Neues aus der Rechtsprechung
Nochmals: Qualifizierte Behandlungspflege in Einrichtungen der Eingliederungshilfe.
(Urteile des BSG vom 25.02.2015, B 3 KR 10/14 R und B 3 KR 11/14 R)
Bereits
in unserem Newsletter März 2015 hatten wir Sie darauf hingewiesen, dass
das Bundessozialgericht am 25.02.2015 entschieden hatte, dass
Einrichtungen der Eingliederungshilfe ein „sonst geeigneter Ort“ im
Sinne des § 37 SGB V sein können, sodass die Bewohnerinnen und Bewohner
unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf häusliche
Krankenpflegeleistungen haben.
Aus den nunmehr vorliegenden Urteilsbegründungen
ergibt sich, dass das Bundessozialgericht an seiner Differenzierung
zwischen einfacher und qualifizierter medizinischer Behandlungspflege
festhält. Aus Sicht des Gerichtes sind die Leistungen der einfachen
medizinischen Behandlungspflege durch Mitarbeitende der stationären
Eingliederungshilfeeinrichtungen zu erbringen. Nach Auffassung des BSG
kann einfache medizinische Behandlungspflege von Laien erbracht werden.
Dies sehe § 37 SGB V vor. Entsprechende Leistungen müssen in der
Häuslichkeit von Angehörigen erbracht werden, wenn diese vorhanden sind
und können nur dann zu Lasten der Krankenkasse von Pflegediensten
erbracht werden, wenn keine Laienpflege möglich ist. Das BSG wertet die
Mitarbeitenden in Einrichtungen der Eingliederungshilfe, die nicht über
eine entsprechende fachliche Qualifikation verfügen, als Laien.
Das Bundessozialgericht hat einen – nicht
abschließenden – Katalog von Leistungen aufgestellt, die nach seiner
Auffassung zur einfachen medizinischen Behandlungspflege zu zählen sind.
Dies sind
- Medikamentengabe nach ärztlicher Anweisung,
- Messen des Blutdrucks,
- Messen des Blutzuckergehalts,
- An- und Ausziehen von Thrombosestrümpfen,
- An- und Ablegen einfach zu handhabender Stützverbände,
- Einreiben mit Salben (soweit es sich nicht um schwierige Wundversorgung handelt) und
- die Verabreichung von Bädern.
Hinweis:
Das Bundessozialgericht hat in den Urteilen nunmehr
klargestellt, dass die Kosten für qualifizierte
Behandlungspflegeleistungen von den gesetzlichen Krankenkassen auch in
stationären Eingliederungshilfeeinrichtungen zu übernehmen sind, soweit
die Einrichtungen sich nicht in ihren Wohn- und Betreuungsverträgen zur
Erbringung qualifizierter Behandlungspflegeleistungen verpflichtet
haben. Einfache medizinische Behandlungspflege ist von den Einrichtungen
selbst zu erbringen oder es sind die Kosten für eingeschaltete
Pflegedienste von den Einrichtungen selbst zu tragen. Hinsichtlich der
Abgrenzung von einfacher und qualifizierter Behandlungspflege dürfte es
in den kommenden Jahren noch zu diversen Rechtsstreitigkeiten kommen.
(Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 29.04.2015, 9 AZR 108/14)
Das
Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte über die Angemessenheit einer
Ausbildungsvergütung zu entscheiden. Der beklagte Arbeitgeber war ein
gemeinnütziger Verein. Der Kläger hatte dort in den Jahren 2008 bis 2012
eine Ausbildung absolviert und hierfür eine Ausbildungsvergütung
erhalten, die um rund 45% unterhalb der Ausbildungsvergütung
einschlägiger Tarifverträge lag. Das BAG hat entschieden, dass es sich
hierbei um eine unangemessen niedrige Ausbildungsvergütung gehandelt
hat.
Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Berufsbildungsgesetz (BBiG)
ist den Auszubildenden eine angemessene Vergütung zu zahlen. Ein
wesentliches Kriterium für die Bestimmung einer angemessenen
Ausbildungsvergütung sind nach Auffassung des Gerichtes einschlägige
Tarifverträge. Aus Sicht des BAG ist eine Ausbildungsvergütung in der
Regel nicht mehr angemessen, wenn sie die in einem einschlägigen
Tarifvertrag geregelte Vergütung um mehr als 20% unterschreitet. Allein
der Status der Gemeinnützigkeit rechtfertige es nicht, dass der
Ausbildungsbetrieb eine Ausbildungsvergütung von lediglich 55% des
einschlägigen Tarifvertrages zahle.
Das Gericht stellt allerdings klar, dass allein das
Unterschreiten des einschlägigen Tarifvertrages von mehr als 20% die
Ausbildungsvergütung nicht unangemessen mache. Der Beklagte hätte
besondere Umstände darlegen können, die eine niedrigere
Ausbildungsvergütung hätten rechtfertigen können. Allerdings hat der
Beklagte keine solchen Gründe vorgetragen.
Anmerkung:
Die Angemessenheit von Arbeits- und
Ausbildungsvergütungen wird regelmäßig nach der sog. Verkehrsanschauung
bestimmt. Zur Prüfung der Angemessenheit ziehen die Gerichte unter
anderem einschlägige Tarifverträge als Vergleichsmaßstab heran. Für
Arbeitnehmer, nicht aber für Auszubildende ist nunmehr seit 01.01.2015
das Mindestlohngesetz zwingend zu beachten. Das Unterschreiten eines
Stundenlohnes von 8,50 € ist für die Vergütung von Arbeitnehmern
regelmäßig nicht mehr möglich. Auszubildende sind vom Mindestlohngesetz
ausgenommen. Ist für diese kein einschlägiger Tarifvertrag vorhanden, so
wird geprüft, welche Vergütung ortsüblich ist. Ein Unterschreiten von
mehr als 20% einer ortsüblichen Ausbildungsvergütung dürfte nach den
durch das BAG aufgestellten Kriterien regelmäßig schwer begründbar sein.
(Urteil des BSG vom 25.09.2014, B 8 SO 8/13 R)
Das Bundessozialgericht hatte die Frage zu
entscheiden, ob eine zusätzliche Nachtwache in einer stationären
Einrichtung der Eingliederungshilfe durch den Sozialhilfeträger extra zu
vergüten war.
Die Kläger sind nahezu gehörlose und
intelligenzgeminderte Zwillingsbrüder, die in einer stationären
Behindertenhilfeeinrichtung leben. Im Jahr 2006 vergewaltigten sie eine
Mitbewohnerin. Danach kam es zu mehreren Wohnheimwechseln innerhalb es
Einrichtungsträgers. Über Jahre finanzierte der zuständige
Sozialhilfeträger neben den Kosten der Unterkunft, Verpflegung und
Betreuung aus dem Wohn- und Betreuungsvertrag i.V.m. der Leistungs- und
Vergütungsvereinbarung noch zusätzlich die Kosten einer Nachtwache, die
dafür sorgte, dass die Zwillingsbrüder nachts nicht ihr Zimmer
verließen, um Mitbewohnerinnen und Mitbewohner aufzusuchen.
Nach einigen Jahren stellte der Sozialhilfeträger
diese Praxis ein und verwies darauf, dass es sich nicht um
Eingliederungshilfeleistungen handelte, da die Nachtwache dem Schutz der
anderen Bewohner diente und nicht der Teilhabe der Zwillingsbrüder an
der Gesellschaft.
Das BSG gab der Revision des beklagten Sozialhilfeträgers statt.
Das Gericht stellte allerdings klar, dass es sich
bei der Kostenübernahme für Nachtwachen sehr wohl um
Eingliederungshilfeleistungen handelt. Nur dadurch, dass das
unkontrollierte Verlassen des Zimmers und das Aufsuchen anderer Bewohner
ohne deren Einwilligung verhindert werde, werde es den Klägern
ermöglicht, in der Gemeinschaft, nämlich ihrer Wohneinrichtung, zu leben
und deren Regeln einzuhalten.
Allerdings fehlte es nach Auffassung des
Bundessozialgerichts an einer vertraglichen Grundlage zwischen den
klagenden Bewohnern und deren Wohneinrichtung hinsichtlich einer
gesonderten Vergütung der Nachtwache. Es bestand keine
Zusatzvereinbarung zwischen den Bewohnern und der Einrichtung, wonach
diese zur Vergütung der gesondert erbrachten Nachtwache verpflichtet
waren. Allerdings ließ das Gericht ausdrücklich offen, ob eine solche
Vereinbarung neben dem Wohn- und Betreuungsvertrag rechtlich überhaupt
zulässig wäre.
Das BSG stellte weiter fest, dass auch der Wohn- und
Betreuungsvertrag keine Regelungen enthielt, die eine zusätzliche
Vergütung der Nachtwache gerechtfertigt hätten. Es wurden im Vertrag
lediglich die Vergütungsbestandteile Grundpauschale, Maßnahmenpauschale
und Investitionsbetrag geregelt. Des weiteren kam das Gericht in dem
konkret zu entscheidenden Fall zu dem Ergebnis, dass mit dem bewilligten
Leistungstyp und der bewilligten Hilfebedarfsgruppe bereits die Kosten
der Nachtwache abgegolten waren, da hier in der Anlage zum Rahmenvertrag
die "Rund-um-die-Uhr-Betreuung" einschließlich Nachtbereitschaft und
Nachtwache erfasst waren. Nach Auffassung des BSG sind im Rahmen einer
pauschalierten und abstrakten Kalkulation damit die im Einzelfall über
dem Durchschnitt liegenden Kosten abgegolten.
Anmerkung:
Besteht im Einzelfall ein zusätzlicher
Betreuungsaufwand, so sollte mit dem Betroffenen eine Zusatzvereinbarung
zum Wohn- und Betreuungsvertrag getroffen werden. Das BSG lässt es zwar
offen, ob es eine solche Vereinbarung für rechtmäßig hält, stellt aber
zugleich unmissverständlich klar, dass der Betroffene für zusätzliche
Leistungen gegenüber dem Sozialhilfeträger nie einen
Kostenerstattungsanspruch hat, wenn eine vertragliche Grundlage dafür
fehlt. Zu beachten ist hier, dass tatsächlich zusätzliche Leistungen
erbracht und dokumentiert werden müssen, die von den schon durch die
regulären Kostensätze vergüteten Leistungen abgrenzbar sein müssen.
Den Einrichtungen ist generell zu raten, dass sie
bei den Entgeltverhandlungen mit dem Kostenträger die Kosten besonders
betreuungsintensiver Bewohnerinnen und Bewohner mit in die
Vergütungssätze verhandeln bspw. in Form eines Vergütungszuschlags oder
einer zusätzlichen Leistungsgruppe.
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Fotos © Dirk Felmeden (Bundessozialgericht), Bundesarbeitsgericht