Neues aus der Rechtsprechung
Das Verschließen der Außentür einer Einrichtung stellt eine freiheitsentziehende Unterbringung dar.
(Beschluss des BHG vom 24.05.2017, XII ZB 577/16)
Der
Bundesgerichtshof (BHG) hatte darüber zu entscheiden, ob eine auf den
Rollstuhl angewiesene Bewohnerin in einer Behindertenhilfeeinrichtung
geschlossen untergebracht werden durfte, indem die Außentüren
verschlossen wurden.
Die Betroffene leidet an einem frühkindlichen
Hirnschaden mit hochgradiger geistiger Behinderung bei vorhandenem
Coffin-Lowry-Syndrom sowie an Epilepsie. Sie ist auf den Rollstuhl
angewiesen. Seit 1999 lebt sie in einer Behindertenhilfeeinrichtung. Die
geschlossene Unterbringung wurde wiederholt gerichtlich genehmigt. Das
zuständige Amtsgericht genehmigte im November 2015 neuerlich die
freiheitsentziehende Unterbringung. Hiergegen legte die Betroffene
Beschwerde ein. Das Landgericht und der BGH wiesen die Beschwerde
zurück.
Der BGH wies zunächst darauf hin, dass das
Verschließen der Außentür eine freiheitsentziehende Unterbringung nach §
1906 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist. Aus Sicht des Gerichts liegt
eine solche freiheitsentziehende Unterbringung nur dann nicht vor, wenn
der Betroffene faktisch nicht in der Lage ist, sich räumlich zu
entfernen. Die im vorliegenden Verfahren betroffene Bewohnerin könne
sich aber mit ihrem Rollstuhl vorwärts bewegen. Das psychiatrische
Gutachten habe ferner ergeben, dass sie einen natürlichen Willen zur
Fortbewegung bilden kann, so dass das Verschließen der Außentür ein
Freiheitsentzug sei.
Eine solche freiheitsentziehende Unterbringung ist
nach den Ausführungen des BGH nur genehmigungsfähig, wenn das Wohl der
Betroffenen dies erforderlich macht, weil aufgrund einer psychischen
Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Gefahr
besteht, dass sie sich tötet oder einen erheblichen gesundheitlichen
Schaden zufügt. Es muss eine konkrete Gefahr für Leib und Leben der
Betroffenen vorliegen, allerdings muss diese Gefahr nicht akut sein und
sich unmittelbar zu verwirklichen drohen.
Bei der betroffenen Bewohnerin bejahte der BGH das
Vorliegen einer solchen Gefahr, da sie die Einrichtung allein verlassen
könnte und hierdurch im Straßenverkehr erheblichen Gefahren ausgesetzt
wäre.
Anmerkung:
Das Verschließen der Außentüren oder Hoftore darf
von einer Einrichtung nur durchgeführt werden, wenn für alle hiervon
betroffenen Bewohner ein betreuungsgerichtlicher Beschluss zur
freiheitsentziehenden Unterbringung vorliegt. Ist dies nicht bei allen
der Fall, haben Bewohner ohne Unterbringungsbeschluss das Recht, die
Einrichtung jederzeit zu verlassen. Dies muss ggf. durch Schlüssel oder
einen Pförtner sichergestellt sein.
(Beschluss des SG Aurich vom 21.03.2017, S 13 SO 9/17 ER)
Das Sozialgericht Aurich hatte im einstweiligen
Rechtsschutz darüber zu entscheiden, ob dem Bewohner einer stationären
Behindertenhilfeeinrichtung für seine Suche nach einer eigenen Wohnung
die Kosten einer ambulanten Betreuung als Eingliederungshilfe durch das
Sozialamt zu bewilligen waren.
Der Betroffene zog im Jahr 2016 aus seinem
Elternhaus in eine stationäre Behindertenhilfeeinrichtung. Er erhielt
Leistungen der Eingliederungshilfe und Grundsicherung sowie Hilfe zum
Lebensunterhalt durch den Sozialhilfeträger für die Unterbringung in der
stationären Einrichtung. Im Laufe des Jahres 2016 stellte sich heraus,
dass dies nicht die geeignete Betreuungsform für ihn war und er in der
Lage war, in einer eigenen Wohnung zu wohnen.
Im Oktober 2016 beantragte der gesetzliche Betreuer
daher beim Sozialamt die Bewilligung von ambulanten Hilfen zur Suche
einer eigenen Wohnung für den Betroffenen. Das Sozialamt lehnte diesen
Antrag ab und verwies darauf, dass entweder Mitarbeiter der
Behindertenhilfeeinrichtung oder der gesetzliche Betreuer Unterstützung
bei der Suche einer eigenen Wohnung zu leisten hätten. Der gesetzliche
Betreuer legte hiergegen Widerspruch ein und beantragte im Wege der
einstweiligen Anordung die vorläufige Bewilligung ambulanter Hilfen vor
dem SG Aurich. Das Gericht verpflichtete daraufhin das zuständige
Sozialamt zur einstweiligen Erbringung ambulanter Hilfen bei der Suche
nach einer eigenen Wohnung.
Das Sozialgericht lies hierbei ausdrücklich offen,
ob die Behindertenhilfeeinrichtung im Rahmen ihrer Betreuungstätigkeit
dazu verpflichtet ist, den Betroffenen bei der Wohnungssuche zu
unterstützen. Nach Auffassung des Gerichts kann sich dies aus dem
Rahmenvertrag oder der Leistungs- und Vergütungsvereinbarung ergeben. Da
sich die Einrichtung aber weigerte, diese Leistungen zur erbringen,
muss der Sozialhilfeträger einstweilen die Kosten der ambulanten Hilfe
übernehmen. Im Rahmen eines späteren Kostenerstattungsverfahrens könne
geklärt werden, ob die Einrichtung zur Erbringung der Leistungen
verpflichtet war und daher die Kosten der ambulanten Hilfe zu erstatten
hat.
Das Gericht ging davon aus, dass der gesetzliche
Betreuer, der u.a. den Aufgabenkreis "Wohnungsangelegenheiten" inne hat,
nicht zum Suchen einer Wohnung verpflichtet ist. Es folgt hierbei der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach der gesetzliche Betreuer
dazu verpflichtet sind, rechtliche Hilfe zu leisten, nicht aber
tatsächliche Hilfe (vgl. BGH, Urteil vom 02.12.2010, III ZR 19/10).
Hinweis:
Zu der Frage, ob ein rechtlicher Betreuer auch
tatsächliche Hilfen leisten muss, gibt es weitere sozialgerichtliche
Rechtsprechung, die ebenfalls davon ausgeht, dass gesetzliche Betreuer
nur rechtliche Betreuung zu leisten haben, nicht aber tatsächliche
Hilfeleistungen zu erbringen haben. Sie haben daher beispielsweise keine
Wohnung für die Betroffenen zu suchen oder sie zum Arzt zu begleiten.
Ob eine stationäre Behindertenhilfeeinrichtung
tatsächliche Hilfen zum Auszug eines Bewohners zu leisten hat, richtet
sich nach den jeweiligen Rahmenverträgen und Leistungsvereinbarungen.
Pflicht zur Genehmigung freiheitsentziehender Maßnahmen bei Kindern und Jugendlichen.
Am
01.10.2017 tritt das Gesetz zur Einführung eines familiengerichtlichen
Genehmigungsvorbehalts für freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern in
Kraft.
Nach bisheriger Rechtslage bedurfte die Anordnung
freiheitsentziehender Maßnahmen bei Kindern und Jugendlichen bis zum 18.
Lebensjahr durch ihre Eltern oder Vormünder keiner Genehmigung durch
das Familiengericht. Einzige Ausnahme hiervon stellte die
freizeitsentziehende Unterbringung dar. Ab 1. Oktober 2017 wird nun ein
familiengerichtlicher Genehmigungsvorbehalt eingeführt und damit die
Rechtslage der Minderjährigen mit der der Erwachsenen vereinheitlicht.
Die Anordnung freiheitsentziehender Maßnahmen bei Erwachsenen bedarf
ebenso wie die freiheitsentziehende Unterbringung immer der Genehmigung
durch das Betreuungsgericht.
Der Genehmigungsvorbehalt für freiheitsentziehende
Maßnahmen gilt dann, wenn sich das Kind in einem Krankenhaus, einem Heim
oder einer sonstigen Einrichtung aufhält. Die Freiheit muss durch
mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf sonstige Weise über
einen längeren Zeitraum oder regelmäßig in nicht altersgerechter Weise
entzogen werden (§ 1631b Abs. 2 BGB). Somit sind z.B. Gitterbettchen,
Laufställe oder Treppensicherungsgitter bei Kleinkindern nach wie vor
genehmigungsfrei möglich, da sie altersgerecht sind. Bei älteren Kindern
unterliegen sie aber der Genehmigungspflicht.
Für die Genehmigung ist das Familiengericht
zuständig. Dem Minderjährigen ist ein Verfahrensbeistand an die Seite zu
stellen. Bei Kindern und Jugendlichen reicht ein ärztliches Zeugnis
über die Notwendigkeit der freiheitsentziehenden Maßnahme aus. Die
freizeitsentziehende Maßnahme darf regelmäßig für maximal sechs Monate
genehmigt werden, nur in Ausnahmefällen für ein Jahr (§ 167 Abs. 7
FamFG). Eine notwendige Verlängerung muss rechtzeitig vor Ablauf der
Genehmigung beantragt werden.