Neues aus der Rechtsprechung
Der behinderte Mensch kann entscheiden, in einem Pflegeheim zu bleiben.
(LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 03.05.2021, L 8 SO47/21 B ER)
Das
Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hatte darüber zu
entscheiden, ob der behinderte Antragsteller dazu verpflichtet war,
vorrangig Leistungen der Eingliederungshilfe zu beantragen und in eine
besondere Wohnform umzuziehen oder ob er im Pflegeheim bleiben durfte.
Der 1969 geborene Betroffene leidet unter anderem an
Diabetes Typ 2, Bluthochdruck, Inkontinenz, Vorhofflimmern sowie einer
passiv aggressiven Persönlichkeitsstörung. Die Gutachterin des
Sozialamts verneinte eine "Heimnotwendigkeit" und stellte fest, dass
vorrangig Leistungen der Eingliederungshilfe in Frage kommen. Das
Sozialamt als Leistungsträger der Hilfe zur Pflege verlangte daraufhin
vom Antragsteller einen Umzug in eine Einrichtung der
Eingliederungshilfe. Dort würden weiterhin Leistungen gewährt werden,
allerdings nur im Umfang der Hilfe zur Pflege.
Das LSG gab dem Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung gegen das Sozialamt statt. Es erteilte hierbei
der Auffassung des Sozialamts eine klare Absage, dass den Betroffenen
eine Obliegenheit treffe, einen Antrag auf Eingliederungshilfe zu
stellen. Es gehört aus Sicht des Gerichts zum Selbstbestimmungsrecht des
Antragstellers, auf Hilfeleistungen zu verzichten. Dies ergebe sich aus
Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz und dem Übereinkommens der Vereinten
Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK).
Das Gericht stellt klar, dass es für den Anspruch
auf stationäre Hilfe zur Pflege nicht darauf ankommt, ob die Pflege des
Betroffenen nach Auffassung des Sozialhilfeträgers unter dem
Gesichtspunkt der sog. „Heimnotwendigkeit“ nach den Umständen des
Einzelfalles „bedarfsgerecht“ nur in einer Einrichtung der
Eingliederungshilfe gewährleistet werden kann. Aufgrund des aus § 9 SGB
XII abgeleiteten Bedarfsdeckungsgrundsatzes sei allein maßgeblich, dass
der Bedarf des Betroffenen gegenwärtig in dem von ihm bewohnten Alten-
und Pflegeheim gedeckt werde.
Anmerkung:
Die Entscheidung stellt klar, dass dem
Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen ein hoher Stellenwert zukommt.
Das Gericht stützt sich hier auf das Grundgesetz und die UN-BRK.
Insoweit können die Argumente des Gerichts durchaus in anderen Fällen
herangezogen werden, in denen der Leistungsträger in das
Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen eingreift. Das gilt allerdings
nur für vergleichbare Fälle, in denen der Betroffene "weniger" will, als
ihm eigentlich zusteht.
(ArbG Herne, Urteil v. 06.05.2021, 4 Ca 2437/20)
Das Arbeitsgericht (ArbG) Herne hatte darüber zu
entscheiden, ob die Umsetzung einer Krankenschwester durch den
Arbeitgeber rechtmäßig war.
Die klagende Krankenschwester ist seit dem Jahr 2000
im Krankenhaus des Beklagten beschäftigt. Zuletzt wurde sie auf der
Intensivstation eingesetzt. Dort werden auch an COVID-19 erkrankte
Patienten behandelt, sodass die Beschäftigten bei sämtlichen
pflegerischen Tätigkeiten FFP2-Masken tragen müssen. Der Arbeitgeber
hatte für FFP2-Masken Tragezeiten von 120 Minuten mit einer
nachfolgenden Tragepause von 15 Minuten festgelegt. Der Betriebsarzt
hatte keine Bedenken. Ferner hatte der Arbeitgeber den
Arbeitssicherheitsbeauftragten beteiligt und die Mitarbeitervertretung
einbezogen. Die Klägerin hatte sich daraufhin wiederholt an einen
Vorgesetzten auf der Intensivstation gewandt und bemängelt, dass die
Tragezeiten auf der Station von den Empfehlungen der Deutschen
Gesetzlichen Unfallversicherung abweichen, die eine Tragezeit von 75
Minuten und einer Pausenzeit von 30 Minuten vorsehen. Mit Wirkung zum
30.11.2020 wies der Arbeitgeber die Klägerin an, als Krankenschwester
auf einer anderen Station des Krankenhauses tätig zu werden. Hiergegen
wandte sich die Klägerin vor dem Arbeitsgericht.
Das Arbeitsgericht Herne kam zu dem Ergebnis, dass
der Arbeitgeber der Krankenschwester im Rahmen seines Direktions- und
Weisungsrechts einen anderen Arbeitsplatz im Krankenhaus zuweisen
durfte. Aus Sicht des Gerichts hat der Arbeitgeber durch die Umsetzung
der Krankenschwester deren Besorgnis um ihre Gesundheit wegen der
Tragezeiten der FFP2-Masken zeitnah Rechnung getragen und zugleich das
Konfliktpotential für alle Arbeitnehmer über Tragezeiten der FFP2-Masken
auf der Intensivstation reduziert, sodass der Betriebsfrieden in diesem
Bereich wiederhergestellt wurde.
Das Arbeitsgericht Herne kommt zu dem Ergebnis, dass
es sich bei der Umsetzung um eine verhältnismäßig milde Maßnahme
handelt, die die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für beide Parteien
ermöglicht. Da die Umsetzung im Wesentlichen unter Beibehaltung der
bisherigen Vergütung erfolgte, müsse das Interesse der Klägerin an der
Beibehaltung ihres bisherigen Arbeitsplatzes auf der Intensivstation
zurückstehen.
Hinweis:
Arbeitgeber haben im Rahmen ihres Direktions- und
Weisungsrechts das Recht, Arbeitnehmer auf einen anderen Arbeitsplatz
bzw. an einen anderen Arbeitsort umzusetzen. Voraussetzung ist, dass
diese Rechte nicht durch Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag eingeschränkt
oder ausgeschlossen sind und dass die Maßnahme verhältnismäßig ist, also
keine weniger einschneidenden Maßnahmen gegenüber dem Arbeitnehmer
vorrangig anzuwenden sind.
(ArbG Bonn, Urteil vom 07.07.2021, 2 Ca 504/21)
Das Arbeitsgericht (ArbG) Bonn hatte darüber zu
entscheiden, ob eine Arbeitnehmerin für die Zeit einer
Quarantäneanordnung während ihres Urlaubs Anspruch auf Nachgewährung des
Urlaubs hat.
Der Arbeitnehmerin hatte in der Zeit vom 30.11.2020
bis zum 12.12.2020 Erholungsurlaub. Aufgrund einer COVID-19-Infektion
musste sie sich auf Anordnung des Gesundheitsamts in der Zeit vom
27.11.2020 bis zum 07.12.2020 in Quarantäne begeben. Eine
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung lag für diesen Zeitraum nicht vor. Die
Arbeitnehmerin verlangte mit der von ihr erhobenen Klage die
Nachgewährung von fünf Urlaubstagen vom Arbeitgeber.
Das ArbG Bonn wies die Klage ab. Nach Auffassung des
Gerichts lagen die Voraussetzungen des § 9 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG)
für die Nachgewährung von Urlaubstagen bei einer Arbeitsunfähigkeit
nicht vor. Hiernach würden bei einer Erkrankung während des Urlaubs die
durch ärztliches Attest nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeitstage auf den
Jahresurlaub nicht angerechnet werden. Eine entsprechende
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung habe die Arbeitnehmerin nicht
vorgelegt. Eine behördliche Quarantäneanordnung stehe einem ärztlichen
Zeugnis über die Arbeitsunfähigkeit nicht gleich. Die Beurteilung der
Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers obliege alleine dem behandelnden
Arzt.
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