeit dar, da er hierdurch erheblich in seiner Freizeitgestaltung eingeschränkt ist.

Nach Auffassung des EuGH fällt auch die Rufbereitschaft in vollem Umfang unter den Begriff „Arbeitszeit", wenn die während der Rufbereitschaft dem Arbeitnehmer auferlegten Einschränkungen seine Freizeitgestaltung objektiv ganz erheblich beeinträchtigen. Umgekehrt ist, wenn es keine solchen Einschränkungen gibt, nur die Zeit als „Arbeitszeit" anzusehen, in der während solcher Bereitschaftszeiten tatsächlich Arbeitsleistung erbracht wird. Nach Auffassung des Gerichts können bei der Beurteilung, ob eine Bereitschaftszeit „Arbeitszeit" darstellt, nur Einschränkungen berücksichtigt werden, die dem Arbeitnehmer durch nationale Rechtsvorschriften, durch einen Tarifvertrag oder durch seinen Arbeitgeber auferlegt werden. Dagegen sind organisatorische Schwierigkeiten unbeachtlich, die eine Bereitschaftszeit infolge natürlicher Gegebenheiten oder der freien Entscheidung des Arbeitnehmers für ihn mit sich bringen kann. Dies sei beispielsweise dann der Fall, wenn das Gebiet, das der Arbeitnehmer während einer Bereitschaftszeit in Form von Rufbereitschaft praktisch nicht verlassen kann, nur wenige Möglichkeiten für Freizeitaktivitäten bietet.

Hinweis:

Das Verwaltungsgericht Darmstadt hat nun anhand der vorgenannten, vom EuGH aufgestellten Kriterien zur Rufbereitschaft konkret zu prüfen, ob die Rufbereitschaft des klagenden Feuerwehrmannes Arbeitszeit ist oder nicht.


Neues aus der Gesetzgebung

Höhere Mindestlöhne in der Pflege zum 01. April 2021.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hatte am 22.04.2020 die Vierte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche erlassen.

Der Mindestlohn für Pflegehilfskräfte soll in vier Schritten bis zum 30.04.2022 auf bundesweit einheitlich 12,55 € pro Stunde steigen. Ab April 2021 steigt der Mindestlohn auf 11,80 € (West) bzw. 11,50 € (Ost) pro Stunde. Ab September 2021 wird die unterschiedliche Entlohnung nach Ost und West abgeschafft.

Für qualifizierte Pflegehilfskräfte mit mindestens einjähriger Ausbildung steigt der Mindestlohne ab April 2021 auf 12,50 (West) bzw. 12,20 Euro (Ost) und ab April 2022 einheitlich auf 13,20 € pro Stunde.

§ 4 der Verordnung führt darüber hinaus einen Anspruch auf Mehrurlaub ein. In den Jahren 2021 und 2022 soll dieser jeweils 6 Urlaubstage betragen. Verteilt sich die regelmäßige Arbeitszeit im Jahresdurchschnitt auf mehr oder weniger als fünf Tage in der Woche, erhöht oder verringert sich der Anspruch auf Mehrurlaub entsprechend.


Wir wünschen Ihnen schöne Ostertage. Bleiben Sie gesund.

Foto/Logo: © Joe Miletzki (Bundesgerichtshof); Europäische Union


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