Dezember 2014

Neues aus der Rechtsprechung

Medikamente gegen den Willen des Betroffenen unter das Essen zu mischen, stellt eine Zwangsbehandlung dar.

(Beschluss des LG Lübeck vom 23.07.2014, 7 T 19/14)

Der unter Betreuung stehende Betroffene leidet aufgrund jahrelangen Alkoholmißbrauchs unter diversen Erkrankungen, die mit täglichen Medikamentengaben in Tablettenform und mit Insulingaben durch subkutane Injektionen behandelt werden müssen, da anderenfalls u.a. ein Herzinfarkt oder Schlaganfall droht. Ferner leidet er unter deutlichen kognitiven Einschränkungen, u.a. Störung der Auffassungsgabe und Urteilskraft.

Der Betroffene verweigerte bis auf die Insulingaben jegliche Aufnahme von Medikamenten. Sein gesetzlicher Betreuer beantragte daraufhin die Genehmigung des Betreuungsgerichts zur Medikamentengabe durch Beimischung der Medikamente ins Essen des Betroffenen. Das zuständige Amtsgericht lehnte die Genehmigung ab, da nach seiner Auffassung eine Zwangsbehandlung vorliegt, für deren Genehmigung eine entsprechende gesetzliche Regelung fehlt.

Die Beschwerde des gesetzlichen Betreuers wies das Landgericht (LG) Lübeck als zuständiges Beschwerdegericht zurück. Nach Auffassung des Gerichtes stellt die Beimischung von Medikamenten in das Essen des Betreuten gegen dessen Willen eine Zwangsbehandlung dar. Das Gericht stellt in seiner Beschwerdebegründung klar, dass eine Zwangsbehandlung nach § 1906 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) überhaupt nur dann genehmigungsfähig sein kann, wenn sie im Rahmen einer zwangsweisen Unterbringung zur medizinischen Behandlung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB erfolgt.

Der gesetzliche Betreuer des Betroffenen hatte argumentiert, dass die Zwangsmedikation ohne zwangsweise Unterbringung das mildere Mittel für den Betroffenen darstellt. Das Gericht folgte dieser Begründung nicht und verwies darauf, dass der Bundesgerichtshof bereits im Jahr 2000 in einer Grundsatzentscheidung klargestellt hatte, dass es für zwangsweise Eingriffe in die verfassungsmäßig garantierten Rechte psychisch erkrankter und geistig, körperlich oder seelisch behinderter Menschen immer einer gesetzlichen Grundlage bedürfe (vgl. BGH, Beschluss vom 11.10.2000, XII ZB 69/00). Diese gesetzliche Grundlage stellt § 1906 Abs. 3 BGB dar. Hierfür ist aber eine zwangsweise Unterbringung zwingend erforderlich. Auch bei Neuregelung des § 1906 Abs. 3 BGB im Jahr 2013 hatte der Gesetzgeber bewusst auf eine Ausdehnung der Möglichkeit zur Zwangsbehandlung außerhalb einer zwangsweisen Unterbringung verzichtet.

Anmerkung:

Mit Einwilligung des Betroffenen können Medikamente weiterhin unter das Essen gemischt werden. Hierfür muss der Betroffene einwilligungsfähig (nicht geschäftsfähig!) sein. Die entsprechende Einwilligung sollte schriftlich dokumentiert sein. Liegt Einwilligungsfähigkeit nicht vor oder verweigert der Betroffene die Einwilligung, reicht es nicht aus, entsprechende Absprachen mit den Angehörigen oder dem gesetzlichen Betreuer zu treffen. Eine Zwangsmedikation kann dann nur im Rahmen einer zwangsweisen Unterbringung erfolgen.


Zulässigkeit des rückwirkenden Inkrafttretens von Vergütungsvereinbarungen

(Urteil des Bundessozialgerichts vom 23.07.2014, B 8 SO 2/13 R)

Die Klägerin ist Träger von drei Werkstätten für behinderte Menschen. Sie nahm mit dem beklagten Landkreis im Juli 2007 Verhandlungen über den Abschluss neuer Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen auf. Zum 01.01.2009 einigten sich die Verhandlungspartner auf den Abschluss einer neuen Leistungsvereinbarung. Die daran anschließenden Verhandlungen zur Vergütungsvereinbarung scheiterten, so dass die Kägerin als Träger der Werkstätten die zuständige Schiedsstelle am 30.07.2009 anrief, der beklagte Landkreis einige Wochen später.

Die Klägerin begehrte im Schiedsstellenverfahren höhere Vergütungen rückwirkend zum 01.02.2009. Der beklagte Landkreis beantragte niedrigere Vergütungen als die Klägerin zum 01.08.2009. Die Schiedsstelle setzte daraufhin für den Zeitraum 01.08.2009 bis 31.01.2010 Vergütungen fest. Sie begründete die Festsetzung erst ab 01.08.2009 damit, dass sie Vergütungen erst ab Antragstellung der Parteien bei ihr festsetzen könne. Das Bayerische Landessozialgericht wies die Klage auf rückwirkende Festsetzung der Vergütungen zum 01.02.2009 ab. Das Bundessozialgericht (BSG) hob diese Entscheidung auf und gab der Klägerin Recht.

Das Schiedsstellenverfahren im Bereich der Sozialhilfe ist in § 77 SGB XII geregelt. § 77 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB XII trifft Regelungen zum Inkrafttreten des Schiedsstellenspruchs entweder durch Bestimmung des Zeitpunkts in der Schiedsstellenentscheidung oder alternativ durch einen kraft Gesetzes bestimmten Zeitpunkt.  § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB XII besagt, dass ein zurückwirkendes Vereinbaren oder Festsetzen von Vergütungen vor einen der Zeitpunkte nicht zulässig ist.

Das BSG stellt in seiner Entscheidung klar, dass diese Regelungen nicht so verstanden werden dürfen, dass ein Inkrafttreten des Schiedsspruchs vor Antragseingang einer der Parteien ausgeschlossen ist. Erforderlich sei vielmehr, dass im Schiedsstellenverfahren konkrete Anträge des Inkrafttretens der Schiedsstellenentscheidung gestellt werden, was beide Parteien getan hatten. Ferner dürfe dieser Zeitpunkt erst nach Inkrafttreten einer eventuell neu abzuschließenden Leistungsvereinbarung liegen. Der Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vergütungsvereinbarung dürfe auch nicht vor den eigentlichen Verhandlungszeitraum datiert werden.

Anmerkung:
Das Bundessozialgericht macht mit diesem Urteil deutlich, dass die Praxis von Schiedsstellen falsch ist, dass Entscheidungen erst für einen Zeitraum nach Antragstellung ergehen können. Es muss eine Leistungsvereinbarung vorliegen und Verhandlungen über die Vergütungsvereinbarung müssen aufgenommen worden sein. Scheitern diese dann und wird die Schiedsstelle angerufen, so hat sie sehr wohl das Recht, Vergütungen ab einem (beantragten) Zeitpunkt festzusetzen, der bereits in der Vergangenheit, aber nach Aufnahme der Entgeltverhandlungen liegt.


Keine Altersdiskriminierung bei zeitlich gestaffelten Kündigungsfristen aufgrund längerer Betriebszugehörigkeit

(Urteil des BAG vom 18.09.2014, 6 AZR 636/13)

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte darüber zu entscheiden, ob die gestaffelten Kündigungsfristen nach § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB eine Altersdiskriminierung im Sinne des AGG darstellen (Urteil vom 18.09.2014, 6 AZR 636/13).

Die klagende Arbeitnehmerin eines sog. Kleinbetriebes (max. zehn Vollzeitbeschäftigte) wandte sich gegen die Kündigung ihres Arbeitgebers, welche dieser am 20.12.2011 zum 31.01.2012 ausgesprochen hatte. Er hielt hierbei die gesetzliche Kündigungsfrist des § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB ein. Die betroffene Arbeitnehmerin ging davon aus, dass die Staffelung der Kündigungsfristen unter Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit ältere Arbeitnehmer gegenüber jungeren Arbeitnehmern ungerechtfertigt begünstigen würde, da diese aufgrund ihrer langjährigen Beschäftigung naturgemäß älter seien.

Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Auch die Revision der Arbeitnehmerin vor dem BAG hatte keinen Erfolg. Aus Sicht des Gerichtes führt die Differenzierung der Kündigungsfristen nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit zwar zu einer mittelbaren Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer. Nach Auffassung des BAG ist dies aber rechtmäßig, da es ein legitimes Gesetzesziel sein kann, länger Beschäftigten und damit typischerweise älteren Arbeitnehmern durch längere Kündigungsfristen einen verbesserten Kündigungsschutz zu verschaffen. Darin sieht das Bundesarbeitsgericht keine rechtswidrige mittelbare Diskriminierung jüngerer Arbeitnehmer wegen des Alters.


Neues aus der Gesetzgebung

Die zum 01.01.2015 in Kraft tretende Pflegeversicherungsreform

Zum Jahresanfang tritt das fünfte Reformgesetz zur gesetzlichen Pflegeversicherung (SGB XI) in Kraft. Der wesentliche Teil der Reformen besteht in einer Verbesserung der Leistungen für alle pflegebedürftigen Versicherten. Diese Leistungsverbesserungen werden mit einer Beitragssatzanhebung für alle Versicherten um 0,3% finanziert. 

Für stationäre Behindertenhilfeeinrichtungen ergeben sich keine konkreten Auswirkungen, die zu einer Leistungsverbesserung in den Einrichtungen führen würden. Zwar wird der Zuschuss der Pflegeversicherung nach § 43a SGB XI für pflegebedürftige Bewohner von monatlich max. 256,- € auf max. 266,- € angehoben. Es verbleibt aber bei einer Anrechnung auf die monatlichen Zahlungen der Kostenträger, so dass dieser Zuschuss weiterhin lediglich zur Kostendämpfung der Sozialhilfe dient und nicht tatsächlich den pflegebedürftigen Bewohnern zu Gute kommt.


Wir wünschen Ihren Familien und Ihnen fröhliche Weihnachten und ein glückliches und erfolgreiches neues Jahr!

Weitere Informationen finden Sie in unserer Mandanteninfo.

Fotos © Dirk Felmeden (Bundessozialgericht), Bundesarbeitsgericht


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Christine Vandrey & Barbara Hoofe
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