Neues aus der Rechtsprechung
Medikamente gegen den Willen des Betroffenen unter das Essen zu mischen, stellt eine Zwangsbehandlung dar.
(Beschluss des LG Lübeck vom 23.07.2014, 7 T 19/14)
Der unter Betreuung stehende Betroffene leidet
aufgrund jahrelangen Alkoholmißbrauchs unter diversen Erkrankungen, die
mit täglichen Medikamentengaben in Tablettenform und mit Insulingaben
durch subkutane Injektionen behandelt werden müssen, da anderenfalls
u.a. ein Herzinfarkt oder Schlaganfall droht. Ferner leidet er unter
deutlichen kognitiven Einschränkungen, u.a. Störung der Auffassungsgabe
und Urteilskraft.
Der Betroffene verweigerte bis auf die Insulingaben
jegliche Aufnahme von Medikamenten. Sein gesetzlicher Betreuer
beantragte daraufhin die Genehmigung des Betreuungsgerichts zur
Medikamentengabe durch Beimischung der Medikamente ins Essen des
Betroffenen. Das zuständige Amtsgericht lehnte die Genehmigung ab, da
nach seiner Auffassung eine Zwangsbehandlung vorliegt, für deren
Genehmigung eine entsprechende gesetzliche Regelung fehlt.
Die Beschwerde des gesetzlichen Betreuers wies das
Landgericht (LG) Lübeck als zuständiges Beschwerdegericht zurück. Nach
Auffassung des Gerichtes stellt die Beimischung von Medikamenten in das
Essen des Betreuten gegen dessen Willen eine Zwangsbehandlung dar. Das
Gericht stellt in seiner Beschwerdebegründung klar, dass eine
Zwangsbehandlung nach § 1906 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
überhaupt nur dann genehmigungsfähig sein kann, wenn sie im Rahmen einer
zwangsweisen Unterbringung zur medizinischen Behandlung nach § 1906
Abs. 1 Nr. 2 BGB erfolgt.
Der gesetzliche Betreuer des Betroffenen hatte
argumentiert, dass die Zwangsmedikation ohne zwangsweise Unterbringung
das mildere Mittel für den Betroffenen darstellt. Das Gericht folgte
dieser Begründung nicht und verwies darauf, dass der Bundesgerichtshof
bereits im Jahr 2000 in einer Grundsatzentscheidung klargestellt hatte,
dass es für zwangsweise Eingriffe in die verfassungsmäßig garantierten
Rechte psychisch erkrankter und geistig, körperlich oder seelisch
behinderter Menschen immer einer gesetzlichen Grundlage bedürfe (vgl.
BGH, Beschluss vom 11.10.2000, XII ZB 69/00). Diese gesetzliche
Grundlage stellt § 1906 Abs. 3 BGB dar. Hierfür ist aber eine
zwangsweise Unterbringung zwingend erforderlich. Auch bei Neuregelung
des § 1906 Abs. 3 BGB im Jahr 2013 hatte der Gesetzgeber bewusst auf
eine Ausdehnung der Möglichkeit zur Zwangsbehandlung außerhalb einer
zwangsweisen Unterbringung verzichtet.
Anmerkung:
Mit Einwilligung des Betroffenen können Medikamente
weiterhin unter das Essen gemischt werden. Hierfür muss der Betroffene
einwilligungsfähig (nicht geschäftsfähig!) sein. Die entsprechende
Einwilligung sollte schriftlich dokumentiert sein. Liegt
Einwilligungsfähigkeit nicht vor oder verweigert der Betroffene die
Einwilligung, reicht es nicht aus, entsprechende Absprachen mit den
Angehörigen oder dem gesetzlichen Betreuer zu treffen. Eine
Zwangsmedikation kann dann nur im Rahmen einer zwangsweisen
Unterbringung erfolgen.
(Urteil des Bundessozialgerichts vom 23.07.2014, B 8 SO 2/13 R)
Die
Klägerin ist Träger von drei Werkstätten für behinderte Menschen. Sie
nahm mit dem beklagten Landkreis im Juli 2007 Verhandlungen über den
Abschluss neuer Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen auf. Zum
01.01.2009 einigten sich die Verhandlungspartner auf den Abschluss einer
neuen Leistungsvereinbarung. Die daran anschließenden Verhandlungen zur
Vergütungsvereinbarung scheiterten, so dass die Kägerin als Träger der
Werkstätten die zuständige Schiedsstelle am 30.07.2009 anrief, der
beklagte Landkreis einige Wochen später.
Die Klägerin begehrte im Schiedsstellenverfahren
höhere Vergütungen rückwirkend zum 01.02.2009. Der beklagte Landkreis
beantragte niedrigere Vergütungen als die Klägerin zum 01.08.2009. Die
Schiedsstelle setzte daraufhin für den Zeitraum 01.08.2009 bis
31.01.2010 Vergütungen fest. Sie begründete die Festsetzung erst ab
01.08.2009 damit, dass sie Vergütungen erst ab Antragstellung der
Parteien bei ihr festsetzen könne. Das Bayerische Landessozialgericht
wies die Klage auf rückwirkende Festsetzung der Vergütungen zum
01.02.2009 ab. Das Bundessozialgericht (BSG) hob diese Entscheidung auf
und gab der Klägerin Recht.
Das Schiedsstellenverfahren im Bereich der
Sozialhilfe ist in § 77 SGB XII geregelt. § 77 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB
XII trifft Regelungen zum Inkrafttreten des Schiedsstellenspruchs
entweder durch Bestimmung des Zeitpunkts in der
Schiedsstellenentscheidung oder alternativ durch einen kraft Gesetzes
bestimmten Zeitpunkt. § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB XII besagt, dass ein
zurückwirkendes Vereinbaren oder Festsetzen von Vergütungen vor einen
der Zeitpunkte nicht zulässig ist.
Das BSG stellt in seiner Entscheidung klar, dass
diese Regelungen nicht so verstanden werden dürfen, dass ein
Inkrafttreten des Schiedsspruchs vor Antragseingang einer der Parteien
ausgeschlossen ist. Erforderlich sei vielmehr, dass im
Schiedsstellenverfahren konkrete Anträge des Inkrafttretens der
Schiedsstellenentscheidung gestellt werden, was beide Parteien getan
hatten. Ferner dürfe dieser Zeitpunkt erst nach Inkrafttreten einer
eventuell neu abzuschließenden Leistungsvereinbarung liegen. Der
Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vergütungsvereinbarung dürfe auch nicht
vor den eigentlichen Verhandlungszeitraum datiert werden.
Anmerkung:
Das Bundessozialgericht macht
mit diesem Urteil deutlich, dass die Praxis von Schiedsstellen falsch
ist, dass Entscheidungen erst für einen Zeitraum nach Antragstellung
ergehen können. Es muss eine Leistungsvereinbarung vorliegen und
Verhandlungen über die Vergütungsvereinbarung müssen aufgenommen worden
sein. Scheitern diese dann und wird die Schiedsstelle angerufen, so hat
sie sehr wohl das Recht, Vergütungen ab einem (beantragten) Zeitpunkt
festzusetzen, der bereits in der Vergangenheit, aber nach Aufnahme der
Entgeltverhandlungen liegt.
(Urteil des BAG vom 18.09.2014, 6 AZR 636/13)
Das
Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte darüber zu entscheiden, ob die
gestaffelten Kündigungsfristen nach § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB eine
Altersdiskriminierung im Sinne des AGG darstellen (Urteil vom
18.09.2014, 6 AZR 636/13).
Die klagende Arbeitnehmerin eines sog.
Kleinbetriebes (max. zehn Vollzeitbeschäftigte) wandte sich gegen die
Kündigung ihres Arbeitgebers, welche dieser am 20.12.2011 zum 31.01.2012
ausgesprochen hatte. Er hielt hierbei die gesetzliche Kündigungsfrist
des § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB ein. Die betroffene Arbeitnehmerin
ging davon aus, dass die Staffelung der Kündigungsfristen unter
Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit ältere Arbeitnehmer gegenüber
jungeren Arbeitnehmern ungerechtfertigt begünstigen würde, da diese
aufgrund ihrer langjährigen Beschäftigung naturgemäß älter seien.
Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Auch die
Revision der Arbeitnehmerin vor dem BAG hatte keinen Erfolg. Aus Sicht
des Gerichtes führt die Differenzierung der Kündigungsfristen nach der
Dauer der Betriebszugehörigkeit zwar zu einer mittelbaren
Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer. Nach Auffassung des BAG ist dies
aber rechtmäßig, da es ein legitimes Gesetzesziel sein kann, länger
Beschäftigten und damit typischerweise älteren Arbeitnehmern durch
längere Kündigungsfristen einen verbesserten Kündigungsschutz zu
verschaffen. Darin sieht das Bundesarbeitsgericht keine rechtswidrige
mittelbare Diskriminierung jüngerer Arbeitnehmer wegen des Alters.
Die zum 01.01.2015 in Kraft tretende Pflegeversicherungsreform
Zum Jahresanfang tritt das fünfte Reformgesetz zur
gesetzlichen Pflegeversicherung (SGB XI) in Kraft. Der wesentliche Teil
der Reformen besteht in einer Verbesserung der Leistungen für alle
pflegebedürftigen Versicherten. Diese Leistungsverbesserungen werden mit
einer Beitragssatzanhebung für alle Versicherten um 0,3%
finanziert.
Für stationäre Behindertenhilfeeinrichtungen ergeben
sich keine konkreten Auswirkungen, die zu einer Leistungsverbesserung
in den Einrichtungen führen würden. Zwar wird der Zuschuss der
Pflegeversicherung nach § 43a SGB XI für pflegebedürftige Bewohner von
monatlich max. 256,- € auf max. 266,- € angehoben. Es verbleibt aber bei
einer Anrechnung auf die monatlichen Zahlungen der Kostenträger, so
dass dieser Zuschuss weiterhin lediglich zur Kostendämpfung der
Sozialhilfe dient und nicht tatsächlich den pflegebedürftigen Bewohnern
zu Gute kommt.
Wir wünschen Ihren Familien und Ihnen fröhliche Weihnachten und ein glückliches und erfolgreiches neues Jahr!
Weitere Informationen finden Sie in unserer Mandanteninfo.
Fotos © Dirk Felmeden (Bundessozialgericht), Bundesarbeitsgericht