Neues aus der Rechtsprechung
Der Wunsch des Betroffenen hinsichtlich der Person des gesetzlichen Betreuers hat Vorrang.
(Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.03.2018, XII ZB 558/17)
Der
Bundesgerichtshof (BGH) hatte darüber zu entscheiden, ob die
Verlängerung der Bestellung einer Berufsbetreuerin rechtmäßig war oder
ob alternativ die Nichte der Betroffenen zur gesetzlichen Betreuerin zu
bestellen war.
Die Betroffene, die an einer Intelligenzminderung
leidet, lebt gemeinsam mit ihrer Nichte und deren Lebensgefährten in
einem Haus auf dem Land. Eine Mitarbeiterin des Betreuungsvereins war
zur gesetzlichen Betreuerin bestellt worden. Sie konnte keinen
persönlichen Kontakt mit der Betroffenen pflegen, da ihr der Zugang zum
Hof verwehrt worden war.
Entgegen dem Willen der Betroffenen und ihrer Nichte
war die Bestellung der Mitarbeiterin des Betreuungsvereins zur
Betreuerin nach zwei Jahren verlängert worden. Die hiergegen eingelegte
Beschwerde wies das zuständige Landgericht mit der Begründung zurück,
dass die Nichte zu Recht nicht zur Betreuerin bestellt worden war. Die
bereits von Beginn der Betreuung an bestehenden Bedenken gegen deren
Eignung als Betreuerin seien weiterhin gegeben. Es bestehe nach wie vor
der Eindruck, dass die dominante Nichte die leicht zu beeinflussende und
zu manipulierende Betroffene von der Außenwelt abschirme, die
Betroffene eigene Bedürfnisse aus Angst vor der Nichte nicht äußere und
sich deren Anordnungen auch gegen ihre eigenen Wünsche füge.
Der BGH hob die Entscheidung des Landgerichts auf.
Er führte aus, dass das Gericht gemäß § 1897 Absatz 4 Satz 1 BGB dem
Vorschlagsrecht der betroffenen Person hinsichtlich der Benennung eines
gesetzlichen Betreuers zu folgen hat. Es sei die Person zum Betreuer zu
bestellen, die der Betroffene wünscht. Der Wille des Betroffenen könne
nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn die Bestellung der
vorgeschlagenen Person seinem Wohl zuwiderlaufe. Dies setze voraus, dass
gewichtige Gründe vorliegen, die gegen die Bestellung der
vorgeschlagenen Person sprechen. Es müsse die konkrete Gefahr bestehen,
dass die vorgeschlagene Person die Betreuung der Betroffenen nicht zu
deren Wohl führen würde.
Die Einwände des Landgerichts ließ der BGH nicht
gelten. Aus seiner Sicht sei hier nur ein "Eindruck" geschildert, nicht
aber konkrete Vorfälle, die die Befürchtung untermauern würden, dass die
Betreuung durch die Nichte nicht zum Wohl der Betroffenen erfolgen
würde. Ferner werde diese im Rahmen der betreuungsgerichtlichen
Kontrolle ausreichend kontrolliert. Das Landgericht habe auch die
Prüfung unterlassen, ob nicht jedenfalls die Übertragung einzelner
Aufgabenkreise auf die Nichte in Betracht komme, während andere bei der
Betreuuerin des Betreuungsvereins verbleiben.
Anmerkung:
Der BGH hat die Rechte der Betroffenen weiter
gestärkt, selbst entscheiden zu können, wer deren gesetzlicher Betreuer
sein soll. Das Gericht hat hier auch nochmal klar gestellt, dass diese
Entscheidungskompetenz unabhängig von einer Geschäfts- oder
Einsichtsfähigkeit gegeben ist.
Zweifelhaft ist allerdings die Auffassung des BGH,
dass ehrenamtliche Angehörigenbetreuer in ausreichendem Maße durch die
Betreuungsgerichte überprüft werden. Hier ergibt sich aus der Praxis
eher ein gegenteiliger Eindruck.
(Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 06.11.2018, C-684/16)
Der
Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte darüber zu entscheiden, ob der
Urlaubsanspruch für Mitarbeiter*innen verfällt, die bis zum Ende des
Kalenderjahres ihren Urlaub nicht beantragt haben.
Der Entscheidung lag der Fall zugrunde, dass ein
befristet beschäftigter Mitarbeiter, dessen Arbeitsverhältnis zum Ende
des Jahres 2013 endete, vom Arbeitgeber aufgefordert worden war,
verbliebene 53 Urlaubstage in den Monaten November und Dezember zu
nehmen. Er nahm lediglich zwei Tage Urlaub und verlangte nach Ablauf des
Kalenderjahres und Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abgeltung
des restlichen Urlaubsanspruchs von 51 Tagen. Das Arbeitsgericht München
und das Landesarbeitsgericht München gaben dem klagenden Arbeitnehmer
Recht. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) sah hier einen Widerspruch zur
Regelung des § 7 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG), wonach ein Arbeitnehmer
den Urlaub beantragen muss, damit der Anspruch nicht zum Jahresende
verfällt. Das BAG legte dem EuGH diese Frage zur Entscheidung vor.
Der EuGH kam zu dem Ergebnis, dass jedenfalls der
vierwöchige gesetzliche Mindesturlaub nicht schon deshalb verfallen
kann, weil der Arbeitnehmer keinen Urlaubsantrag gestellt hat. Die
Arbeitgeber seien in diesem Fall in der Pflicht, die Arbeitnehmer*innen
rechtzeitig vor Ablauf des Jahres aufzufordern, den Urlaub zu nehmen und
darauf hinzuweisen, dass der Urlaub anderenfalls verfällt. Allerdings
seien die Arbeitgeber nicht dazu verpflichtet, Urlaub vor dem Jahresende
zwangsweise anzuordnen.
Anmerkung:
Die Sache ist nun wieder ans Bundesarbeitsgericht
zurückgegangen, das jetzt den konkreten Fall abschließend entscheiden
muss und hierbei Kriterien aufstellen muss, in welchem Umfang und auf
welche Weise Arbeitgeber die Mitarbeiter*innen über den drohenden
Verfall des Mindesturlaubs informieren müssen.
Das Urteil bezieht sich ausschließlich auf den
vierwöchigen gesetzlichen Mindesturlaub. In Arbeitsverträgen können für
darüber hinausgehenden Urlaub abweichende Regelungen aufgenommen werden.
Hinsichtlich noch nicht genommenen Mindesturlaubs ist es zukünftig
angeraten, die Mitarbeiter*innen rechtzeitig vor Ablauf des Jahres auf
offene Mindesturlaubsansprüche und deren Verfall zum Jahresende
schriftlich hinzuweisen.
Die wichtigsten Änderungen des Mutterschutzgesetzes (Teil 2)
Am 01.01.2018 ist das reformierte Mutterschutzgesetz
(MuSchG) in Kraft getreten, das diverse Anpassungen und Neuregelungen
im Bereich des Schutzes von schwangeren und stillenden Frauen brachte.
Der hiesige Beitrag setzt die bereits im Newsletter Behindertenhilfe
03/2018 begonnene Darstellung der wesentlichen Neuregelungen fort.
Gemäß § 9 MuSchG haben Arbeitgeber die
Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass Gefährdungen einer schwangeren
oder stillenden Frau oder ihres Kindes möglichst vermieden werden und
eine "unverantwortbare" Gefährdung ausgeschlossen wird. Es muss eine
Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich der Gestaltung der
Arbeitsbedingungen der betroffenen Personenkreise vorgenommen werden und
ggf. müssen Schutzmaßnahmen nach § 10 MuSchG getroffen werden. Für die
Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung gilt nun § 14 MuSchG. Alte
Gefährdungsbeurteilungen müssen hierauf umgestellt werden.
Wird eine "unverantwortbare" Gefährdung festgestellt, hat der Arbeitgeber Maßnahmen in folgender Reihenfolge durchzuführen:
- Umgestaltung der Arbeitsbedingungen,
- Umsetzung auf einen anderen geeigneten Arbeitsplatz,
- Falls beide vorgenannten Maßnahmen nicht ausreichen, ist ein Beschäftigungsverbot auszusprechen.
Neu
eingeführt wurde in § 17 Absatz 1 Nr. 2 MuSchG ein viermonatiger
Kündigungsschutz, falls die schwangere Frau nach der 12. Woche eine
Fehlgeburt erleidet. Das Verbot umfasst auch die Vorbereitungsmaßnahmen
einer Kündigung.
Nach Beendigung eines Beschäftigungsverbots haben
die betroffenen Arbeitnehmerinnen Anspruch auf Beschäftigung (§ 25
MuSchG). Ein entsprechender Arbeitsplatz ist freizuhalten.
Arbeitgeber müssen das neue Mutterschutzgesetz allen
Arbeitnehmerinnen bekannt machen ( § 26 MuSchG). Dies kann durch
Aushang oder Auslage erfolgen ebenso wie durch Zugänglichmachung in
einem für alle Arbeitnehmerinnen zugänglichen elektronischen
Verzeichnis.
Der Bußgeldkatalog wurde angepasst. U.a. wurde in §
32 Nr. 6 MuSchG der Verstoß gegen die Pflicht zur Erstellung einer
Gefährdungsbeurteilung neu aufgenommen.
Foto: © Joe Miletzki (Bundesgerichtshof); Europäischer Gerichtshof