Neues aus der Rechtsprechung
Das persönliche Budget bringt keine Leistungsausweitung von Eingliederungshilfeleistungen.
(Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 22.02.2018, L 7 SO 3516/14)
Das
Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hatte darüber zu
entscheiden, in welchem Umfang der Klägerin
Eingliederungshilfeleistungen im persönlichen Budget zustehen.
Die schwerst mehrfach behinderte Klägerin wollte aus
dem Elternhaus in ein inklusives Wohnprojekt umziehen. Die Eltern
beantragten Leistungen im persönlichen Budget und begehrten Leistungen
im Umfang von rund 3.700,- € monatlich für die Beschäftigung diverser
Fach- und Hilfskräfte, die eine Betreuung der Klägerin sicherstellen
sollten. Der Sozialhilfeträger bewilligte Leistungen der
Eingliederungshilfe im persönlichen Budget in Höhe von monatlich 2.700,-
€, die der Höhe um rund 20% über den Leistungen im stationären Wohnen
lagen.
Die Eltern der Klägerin legten Widerspruch gegen den
Bescheid des Beklagten ein und begründeten ihn damit, dass die Klägerin
mit dem bewilligten Leistungsumfang nicht in der Lage sei, ihren Bedarf
zu decken. Sie benötige eine 24-Stunden-Betreuung und teilweise eine
1:1-Betreuung. Das Wunsch- und Wahlrecht der Klägerin nach § 9 Abs. 1
SGB XII sei nicht berücksichtigt worden. Ferner verstoße die zu geringe
Leistungsbewilligung gegen Art. 19 a) UN-Behindertenrechtskonvention
(UN-BRK).
Widerspruch und Klage vor dem Sozialgericht Freiburg
hatten keinen Erfolg. Mit der Berufung begehrte die Klägerin u.a. die
Feststellung, dass der Bescheid des Sozialamts rechtswidrig war und sie
in ihren Rechten verletzt hatte. Das LSG Baden-Württemberg gab der
Berufung im genannten Umfang statt, da das Sozialamt zwar Leistungen
bewilligt hatte, die der Höhe nach ungefähr denen von stationären
Einrichtungen entsprachen, in seinem Bescheid aber nicht hinreichend
dargelegt hatte, dass es sich auf die Anwendung des Mehrkostenvorbehalts
der §§ 9 Abs. 2 und 13 Abs. 1 SGB XII stützte. Das Sozialamt hätte die
Klägerin über gleich geeignete und tatsächlich zur Verfügung stehende
stationäre und ambulante Einrichtungen informieren müssen. Dies gelte
trotz der Tatsache, dass die Klägerin die Suche nach Alternativen von
vornherein abgelehnt hatte.
Das LSG stellte aber zugleich klar, dass der
Klägerin Leistungen in der von ihr begehrten Höhe nicht zustehen. Beim
persönlichen Budget handele es sich nicht um eine andere Leistungsart,
sondern um eine alternative Leistungsform (Auszahlung an die Betroffenen
anstelle des Sachleistungsprinzips). Die Höhe des persönlichen Budgets
darf die Kosten, die der Klägerin außerhalb des persönlichen Budgets
bewilligt worden wären, nicht übersteigen (§ 29 Abs. 2 Satz 7 SGB IX).
Bei der Leistungsbewilligung ist zwar auf die Wünsche der Klägerin
Rücksicht zu nehmen, zugleich soll ihnen aber in der Regel nicht
entsprochen werden, wenn damit unverhältnismäßige Mehrkosten verbunden
sind (§ 9 Abs. 2 Satz 3 SGB XII; sog. Mehrkostenvorbehalt). Dies ist
aber vorliegend nach Auffassung des Gerichts der Fall, da die
eingeforderte Leistung erheblich über den vergleichbaren stationären
Kosten liegt.
Das LSG Baden-Württemberg führt weiter aus, dass
Art. 19 UN-BRK selbst keine Anspruchsgrundlage für Sozialleistungen ist
und die Mehrkostenvorbehalte in §§ 9 Abs. 2 und 13 Abs. 1 SGB XII
dadurch nicht gegenstandslos werden. Im Sozialhilferecht seien für die
Bemessung des persönlichen Budgets die Leistungs- und
Vergütungsvereinbarungen des zuständigen Sozialhilfeträgers nach § 75
Abs. 3 SGB XII maßgeblich. Eine mit höheren Kosten verbundene
Vereinbarung zwischen dem Leistungsberechtigten und dem
Leistungserbringer könne bei der Bemessung des persönlichen Budgets in
aller Regel nicht berücksichtigt werden.
Anmerkung:
Das Urteil stellt noch einmal klar, dass die
Bewilligung von Leistungen der Eingliederungshilfe im persönlichen
Budget ihrer Höhe nach auf vergleichbare Leistungen nach dem
Sachleistungsprinzip im ambulanten und stationären Bereich begrenzt ist.
Über das persönliche Budget können die Betroffenen keine erheblich
höheren Leistungen gegenüber den Sozialhilfeträgern durchsetzen. Auch
Art. 19 UN-BRK begründet keine Ansprüche der Betroffenen unabhängig von
der Höhe der Kosten zulasten der Allgemeinheit.
(Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 22.11.2017, 5 L 294/17)
Das
Verwaltungsgericht Cottbus hatte im einstweiligen Rechtsschutz zu
klären, ob eine Pflegeeinrichtung einstweilen bis zur Entscheidung im
Klageverfahren Auskünfte gegenüber der Aufsicht für unterstützende
Wohnformen (Heimaufsicht) des Landes Brandenburg verweigern durfte.
Die Heimaufsicht hatte im Januar 2019 an zwei Tagen
die Einrichtung besucht und dabei diverse Mängel festgestellt. U.a.
wurde festgestellt, dass nachts für 50 bis 60 Bewohner*innen, hiervon
rund 20 Personen mit hohem Pflegebedarf (Pflegegrade 4 und 5), lediglich
eine Pflegekraft über mehrere Stockwerke im Einsatz war. Auch tagsüber
war die Einrichtung deutlich unterbesetzt.
Das Verwaltungsgericht Cottbus kam u.a. zu dem
Ergebnis, dass die Besetzung der Einrichtung mit nur einer Pflegekraft
im Nachtdienst einen evidenten Mangel im Sinne des § 21 Absatz 1
Brandenburgisches Pflege- und Betreuungswohngesetz (BbgPBWoG) darstellt.
Neben weiteren Mängeln wertete das Gericht auch die zu geringe Größe
einiger Doppelzimmer als Mangel.
Teilweise bestritt die Einrichtung die Mängel,
teilweise blieben diese aber auch unbestritten. Das Gericht war der
Auffassung, dass die Einrichtung jedenfalls hinsichtlich der
unbestrittenen Mängel dem Auskunftsersuchen der Heimaufsicht im Rahmen
des § 22 Absatz 1 BbgPBWoG nachzukommen hatte. Zugleich stellte das
Gericht fest, dass hinsichtlich bestrittener Mängel kein
Auskunftsverlangen geltend gemacht werden kann, da es in diesem Fall
keinen Sinn macht, weil das Auskunftsverlangen mangels
Einsichtsbereitschaft der Einrichtung, dass Mängel vorliegen, ins Leere
gehen würde und eine Beratung durch die Heimaufsicht nach § 22 Absatz 1
BbgPBWoG dadurch nicht möglich wäre.
Hinweis:
Das Gericht hat klar gestellt, dass zu geringer
Personaleinsatz auch in Zeiten des Fachkräftemangels heimrechtlich einen
Mangel darstellt, den die Heimaufsicht sanktionieren kann. Dies gilt
für Einrichtungen der Behindertenhilfe ebenso wie für
Pflegeeinrichtungen. Zur Vermeidung drastischerer Maßnahmen der
Heimaufsicht nach §§ 23 ff. BbgPBWoG bzw. vergleichbarer
landesheimrechtlicher Regelungen in anderen Bundesländern erscheint es
angeraten, im Rahmen der Beratungsverpflichtung der Heimaufsicht
erbetene Auskünfte zu erteilen.
Die wichtigsten Änderungen des Mutterschutzgesetzes (Teil 1)
Am 01.01.2018 ist das reformierte Mutterschutzgesetz
(MuSchG) in Kraft getreten, das diverse Anpassungen und Neuregelungen
im Bereich des Schutzes von schwangeren und stillenden Frauen brachte.
In diesem und dem Newsletter Behindertenhilfe 04/2018 werden Ihnen die
wesentlichen Neuregelungen vorgestellt.
Gemäß § 1 MuSchG wurde der Anwendungsbereich des
Gesetzes auf alle beschäftigten Frauen im sozialversicherungsrechtlichen
Sinne erweitert. Ausdrücklich mit aufgenommen wurden Schülerinnen,
Studentinnen, Praktikantinnen, Beschäftigte in Behindertenwerkstätten,
Frauen im Bundes- oder Jugendfreiwilligendienst und Mitarbeiterinnen
einer geistigen Genossenschaft.
Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 MuSchG muss ein
Arbeitgeber der Mutter auf Antrag eine verlängerte nachgeburtliche
Schutzfrist von 12 Wochen gewähren, wenn sie ein behindertes Kind
geboren hat. Der Nachweis über die Behinderung des Kindes i.S.d. § 2 SGB
IX muss innerhalb von acht Wochen nach der Geburt durch ein ärztliches
Attest erbracht werden.
Wie bisher ist Mehrarbeit für schwangere und
stillende Frauen untersagt. Über 18jährige Frauen dürfen maximal 8,5
Stunden am Tag bzw. 90 Stunden innerhalb von zwei Wochen beschäftigt
werden. Bei unter 18jährigen Frauen ist die tägliche Arbeitszeit auf 8
Stunden begrenzt. Sie dürfen maximal 80 Stunden in zwei Wochen
beschäftigt werden. Der Arbeitgeber muss eine ununterbrochene Ruhezeit
von mindestens 11 Stunden gewähren (§ 4 MuSchG).
Schwangere und stillende Frauen dürfen zwischen
20.00 Uhr und 06.00 Uhr nicht beschäftigt werden. Für alle Berufsgruppen
gilt jetzt, dass der Arbeitgeber für eine Beschäftigung zwischen 20.00
Uhr und 22.00 Uhr eine Ausnahmegenehmigung bei der zuständigen Behörde
beantragen kann, wenn
- sich die Frau dazu ausdrücklich bereit erklärt,
- ein ärztliches Attest hinsichtlich der Unbedenklichkeit vorliegt und
- eine unverantwortbare Gefährdung für die schwangere Frau oder ihr Kind durch Alleinarbeit ausgeschlossen ist (§ 28 MuSchG).
Weitere Ausnahmegenehmigungen für den Einzelfall sind in § 29 Abs. 3 Nr. 1 MuSchG geregelt.
Es besteht das grundsätzliche Verbot, schwangere und
stillende Frauen an Sonn- und Feiertagen zu beschäftigen. Allerdings
kann sich die betroffene Frau ausdrücklich im Rahmen der Regelungen des
Arbeitszeitgesetzes dazu bereit erklären, auch an Sonn- und Feiertagen
tätig zu werden (§ 6 MuSchG). Es muss insbesondere sichergestellt
werden, dass die betroffene Frau nicht alleine arbeitet. Ihr ist pro
Arbeitswoche dann ein Ersatzruhetag zu gewähren.
Neu geregelt wurde, dass eine stillende Mutter nur
noch in den ersten zwölf Monaten nach der Entbindung (bisher nicht
zeitlich begrenzt) einen Anspruch auf Freistellung zum Stillen in
bestimmten zeitlichen Grenzen täglich hat (§ 7 Abs. 2 MuSchG).