Neues aus der Gesetzgebung
Der Bundesrat stimmte am Freitag dem Bundesteilhabegesetz und dem Pflegestärkungsgesetz III zu.
Der Bundesrat gab am 16.12.2016 grünes Licht für das
Inkrafttreten des BTHG und des PSG III. Bereits am 1. Dezember 2016
waren beide Gesetze in 2. und 3. Lesung vom Bundestag verabschiedet
worden. Die Gesetze werden jetzt noch dem Bundespräsidenten zur
Ausfertigung vorgelegt und werden dann zum 01.01.2017 in Kraft treten.
Bundesteilhabegesetz:
Das Bundesteilhabegesetz wird die Regelungen des
bisherigen 9. Sozialgesetzbuchs (SGB IX) zu Rehabilitation und Teilhabe
behinderter Menschen sowie die vollständig reformierte
Eingliederungshilfe zusammenfassen, die bisher im 12. Sozialgesetzbuch
(SGB XII) und der Eingliederungshilfeverordnung geregelt ist.
Das BTHG, das zukünftig das SGB IX sein wird, ist in
drei Teile aufgeteilt. Teil 1 beinhaltet die Regelungen zur
Rehabilitation. Teil 3 beinhaltet das Schwerbehindertenrecht.
Entsprechende Regelungsinhalte finden sich bereits im bisherigen SGB IX.
Allerdings wurden sämtliche Regelungen überarbeitet und teilweise neu
gefasst. Die Teile 1 und 3 des Bundesteilhabegesetzes treten zum
01.01.2018 in Kraft.
Teil 2 des Bundesteilhabegesetzes umfasst die neuen
Regelungen zur Eingliederungshilfe. Teil 2 Kapitel 8, das die
Neuregelungen zum Vertragsrecht zwischen den Kostenträgern und den
Einrichtungen enthält, tritt ebenfalls zum 01.01.2018 in Kraft. Die
übrigen Kapitel des 2. Teils - somit die neugefasste Eingliederungshilfe
- tritt am 01.01.2020 in Kraft. Verbände und Einrichtungen werden
nunmehr damit befasst sein, das Vertrags- und Leistungsrecht mit den
Trägern der Sozialhilfe bis zum Inkrafttreten der Neuregelungen zur
Eingliederungshilfe neu auszuhandeln.
Nur kleinere Teile des Gesetzes werden direkt nach
Verkündung im Bundesgesetzblatt bzw. zum 1. Januar 2017 in Kraft treten.
Besonders erwähnenswert hierbei ist ein erhöhter Vermögensfreibetrag
i.H.v. 25.000,- € für Menschen mit Behinderungen, die
Eingliederungshilfe nach dem SGB XII beziehen (§ 60a SGB XII). Ab
01.01.2020 werden die Regelungen zur Einkommens- und Vermögensanrechnung
vollständig neu gestaltet, wodurch Menschen mit Behinderungen mehr
Einkommen und Vermögen anrechnungsfrei verbleiben soll als bisher.
Einer der größten Streitpunkte des Gesetzes war der
neue Behinderungsbegriff in § 99 des BTHG. Da der Streit hierüber die
Verabschiedung des gesamten Gesetzespakets bedroht hatte, wurde § 99
vorläufig so ausgestaltet, dass er auf den bisherigen
Behinderungsbegriff des § 53 Absatz 1 SGB XII zurückgreift. Diese
Regelung soll übergangsweise bis zum 31.12.2022 in Kraft bleiben. Erst
ab dem 1. Januar 2023 soll der neu gefasste Behinderungsbegriff unter
der Voraussetzung in Kraft treten, dass zuvor durch ein Bundesgesetz
diverse ergänzende Regelungen zu den einzelnen Kriterien des neuen
Behinderungsbegriffs verabschiedet wurden. In den kommenden sechs Jahren
bleibt damit der bisher gebräuchliche Behinderungsbegriff des § 53
Absatz 1 SGB XII auch weiterhin maßgeblich.
Pflegestärkungsgesetz III:
§ 43a SGB XI regelt bisher einen Zuschuss von 10%
der Kosten der Eingliederungshilfe, maximal aber 266,- € pro Monat, den
die Pflegekasse an den Sozialhilfeträger u.a. für pflegebedürftige
behinderte Menschen zu zahlen haben, die in vollstationären
Einrichtungen wohnen. Der Zuschuss wird ab 01.01.2017 für Bewohner in
den Pflegegraden 2 bis 5 gezahlt. Im ersten Entwurf des PSG III war eine
Ausweitung dieser pauschalen Abgeltungsregelung auf alle
"Räumlichkeiten" der Behindertenhilfe geplant. Bis zum Inkrafttreten der
Regelungen der Eingliederungshilfe am 01.01.2020 verbleibt es nunmehr
bei der bisherigen Regelung.
Ab 1. Januar 2020 treten die neu gefassten §§ 43a
und 71 Abs. 4 SGB XI in Kraft. Dann soll die pauschale Abgeltung
weiterhin für vollstationäre Einrichtungen gelten, in denen die Teilhabe
am Arbeitsleben oder an Bildung, die soziale Teilhabe oder die
schulische Ausbildung oder Erziehung im Vordergrund steht. Ferner sollen
auch solche "Räumlichkeiten" in die pauschale Abgeltung von
Pflegeleistungen mit einbezogen werden, in denen der Zweck des Wohnens
und die Erbringung von Eingliederungshilfe im Vordergrund stehen, auf
die das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz Anwendung findet und bei
denen der Umfang der Versorgung weitgehend dem einer vollstationären
Einrichtung entspricht. Die Neuregelung könnte somit neben den bisher
schon einbezogenen vollstationären Wohneinrichtungen auch bestimmte
WG-Typen betreffen.
Der Zuschuss wird ab 01.01.2020 erhöht auf 15% der
Kosten der Eingliederungshilfe. Es bleibt allerdings bei der Deckelung
auf 266,- € pro Monat.
Bis zum 1. Juli 2019 sollen die Pflegekassen
Richtlinien unter Beteiligung der anderen Verbände und Träger
entwickeln, die eine Abgrenzung der einzubeziehenden und der nicht
einzubeziehenden Einrichtungen ermöglichen soll.
Der geplante Vorrang von Leistungen der
Pflegeversicherung vor Leistungen der Eingliederungshilfe in der
Häuslichkeit wurde nicht ins SGB XI und SGB XII aufgenommen.
(Urteil des BSG vom 20.04.2016, B 3 P 1/15 R)
Das
Bundessozialgericht (BSG) hatte darüber zu entscheiden, ob ein Bewohner
einer vollstationären Behindertenhilfeeinrichtung, bei dem die
Pflegestufe I und eine eingeschränkte Alltagskompetenz i.S.d. § 45a SGB
XI festgestellt sind, Anspruch auf zusätzliche Betreuungsleistungen nach
§ 45b SGB XI hatte.
Der Kläger leidet unter einer geistigen Behinderung
mit Sprachentwicklungs-, Orientierungs- und Wahrnehmungsstörungen. Er
lebt in einer stationären Behindertenhilfeeinrichtung. Von der
Pflegekasse wird an den Sozialhilfeträger der Zuschuss nach § 43a SGB XI
gezahlt. Er nahm einige Wochen an der Freizeitgruppe des
Familienentlastenden Dienstes des Trägers teil, in dessen Einrichtung er
lebt. Hierfür wurden ihm 354,48 € in Rechnung gestellt. Er stellte bei
seiner Pflegekasse einen Antrag auf Kostenfreistellung. Die Pflegekasse
lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass die zusätzlichen
Betreuungsleistungen nur erbracht werden, wenn der Betroffene in der
Häuslichkeit lebe.
Das zuständige Sozialgericht folgte der
Argumentation der Pflegekasse und wies die Klage ab. Auch das
Bundessozialgericht wies die Revision des Klägers zurück. Das BSG
stellte klar, dass eine vollstationäre Einrichtung der Behindertenhilfe
keine "Häuslichkeit" ist. Zwar werde in § 36 Absatz 1 Satz 2 SGB XI
geregelt, dass Leistungen der häuslichen Pflege auch erbracht werden,
wenn der Betroffene nicht im eigenen Haushalt lebt. Allerdings treffen
die §§ 43, 43a SGB XI abweichende Regelungen für vollstationäre
Einrichtungen. Aus Sicht des Gerichts ist hier kein Raum für die
Erweiterung des Anwendungsbereichs der zusätzlichen Betreuungsleistungen
über die Häuslichkeit hinaus auch auf stationäre Einrichtungen, da der
Gesetzgeber hier bewusst eine abschließende Regelung getroffen habe.
Anmerkung:
Auch ab 01.01.2017 wird sich an der dargestellten
Rechtslage nichts ändern. Es wird (weiterhin) einen sog.
Entlastungsbetrag für alle Pflegebedürftigen i.H.v. einheitlich 125,- €
p.M. geben. Dies gilt allerdings weiterhin nur für die Pflege in der
Häuslichkeit.
Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff in der Pflegeversicherung
Zum 01.01.2017 tritt ein Großteil der Reformen des
Pflegestärkungsgesetzes II in Kraft, das bereits im Dezember 2015
verabschiedet worden war. Kernstück der Reform der sozialen
Pflegeversicherung ist die Einführung eines neuen
Pflegebedürftigkeitsbegriffs und die Umstellung von Pflegestufen auf
Pflegegrade.
Der Begriff der Pflegebedürftigkeit wird völlig neu
definiert (§ 14 SGB XI). Maßgeblich sind zukünftig Beeinträchtigungen
der Selbständigkeit und Fähigkeitsstörungen der Betroffenen. Die
bisherige Begutachtung anhand von Zeitorientierungswerten, die für die
einzelnen grundpflegerischen Maßnahmen aufgewandt werden, fällt
vollständig weg. Zukünftig ist die maßgebliche Fragestellung, die der
Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) bei der Begutachtung zu
prüfen hat: Ist eine bestimmte Fähigkeit noch vorhanden und kann die
damit verbundene Tätigkeit noch selbständig, teilweise selbständig
oder nur unselbständig wahrgenommen werden?
Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff setzt sich aus sechs Modulen zusammen:
- Modul 1 - Mobilität (z.B. Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs, Treppensteigen)
- Modul 2 - Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
- Modul 3 - Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
- Modul 4 - Selbstversorgung (z.B. Körperpflege, Ernährung)
- Modul 5 - Erforderliche Behandlungspflegeleistungen und Therapien
- Modul 6 - Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte
Die
Module 1 und 4 bilden die bisherige körperbezogene Grundpflege ab und
fließen von der Gewichtung her (nur noch) zu 50% in die Feststellungen
der Pflegebedürftigkeit ein. Völlig neu fließen nunmehr mit dem Modul 5
Behandlungspflegemaßnahmen und Therapien zu 20% in die Feststellungen
zur Pflegebedürftigkeit ein und mit weiteren jeweils 15% die Module 2
und 3 sowie das Modul 6.
Bewohnerinnen und Bewohner stationärer
Behindertenhilfeeinrichtungen, bei denen bereits eine Pflegestufe
festgestellt worden ist, werden im Wege der automatischen Umstellung in
einen neuen Pflegegrad überführt. Ist nur eine Pflegestufe festgestellt,
erfolgt die Umstellung in den nächsthöheren Grad (z.B. Pflegestufe I in
Pflegegrad 2). Ist neben der Pflegestufe auch die eingeschränkte
Alltagskompetenz nach § 45a SGB XI festgestellt, wird die betroffene
Person um zwei Grade höhergestuft (z.B. Pflegestufe I mit
eingeschränkter Alltagskompetenz in Pflegegrad 3).
Foto: © Dirk Felmeden (Bundessozialgericht)