03/2017

Neues aus der Rechtsprechung

Das Verschließen der Außentür einer Einrichtung stellt eine freiheitsentziehende Unterbringung dar.

(Beschluss des BHG vom 24.05.2017, XII ZB 577/16)

Der Bundesgerichtshof (BHG) hatte darüber zu entscheiden, ob eine auf den Rollstuhl angewiesene Bewohnerin in einer Behindertenhilfeeinrichtung geschlossen untergebracht werden durfte, indem die Außentüren verschlossen wurden.

Die Betroffene leidet an einem frühkindlichen Hirnschaden mit hochgradiger geistiger Behinderung bei vorhandenem Coffin-Lowry-Syndrom sowie an Epilepsie. Sie ist auf den Rollstuhl angewiesen. Seit 1999 lebt sie in einer Behindertenhilfeeinrichtung. Die geschlossene Unterbringung wurde wiederholt gerichtlich genehmigt. Das zuständige Amtsgericht genehmigte im November 2015 neuerlich die freiheitsentziehende Unterbringung. Hiergegen legte die Betroffene Beschwerde ein. Das Landgericht und der BGH wiesen die Beschwerde zurück.

Der BGH wies zunächst darauf hin, dass das Verschließen der Außentür eine freiheitsentziehende Unterbringung nach § 1906 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist. Aus Sicht des Gerichts liegt eine solche freiheitsentziehende Unterbringung nur dann nicht vor, wenn der Betroffene faktisch nicht in der Lage ist, sich räumlich zu entfernen. Die im vorliegenden Verfahren betroffene Bewohnerin könne sich aber mit ihrem Rollstuhl vorwärts bewegen. Das psychiatrische Gutachten habe ferner ergeben, dass sie einen natürlichen Willen zur Fortbewegung bilden kann, so dass das Verschließen der Außentür ein Freiheitsentzug sei.

Eine solche freiheitsentziehende Unterbringung ist nach den Ausführungen des BGH nur genehmigungsfähig, wenn das Wohl der Betroffenen dies erforderlich macht, weil aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Gefahr besteht, dass sie sich tötet oder einen erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt. Es muss eine konkrete Gefahr für Leib und Leben der Betroffenen vorliegen, allerdings muss diese Gefahr nicht akut sein und sich unmittelbar zu verwirklichen drohen.

Bei der betroffenen Bewohnerin bejahte der BGH das Vorliegen einer solchen Gefahr, da sie die Einrichtung allein verlassen könnte und hierdurch im Straßenverkehr erheblichen Gefahren ausgesetzt wäre.

Anmerkung:

Das Verschließen der Außentüren oder Hoftore darf von einer Einrichtung nur durchgeführt werden, wenn für alle hiervon betroffenen Bewohner ein betreuungsgerichtlicher Beschluss zur freiheitsentziehenden Unterbringung vorliegt. Ist dies nicht bei allen der Fall, haben Bewohner ohne Unterbringungsbeschluss das Recht, die Einrichtung jederzeit zu verlassen. Dies muss ggf. durch Schlüssel oder einen Pförtner sichergestellt sein.


Ambulante Betreuung zur Wohnungssuche kann eine Leistung der Eingliederungshilfe sein.

(Beschluss des SG Aurich vom 21.03.2017, S 13 SO 9/17 ER)

Das Sozialgericht Aurich hatte im einstweiligen Rechtsschutz darüber zu entscheiden, ob dem Bewohner einer stationären Behindertenhilfeeinrichtung für seine Suche nach einer eigenen Wohnung die Kosten einer ambulanten Betreuung als Eingliederungshilfe durch das Sozialamt zu bewilligen waren.

Der Betroffene zog im Jahr 2016 aus seinem Elternhaus in eine stationäre Behindertenhilfeeinrichtung. Er erhielt Leistungen der Eingliederungshilfe und Grundsicherung sowie Hilfe zum Lebensunterhalt durch den Sozialhilfeträger für die Unterbringung in der stationären Einrichtung. Im Laufe des Jahres 2016 stellte sich heraus, dass dies nicht die geeignete Betreuungsform für ihn war und er in der Lage war, in einer eigenen Wohnung zu wohnen.

Im Oktober 2016 beantragte der gesetzliche Betreuer daher beim Sozialamt die Bewilligung von ambulanten Hilfen zur Suche einer eigenen Wohnung für den Betroffenen. Das Sozialamt lehnte diesen Antrag ab und verwies darauf, dass entweder Mitarbeiter der Behindertenhilfeeinrichtung oder der gesetzliche Betreuer Unterstützung bei der Suche einer eigenen Wohnung zu leisten hätten. Der gesetzliche Betreuer legte hiergegen Widerspruch ein und beantragte im Wege der einstweiligen Anordung die vorläufige Bewilligung ambulanter Hilfen vor dem SG Aurich. Das Gericht verpflichtete daraufhin das zuständige Sozialamt zur einstweiligen Erbringung ambulanter Hilfen bei der Suche nach einer eigenen Wohnung.

Das Sozialgericht lies hierbei ausdrücklich offen, ob die Behindertenhilfeeinrichtung im Rahmen ihrer Betreuungstätigkeit dazu verpflichtet ist, den Betroffenen bei der Wohnungssuche zu unterstützen. Nach Auffassung des Gerichts kann sich dies aus dem Rahmenvertrag oder der Leistungs- und Vergütungsvereinbarung ergeben. Da sich die Einrichtung aber weigerte, diese Leistungen zur erbringen, muss der Sozialhilfeträger einstweilen die Kosten der ambulanten Hilfe übernehmen. Im Rahmen eines späteren Kostenerstattungsverfahrens könne geklärt werden, ob die Einrichtung zur Erbringung der Leistungen verpflichtet war und daher die Kosten der ambulanten Hilfe zu erstatten hat.

Das Gericht ging davon aus, dass der gesetzliche Betreuer, der u.a. den Aufgabenkreis "Wohnungsangelegenheiten" inne hat, nicht zum Suchen einer Wohnung verpflichtet ist. Es folgt hierbei der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach der gesetzliche Betreuer dazu verpflichtet sind, rechtliche Hilfe zu leisten, nicht aber tatsächliche Hilfe (vgl. BGH, Urteil vom 02.12.2010, III ZR 19/10).

Hinweis:

Zu der Frage, ob ein rechtlicher Betreuer auch tatsächliche Hilfen leisten muss, gibt es weitere sozialgerichtliche Rechtsprechung, die ebenfalls davon ausgeht, dass gesetzliche Betreuer nur rechtliche Betreuung zu leisten haben, nicht aber tatsächliche Hilfeleistungen zu erbringen haben. Sie haben daher beispielsweise keine Wohnung für die Betroffenen zu suchen oder sie zum Arzt zu begleiten.

Ob eine stationäre Behindertenhilfeeinrichtung tatsächliche Hilfen zum Auszug eines Bewohners zu leisten hat, richtet sich nach den jeweiligen Rahmenverträgen und Leistungsvereinbarungen.


Neues aus der Gesetzgebung

Pflicht zur Genehmigung freiheitsentziehender Maßnahmen bei Kindern und Jugendlichen.

 

Am 01.10.2017 tritt das Gesetz zur Einführung eines familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehalts für freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern in Kraft.

Nach bisheriger Rechtslage bedurfte die Anordnung freiheitsentziehender Maßnahmen bei Kindern und Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr durch ihre Eltern oder Vormünder keiner Genehmigung durch das Familiengericht. Einzige Ausnahme hiervon stellte die freizeitsentziehende Unterbringung dar. Ab 1. Oktober 2017 wird nun ein familiengerichtlicher Genehmigungsvorbehalt eingeführt und damit die Rechtslage der Minderjährigen mit der der Erwachsenen vereinheitlicht. Die Anordnung freiheitsentziehender Maßnahmen bei Erwachsenen bedarf ebenso wie die freiheitsentziehende Unterbringung immer der Genehmigung durch das Betreuungsgericht.

Der Genehmigungsvorbehalt für freiheitsentziehende Maßnahmen gilt dann, wenn sich das Kind in einem Krankenhaus, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält. Die Freiheit muss durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf sonstige Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig in nicht altersgerechter Weise entzogen werden (§ 1631b Abs. 2 BGB). Somit sind z.B. Gitterbettchen, Laufställe oder Treppensicherungsgitter bei Kleinkindern nach wie vor genehmigungsfrei möglich, da sie altersgerecht sind. Bei älteren Kindern unterliegen sie aber der Genehmigungspflicht.

Für die Genehmigung ist das Familiengericht zuständig. Dem Minderjährigen ist ein Verfahrensbeistand an die Seite zu stellen. Bei Kindern und Jugendlichen reicht ein ärztliches Zeugnis über die Notwendigkeit der freiheitsentziehenden Maßnahme aus. Die freizeitsentziehende Maßnahme darf regelmäßig für maximal sechs Monate genehmigt werden, nur in Ausnahmefällen für ein Jahr (§ 167 Abs. 7 FamFG). Eine notwendige Verlängerung muss rechtzeitig vor Ablauf der Genehmigung beantragt werden.


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Fotos: © Joe Miletzki (Bundesgerichtshof) / Deutscher Bundestag


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