März 2014

Neues aus der Rechtsprechung

Bewohner in stationären Behindertenhilfeeinrichtungen mit Pflegestufe haben keinen Anspruch auf häusliche Krankenpflege durch die gesetzliche Krankenversicherung

(Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 20.09.2013, L 1 KR 90/12)

Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hatte darüber zu entscheiden, ob ein Bewohner in einer stationären Behindertenhilfeeinrichtung, bei dem eine Pflegestufe durch die Pflegekasse festgestellt ist, Anspruch auf häusliche Krankenpflege gemäß § 37 SGB V gegen seine gesetzliche Krankenkasse hat.

Das LSG kam zu dem Ergebnis, dass der Bewohner keinen Anspruch auf Kostenübernahme gegenüber seiner Krankenkasse hat, da die Pflegekasse mit dem monatlichen Zuschuss zu den Heimkosten von maximal 256,- € gemäß § 43a SGB XI auch die Kosten der qualifizierten Behandlungspflege abgegolten haben soll. § 43a Satz 1 SGB XI verweist auf § 43 Abs. 2 SGB XI. Dort ist geregelt, dass auch die Leistungen der medizinischen Behandlungspflege von den Entgelten für stationäre Pflegeeinrichtungen mitumfasst sein sollen. Aus Sicht des Gerichts kann die Verweisung auf § 43 Abs. 2 SGB XI nur so verstanden werden, dass mit dem Zuschuss der Pflegekasse zum Heimentgelt in Behindertenhilfeeinrichtungen die Kosten der medizinischen Behandlungspflege abgegolten sind.

Das LSG kommt damit zu dem Ergebnis, dass die Kosten der häuslichen Krankenpflege weder von der Krankenkasse, noch vom Sozialhilfeträger, sondern von der Einrichtung zu tragen sind, da die Einrichtung durch den Zuschuss der Pflegekasse aus Sicht des Gerichts bereits die Kosten der qualifizierten Behandlungspflege refinanziert erhalten hat.

Anmerkung:
Das LSG Berlin-Brandenburg verkennt in seinem Urteil, dass die stationären Behindertenhilfeeinrichtungen durch den Zuschuss der Pflegekassen, der direkt an die Sozialämter gezahlt wird, keine höhere Vergütung erhalten. Tatsächlich wird der Zuschuss durch die Sozialämter zur Dämpfung der eigenen Ausgaben eingesetzt. Konsequent wäre es daher gewesen, den Sozialhilfeträger zur Übernahme der Kosten der häuslichen Krankenpflege zu verurteilen und nicht die Einrichtung.

Es bleibt zu hoffen, dass das Bundessozialgericht (BSG) in absehbarer Zeit darüber entscheidet, wer die Kosten der qualifizierten Behandlungspflege in stationären Behindertenhilfeeinrichtungen zu tragen hat. Bedauerlicherweise ist diese dringend zu klärende Rechtsfrage bisher nicht beim BSG anhängig.


Abschluss einer Leistungsvereinbarung für einen im Landesrahmenvertrag nicht vorgesehenen Leistungstyp

(Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 06.05.2013, S 47 SO 843/09)

Das Sozialgericht (SG) Berlin hatte darüber zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen ein Sozialhilfeträger mit einem Leistungserbringer von Eingliederungshilfe eine Leistungsvereinbarung zu schließen hat, wenn der vorgesehene Leistungstyp bisher nicht im Landesrahmenvertrag geregelt ist.

Der Kläger, ein Erbringer von ambulanten Leistungen im Bereich Eingliederungshilfe, beantragte bei dem beklagten Sozialhilfeträger im Jahr 2008 den Abschluss einer Leistungsvereinbarung für den neuen Leistungstyp "ambulante heilpädagogische Hilfen für Menschen mit geistiger Behinderung und gravierenden (stark ausgeprägten) Verhaltensauffälligkeiten". Bereits seit dem Jahr 2000 bemühte er sich um den Abschluss einer entsprechenden Leistungsvereinbarung. Die entsprechenden Hilfen erbrachte er bisher im Rahmen des BEW. Das Land Berlin lehnte den Abschluss einer entsprechenden Leistungsvereinbarung mit der Begründung ab, dass ein Bedarf an entsprechenden Leistungen kaum gegeben sei und daher ein neuer Leistungstyp nicht erforderlich sei.

Ein Antrag im einstweiligen Rechtsschutz auf vorläufigen Abschluss einer Leistungs- und Prüfungsvereinbarung wurde im Jahr 2009 vom SG Berlin mangels Eilbedürftigkeit abgewiesen. Im Hauptsacheverfahren gab das Gericht der Klage statt und verpflichtete das Land Berlin zum Abschluss einer Leistungs- und Prüfungsvereinbarung für den neuen Leistungstyp.

Grundsätzlich hat der Leistungserbringer aus Sicht des Gerichts nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung gegen den Sozialhilfeträger, wenn er von diesem den Abschluss einer Leistungs- und Prüfungsvereinbarung begehrt. Diese Ermessensentscheidung beziehe sich sowohl darauf, ob überhaupt ein Vertrag zu schließen sei und welche Inhalte dieser Vertrag habe. Hinsichtlich des Abschlusses des Vertrags kann der Sozialhilfeträger prüfen, ob der Leistungserbringer leistungsfähig ist und ob die Vergütung nicht höher als bei anderen Leistungserbringern ist. Aus Sicht des Gerichts darf der beklagte Sozialhilfeträger aber nicht überprüfen, ob überhaupt ein Bedarf an der Leistung besteht. Ferner müsse der Sozialhilfeträger auch dann eine Ermessensentscheidung auf Abschluss einer Leistungsvereinbarung treffen, wenn der Leistungstyp noch nicht im Berliner Rahmenvertrag geregelt ist.

Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass das Ermessen des Beklagten vorliegend auf Null reduziert war, er also die Leistungs- und Prüfungsvereinbarung mit dem Kläger schließen musste, da dieser leistungsfähig und geeignet für die Leistungserbringung ist und das Angebot mangels eines externen Vergleichs alternativlos ist.

Hinweis:
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Berufung ist beim LSG Berlin-Brandenburg (L 15 SO 153/13) anhängig.


Bei einer Unterbringung mit Zwangsbehandlung darf das Gericht das Gutachten nicht vom behandelnden Arzt einholen

(Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 30.10.2013, XII ZB 482/13)

Die Betroffene wurde auf Anordnung ihres gesetzlichen Betreuers in einem psychiatrischen Krankenhaus zur zwangsweisen Heilbehandlung stationär untergebracht. Diese Unterbringung und Zwangsbehandlung wurde durch das zuständige Amtsgericht im Wege der einstweiligen Anordnung genehmigt. Nach Einholung einer fachärztlichen Stellungnahme des behandelnden Arztes wurde die Genehmigung für weitere zwölf Wochen ausgesprochen.

Auf die Beschwerde der Betreuten holte das zuständige Landgericht ein gerichtliches Gutachten durch den behandelnden Oberarzt der Klinik ein, das dieser in einem Anhörungstermin unter Anwesenheit aller Beteiligten mündlich abgab. Er stellte die Erforderlichkeit der Unterbringung und zwangsweisen Behandlung fest.

Hiergegen legte die Betroffene erfolgreich Rechtsbeschwerde vor dem Bundesgerichtshof (BGH) ein. Der BGH hob die Entscheidung auf und verwies die Angelegenheit zurück an das Landgericht.

Aus Sicht des Gerichts wurden die formellen Voraussetzungen zur Unterbringung mit Zwangsbehandlung nicht eingehalten. Gemäß § 321 Abs. 1 FamFG, der zuständigen Verfahrensordnung in Betreuungssachen, ist vor Durchführung der Unterbringungsmaßnahme eine förmliche Beweisaufnahme über deren Erforderlichkeit durchzuführen. Der Gutachter soll dem Betroffenen vorher bekannt gegeben werden, damit dieser von seinem Ablehnungsrecht Gebrauch machen kann. Der Sachverständige soll die betroffene Person vor Erstellung des Gutachtens persönlich untersuchen oder befragen. Der BGH hält es im Hinblick auf den erheblichen Grundrechtseingriff der Unterbringungsmaßnahme mit Zwangsbehandlung auch für fraglich, ob ein mündliches Gutachten ausreicht. Jedenfalls muss dieses Gutachten detailliert auf Art und Ausmaß der Erkrankung unter Einbeziehung der Vorgeschichte eingehen und wissenschaftlich belegt darstellen, warum die Zwangsmaßnahmen erforderlich sind.

Der BGH bemängelt weiterhin, dass ein Verstoß gegen § 321 Abs. 1 S. 5 FamFG vorliegt, wonach der gerichtliche Sachverständige nicht der Arzt sein soll, der die Zwangsbehandlung durchführt. Mit der Anordnung der Zwangsbehandlung werde gravierend in die Grundrechte der Betroffenen eingegriffen. Daher soll ein unabhängiger Gutachter die Erforderlichkeit der Zwangsbehandlung bestätigen. Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen, wie bspw. besonderer Eilbedürftigkeit, dürfe ausnahmsweise der behandelnde Arzt als Gutachter herangezogen werden.

Hinweis:
Anders ist dies bei einer reinen Unterbringungsmaßnahme ohne Zwangsbehandlung. Hier kann das Gericht den behandelnden Arzt bei einer Unterbringung bis zu vier Jahren als Gutachter heranziehen (§ 329 Abs. 2 FamFG).


Der betreuungsrechtliche Tipp

Durchführung eines Unterbringungsverfahrens zur Zwangsbehandlung

Die gesetzlichen Regelungen zur Anordnung einer Unterbringung mit ärztlicher Zwangsbehandlung wurden im Jahr 2013 reformiert.

Die Unterbringung zur Zwangsbehandlung eines Betreuten ist nunmehr an strenge Voraussetzungen geknüpft. Danach ist eine Zwangsbehandlung nur bei Vorliegen der folgenden Voraussetzungen zulässig:

  • Dem Betreuten fehlt auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Einsichtsfähigkeit in die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme oder er kann nicht nach dieser Einsicht handeln,

  • es wurde zuvor versucht, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen,

  • die ärztliche Zwangsmaßnahme ist zum Wohl des Betreuten erforderlich, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden,

  • der erhebliche gesundheitliche Schaden kann durch keine andere dem Betreuten zumutbare Maßnahme abgewendet werden und

  • der zu erwartende Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahme überwiegt die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich.

Der gesetzliche Betreuer hat die Unterbringung und die Zwangsbehandlung anzuordnen. Das Betreuungsgericht muss die angeordneten Maßnahmen genehmigen und hierfür zuvor ein ärztliches Gutachten zur Notwendigkeit der Unterbringung und der ärztlichen Zwangsmaßnahmen einholen. Die Genehmigung durch das Betreuungsgericht erfolgt zeitlich befristet.


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