02/2019

Neues aus der Rechtsprechung

Das Arbeitszeitgesetz findet auch auf Erzieher*innen Anwendung, die über einen längeren Zeitraum in einer Wohngruppe wohnen.

(Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 08.05.2019, 8 C 3.18)

Das Bundesverwaltungsgericht hatte darüber zu entscheiden, ob die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) auf Erzieher*innen Anwendung finden, wenn sie über einen längeren Zeitraum in einer Wohngruppe von Kindern und Jugendlichen wohnen.

Der klagende Träger der Kinder- und Jugendhilfe betreibt u.a. Wohngruppen, in denen regelmäßig jeweils sechs Kinder und Jugendliche von drei Erziehern betreut werden. Im Rahmen der hierbei praktizierten alternierenden Betreuung (WaB-Modell) wohnt jeweils einer der Erzieher für zwei bis sieben Tage durchgehend in der Wohngruppe. Der zweite Erzieher hat tagsüber Dienst. Der dritte Erzieher hat frei.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab das beklagte Land dem Kläger auf, die Dienstpläne der Erzieher im Einklang mit den Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes auszugestalten. Der Kläger verlor in allen drei Instanzen.

Das Bundesverwaltungsgericht entschied, dass die Anwendung des Arbeitszeitgesetzes auf die in den WaB-Gruppen beschäftigten Erzieher nicht nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 ArbZG ausgeschlossen ist. § 18 Abs. 1 Nr. 3 ArbZG regelt, dass das Arbeitszeitgesetz keine Anwendung findet auf Arbeitnehmer*innen, die in häuslicher Gemeinschaft mit den ihnen anvertrauten Personen zusammenleben und sie eigenverantwortlich erziehen, pflegen oder betreuen. Das Gericht war der Auffassung, dass ein gemeinschaftliches Zusammenleben nur dann gegeben ist, wenn ein gemeinsames Wohnen und Wirtschaften auf längere Zeit erfolgt. Aus Sicht der Richter ist dies nur dann der Fall, wenn das gemeinschaftliche Zusammenleben auf personelle Kontinuität sowie nahezu permanente Verfügbarkeit der Arbeitnehmer*innen angelegt und davon geprägt ist, dass sich Arbeits- und Ruhezeiten nicht voneinander trennen lassen. Dieses Verständnis des § 18 Abs. 1 Nr. 3 ArbZG stehe im Einklang mit dem Unionsrecht. Gemessen daran stelle das von der Klägerin praktizierte Modell kein Zusammenleben in häuslicher Gemeinschaft dar.

Anmerkung:

§ 18 Abs. 1 Nr. 3 ArbZG selbst regelt als Voraussetzung nicht, dass ein gemeinsames Zusammenleben "auf längere Zeit" angelegt sein muss. Es erschließt sich aus der bisherigen Veröffentlichung des Bundesverwaltungsgerichts nicht, warum dies zwingende Voraussetzung sein soll. Es bleibt abzuwarten, ob sich aus der noch ausstehenden Urteilsbegründung hierzu mehr ergeben wird.


Träger haben das Recht auf Einsichtnahme in Vergütungsvereinbarungen zwischen dem Sozialhilfeträger und anderen Leistungserbringern.

(Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 02.08.2018, OVG 12 B 12.18)

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg hatte darüber zu entscheiden, ob ein Träger der Behindertenhilfe, der Einrichtungen im Land Brandenburg betreibt, ein Recht auf Einsichtnahme in Vergütungsvereinbarung hat, die der zuständige Sozialhilfeträger mit weiteren Einrichtungen abgeschlossen hatte.

Der Klägerin beantragte bei dem Beklagten die Einsicht in Vergütungsvereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII, die dieser mit weiteren Einrichtungen geschlossen hatte. Sie stützte ihr Begehren auf § 1 Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz (AIG) des Landes Brandenburg. Im Laufe des Verwaltungsverfahrens teilte sie mit, dass sie Einsicht in die "blanken" Entgeltsätze sämtlicher Träger begehrt. Sämtliche Sondervereinbarungen mit einzelnen Trägern könnten vom Beklagten geschwärzt werden.

Das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) wies die Klage zunächst ab. Das OVG Berlin-Brandenburg gab dem Akteneinsichtsbegehren der Klägerin hingegen im begehrten Umfang statt.

Aus Sicht des Gerichts steht der Klägerin als juristischer Person des Privatrechts ein Akteneinsichtsrecht nach § 1 AIG zu, da weder überwiegende öffentliche noch private Interessen einem solchen Begehren entgegenstehen. Durch die Einsichtnahme in anonymisierte Daten besteht nach Auffassung des OVG nicht die Gefahr, dass Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse anderer Träger bekannt werden (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 AIG).

Eine klare Absage erteilte das OVG Berlin-Brandenburg der von dem Beklagten vertretenen Rechtsauffassung, dass ein Akteneinsichtsrecht gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 4 AIG zu versagen war, weil dadurch die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben des Beklagten erheblich beeinträchtigt werden könnte. Der Beklagte interpretierte die Norm dahingehend, dass er ein Recht auf Geheimhaltung der entsprechenden Daten habe, da er anderenfalls in der Erfüllung seiner sachlichen Aufgaben, also der Verhandlung weiterer Vergütungsvereinbarungen, beeinträchtigt wäre. Das Gericht stellte klar, dass der Gesetzgeber § 4 Abs. 2 Nr. 4 AIG nicht in dieser Weise verstanden wissen wollte. Die Norm beziehe sich allein auf den übermäßigen Verwaltungsaufwand bei der Aufbereitung und Sichtung der Akten für eine begehrte Einsichtnahme.

Das OVG Berlin-Brandenburg machte in der Urteilsbegründung weiter deutlich, dass nach seiner Auffassung eine erhebliche Beeinträchtigung der Aufgaben des Beklagten durch Veröffentlichung der anonymisierten Vergütungssätze weiterer Einrichtungen sehr zweifelhaft ist, wie dies von dem Beklagten im Verfahren behauptet wurde. Das Gericht verwies darauf, dass entsprechende Daten im Land Berlin öffentlich zugänglich sind.

Ferner verwies das Gericht auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Offenlegung von Vergleichsdaten im Rahmen des externen Vergleichs im Bereich der Pflegeeinrichtungen. Zwar sei die Regelung des § 75 Abs. 2 Satz 10 SGB XII (ab 01.01.2020 § 124 Abs. 3 SGB IX) nicht identisch mit der vergleichbaren Regelung des SGB XI, aber nach Ansicht des Gerichts ist nicht zu erkennen, warum sich das auf die Offenlegungspflicht beziehen soll.

Anmerkung:

Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg ist sehr zu begrüßen. Es wird helfen, die Praxis der Sozialhilfeträger in Brandenburg auf Verweigerung der Offenlegung von Vergleichsdaten zu beenden.

Aktuell stellt sich für viele Träger in Brandenburg die Frage, ob ihnen die von den Grundsicherungsabteilungen in den Sozialämtern bis zum 30. Juni 2019 zu ermittelnden angemessenen durchschnittlichen Warmmieten offengelegt werden. Ohne Offenlegung können Träger nicht einschätzen, ob ihre Wohnkostenkalkulationen im Bereich der besonderen Wohnformen ab 2020 angemessen im Sinne des § 42a Abs. 5 SGB XII n.F. sind. Sollte eine Offenlegung nicht erfolgen, kann ein Antrag auf Einsicht in die zur Ermittlung des Durchschnittsbetrags herangezogenen Akten nach § 1 AIG unter Verweis auf das hiesige Urteil sinnvoll sein.


Hinweise zur Gestaltung von Wohn- und Betreuungsverträgen

Anforderungen nach Datenschutz-Grundverordnung und Verbraucherstreitbeilegungsgesetz sind in den Wohn- und Betreuungsvertrag einzuarbeiten.

Aktuell sind insbesondere die Träger von stationären Behindertenhilfeeinrichtungen in Deutschland damit befasst, ihre Wohn- und Betreuungsverträge zu überarbeiten, um sie an die Erfordernisse der Eingliederungshilfereform ab 2020 anzupassen. Die Trennung von Eingliederungshilfe und Grundsicherungsleistungen muss in die Verträge eingearbeitet werden. Es sind Wohnkosten (Bruttowarmmiete und eventueller Zuschlag nach § 42a Abs. 5 Satz 4 SGB XII in der Fassung ab 01.01.2020) und Sachleistungspauschalen zu kalkulieren, die die Bewohner*innen der besonderen Wohnformen ab 2020 an die Einrichtungen zu entrichten haben und entsprechende vertragliche Regelungen zu treffen. Ferner müssen Regelungen zu den Kosten der Fachleistung in der Eingliederungshilfe aufgenommen werden. Darüber hinaus ist der leistungsberechtige Personenkreis zu definieren. Es sind eventuell (weitere) Ausschlussgründe zu regeln und ggf. weitere erforderliche Anpassungen vorzunehmen.

Im Rahmen der Überarbeitung von Verträgen fällt immer wieder auf, dass viele Einrichtungen die bereits in den vergangenen Jahren erforderlich gewordenen Anpassungen der Wohn- und Betreuungsverträge noch nicht vorgenommen haben. Insbesondere wurden häufig die Datenschutzregelungen noch nicht an die Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) und das neue Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) oder die kirchlichen Datenschutzgesetze angepasst. Ferner fehlt häufig der Hinweis nach § 36 Verbraucherstreitbeilegungsgesetz in den Verträgen. Bei vielen älteren Verträgen ist es darüber hinaus angeraten, die zivilgerichtliche Rechtsprechung der vergangenen Jahre zur Unzulässigkeit einzelner Klauseln in den Wohn- und Betreuungsverträgen umzusetzen.

Die DS-GVO und das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz bringen darüber hinaus Verpflichtungen zur Anpassung der Webseiten mit sich, die zeitnah umgesetzt werden sollten, soweit dies noch nicht erfolgt ist. In diesem Zusammenhang wird auf einen Beschluss des Landgerichts Würzburg vom 13.09.2018 (Az. 11 O 1741/18 UWG) verwiesen, wonach eine Datenschutzerklärung, die nicht den Anforderungen der DS-GVO entspricht, sowie die Nutzung eines Kontaktformulars auf einer unverschlüsselten Internetseite Wettbewerbsverstöße darstellen, die abgemahnt werden können. Erfreulicherweise gibt es zwischenzeitlich weitere Rechtsprechung, die einen entsprechenden Wettbewerbsverstoß verneint. Derzeit ist die Rechtsprechung hierzu aber noch sehr uneinheitlich.


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Fotos: © Michael Moser (Bundesverwaltungsgericht); Landesarchiv Berlin (OVG Berlin-Brandenburg)


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