02/2021

Neues aus der Rechtsprechung

 

Die Umsetzung einer Arbeitnehmerin nach Konflikt über FFP2-Masken ist rechtmäßig.

(ArbG Herne, Urteil v. 06.05.2021, 4 Ca 2437/20)

Das Arbeitsgericht (ArbG) Herne hatte darüber zu entscheiden, ob die Umsetzung einer Krankenschwester durch den Arbeitgeber rechtmäßig war.

Die klagende Krankenschwester ist seit dem Jahr 2000 im Krankenhaus des Beklagten beschäftigt. Zuletzt wurde sie auf der Intensivstation eingesetzt. Dort werden auch an COVID-19 erkrankte Patienten behandelt, sodass die Beschäftigten bei sämtlichen pflegerischen Tätigkeiten FFP2-Masken tragen müssen. Der Arbeitgeber hatte für FFP2-Masken Tragezeiten von 120 Minuten mit einer nachfolgenden Tragepause von 15 Minuten festgelegt. Der Betriebsarzt hatte keine Bedenken. Ferner hatte der Arbeitgeber den Arbeitssicherheitsbeauftragten beteiligt und die Mitarbeitervertretung einbezogen. Die Klägerin hatte sich daraufhin wiederholt an einen Vorgesetzten auf der Intensivstation gewandt und bemängelt, dass die Tragezeiten auf der Station von den Empfehlungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung abweichen, die eine Tragezeit von 75 Minuten und einer Pausenzeit von 30 Minuten vorsehen. Mit Wirkung zum 30.11.2020 wies der Arbeitgeber die Klägerin an, als Krankenschwester auf einer anderen Station des Krankenhauses tätig zu werden. Hiergegen wandte sich die Klägerin vor dem Arbeitsgericht.

Das Arbeitsgericht Herne kam zu dem Ergebnis, dass der Arbeitgeber der Krankenschwester im Rahmen seines Direktions- und Weisungsrechts einen anderen Arbeitsplatz im Krankenhaus zuweisen durfte. Aus Sicht des Gerichts hat der Arbeitgeber durch die Umsetzung der Krankenschwester deren Besorgnis um ihre Gesundheit wegen der Tragezeiten der FFP2-Masken zeitnah Rechnung getragen und zugleich das Konfliktpotential für alle Arbeitnehmer über Tragezeiten der FFP2-Masken auf der Intensivstation reduziert, sodass der Betriebsfrieden in diesem Bereich wiederhergestellt wurde.

Das Arbeitsgericht Herne kommt zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Umsetzung um eine verhältnismäßig milde Maßnahme handelt, die die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für beide Parteien ermöglicht. Da die Umsetzung im Wesentlichen unter Beibehaltung der bisherigen Vergütung erfolgte, müsse das Interesse der Klägerin an der Beibehaltung ihres bisherigen Arbeitsplatzes auf der Intensivstation zurückstehen.

Hinweis:

Arbeitgeber haben im Rahmen ihres Direktions- und Weisungsrechts das Recht, Arbeitnehmer auf einen anderen Arbeitsplatz bzw. an einen anderen Arbeitsort umzusetzen. Voraussetzung ist, dass diese Rechte nicht durch Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag eingeschränkt oder ausgeschlossen sind und dass die Maßnahme verhältnismäßig ist, also keine weniger einschneidenden Maßnahmen gegenüber dem Arbeitnehmer vorrangig anzuwenden sind.


Zur Frage von Entschädigungsansprüchen wegen Quarantäne nach dem Infektionsschutzgesetz.

(VG Koblenz, 2 Urteile vom 10.05.2021, 3 K 107/21.KO und 3 K 108/21.KO)

Das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz hatte darüber zu entscheiden, ob einem Arbeitgeber Entschädigungsleistungen nach dem Infektionsschutzgesetz für zwei Arbeitnehmerinnen zustehen, die in 14tägige häusliche Quarantäne mussten.

Der Arbeitgeber beantragte beim beklagten Land Rheinland-Pfalz die Erstattung von Entschädigungszahlungen, die er während der Zeit der Quarantäne an seine Mitarbeiterinnen für deren Verdienstausfall geleistet hatte sowie von Sozialversicherungsbeiträgen. Das Land gewährte lediglich für die Zeit ab dem sechsten Tag der Absonderung eine Erstattung mit dem Hinweis, die Mitarbeiterinnen hätten ggü. dem Arbeitgeber für die ersten fünf Tage der Quarantäne einen Anspruch auf Lohnfortzahlung.

Aus Sicht des VG Koblenz hat der Arbeitgeber für Quarantänezeiten seiner Mitarbeiterinnen nach dem Infektionsschutzgesetz grundsätzlich einen Anspruch auf Kostenerstattung. Dieser Anspruch scheide aber aus, da den Mitarbeiterinnen trotz ihrer Verhinderung an der Ausübung ihrer Tätigkeit gegen den Arbeitgeber ein Lohnfortzahlungsanspruch zusteht. Gemäß § 616 Satz 1 BGB besteht ein Anspruch auf Lohnfortzahlung, wenn der Arbeitnehmer für eine nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird. Dies sei hier der Fall gewesen. Bei den behördlichen Quarantäneanordnungen, die aufgrund eines Ansteckungsverdachts der Arbeitnehmerinnen der Klägerin ergangen sind, handelt es sich um ein in deren Person liegendes Leistungshindernis.

Hinweis:

Es bleibt abzuwarten, ob dieses Urteil Bestand haben wird und der Sachverhalt von anderen Verwaltungsgerichten ebenso entschieden wird.

Typische Anwendungsfälle von § 616 Satz 1 BGB sind auch die kurzfristige unverschuldete Arbeitsverhinderung des Arbeitnehmers wegen eines Arztbesuchs, der Pflege eines erkrankten Kindes, der eigenen Eheschließung, der Geburt eines Kindes oder einer Zeugenaussage vor Gericht. Es ist möglich, die Regelung des § 616 BGB im Arbeitsvertrag abzubedingen.


Neues aus der Gesetzgebung

Die Pflegereform wurde von Bundestag und Bundesrat verabschiedet.

Die wichtigsten Neuregelungen im Überblick:

  • Ab dem 1. September 2022 sollen nur noch Pflegeeinrichtungen zur Versorgung zugelassen werden, die ihre Pflege- und Betreuungskräfte nach Tarif oder kirchenarbeitsrechtlichen Regelungen bezahlen oder mindestens in Höhe eines Tarifvertrags oder einer kirchenarbeitsrechtlichen Regelung entlohnen.

  • Die Bezahlung nach Tarif wird vollständig refinanziert. Für Einrichtungen, die nicht tarifgebunden sind, wird eine Refinanzierung bis zur Höhe von 10% über dem Durchschnitt der regional geltenden Tariflöhne gewährleistet.

  • Um Pflegebedürftige vor Überforderung durch steigende Pflegekosten zu schützen, zahlt die Pflegeversicherung bei der Versorgung im Pflegeheim künftig neben dem nach Pflegegrad differenzierten Leistungsbetrag einen Zuschlag. Er steigt mit der Dauer der Pflege: Im ersten Jahr trägt die Pflegekasse 5% des pflegebedingten Eigenanteils, im zweiten Jahr 25%, im dritten Jahr 45% und danach 70%.  

  • In der ambulanten Pflege werden die Sachleistungsbeträge um 5% erhöht, um auch dort den steigenden Vergütungen Rechnung zu tragen.

  • Pflegefachkräfte erhalten mehr Entscheidungsbefugnisse bei der Auswahl des richtigen Hilfsmittels und Pflegehilfsmittels im Sinne der Pflegebedürftigen. Außerdem sollen die Fachkräfte eigenständige Entscheidungen in der häuslichen Krankenpflege treffen dürfen.  

  • Es werden gesetzlich starke Anreize für den Ausbau der Kurzzeitpflege gesetzt. Um die Pflegebedürftigen nicht zu belasten, wird der Leistungsbetrag der Pflegeversicherung zur Kurzzeitpflege zudem um 10% angehoben.  Außerdem wird ein neuer Anspruch auf eine bis zu zehntägige Übergangspflege im Krankenhaus eingeführt. Sie kann genutzt werden, falls im Anschluss an eine Krankenhausversorgung eine Pflege im eigenen Haushalt oder einer Kurzzeitpflege nicht sichergestellt werden kann.

  • Zur Finanzierung der Pflegeversicherung wird ab dem Jahr 2022 ein Bundeszuschuss in Höhe von 1 Milliarde Euro pro Jahr einführt. Zudem steigt der Beitragszuschlag für Kinderlose um 0,1%.

  • In Pflegeheimen wird künftig ein bundeseinheitlicher Personalschlüssel gelten: Mit einem neuen Personalbemessungsverfahren wird anhand der jeweiligen Bewohnerstruktur für jedes Pflegeheim der Personalbedarf berechnet. Bereits seit 1. Januar 2021 können die Pflegeheime vor diesem Hintergrund 20.000 zusätzliche Pflegehilfskräfte einstellen. Ab 1. Juli 2023 werden bundeseinheitliche Personalanhaltszahlen vorgegeben, die die Einstellung von weiterem Personal ermöglichen. 

  • Die Gesetzlichen Krankenkassen erhalten 2022 einen zusätzlichen Bundeszuschuss in Höhe von 7 Milliarden Euro. Dadurch soll der Zusatzbeitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung auch 2022 stabil bei 1,3 Prozent gehalten werden.

  • Qualitätsverträge werden gestärkt: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) wird verpflichtetbis Ende des Jahres 2023 vier weitere Leistungen oder Leistungsbereiche festzulegen, bei denen die Qualitätsverträge erprobt werden. 

  • Die Festlegung und Durchsetzung von Mindestmengen in der Krankenhausversorgung wird durch weitere Verfahrensvorgaben unterstützt. 

  • Zur Förderung von Transparenz und Qualität der Versorgung wird die Veröffentlichung einrichtungsbezogener Vergleiche hinsichtlich der Erfüllung von Qualitätskriterien ermöglicht. 

  • Patientenbefragungen im Krankenhaus werden weiterentwickelt.

  • Der Anspruch auf Einholung einer Zweitmeinung wird für weitere planbare Eingriffe, die der G-BA festzulegen hat, vorgesehen. 

  • Zur Förderung der Transparenz über den Pflegepersonaleinsatz in den Krankenhäusern werden die Pflegepersonalquotienten künftig auf der Internetseite des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) veröffentlicht.

  • Die Refinanzierungsmöglichkeiten für klinische Sektionen zur Qualitätssicherung werden verbessert.

  • Der Anteil der gesetzlichen Krankenversicherung (und anteilig der privaten Krankenversicherung) an der Finanzierung von ambulanten Krebsberatungsstellen wird verdoppelt, von einem Gesamtbetrag von derzeit bis zu 21 Millionen Euro auf bis zu 42 Millionen Euro jährlich.

  • Die Regelungen zu ambulanten Notfallstrukturen und Terminservicestellen werden weiterentwickelt, insbesondere durch ein standardisiertes und bundesweit einheitliches Ersteinschätzungsverfahren bei ambulanten ärztlichen Notfallleistungen in Krankenhäusern.

  • Es wird ein Modellvorhaben zur umfassenden Diagnostik und Therapiefindung sowohl bei seltenen als auch bei onkologischen Erkrankungen implementiert. Grundlage des Modellvorhabens ist die umfangreiche Genomsequenzierung im Rahmen eines strukturierten klinischen Behandlungsablaufs und die darauf aufbauende Datenzusammenführung von klinischen und genomischen Daten in einer Dateninfrastruktur, die eine Analyse der gewonnenen Daten zur Verbesserung der medizinischen Versorgung erleichtert.

  • Die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen beteiligen sich an der Finanzierung der Koordination von Aktivitäten in regionalen Hospiz- und Palliativnetzwerken.

  • Erhebungen zu Gesundheitsausgaben und ihrer Finanzierung, zu Krankheitskosten und zum Personal im Gesundheitswesen sowie zu einem regionalem Gesundheitspersonalmonitoring werden als zentrale Bundesstatistiken angeordnet.

Quelle: David Schneider, Institut für Deutsches und Europäisches Arbeits- und Sozialrecht der Universität zu Köln


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Foto: © Deutscher Bundestag


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