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Newsletter Behindertenhilfe 01/2024
01/2024
Neues aus der Rechtsprechung
Haftungsfragen in der Einrichtung - Verbrühung wegen umgestürzter Tasse mit heißem Tee
(OLG Düsseldorf, Beschluss v. 09.05.2023, 24 U 204/21)
Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hatte darüber zu entscheiden, ob eine stationäre Einrichtung der klagenden Krankenkasse Schadensersatz in Form der Erstattung der Behandlungskosten eines Bewohners zu leisten hatte.
Der querschnittsgelähmte Bewohner lebt in dem Heim und nutzt dort regelmäßig einen Elektrorollstuhl. Eine Mitarbeiterin stellte einen Thermobecher mit Tee auf den Nachttisch des Bewohners. Sie wies den Bewohner darauf hin, dass der Tee heiß sei und noch nicht getrunken werden könne. Sie werde später wieder kommen, um ihm den Tee zu reichen. Diesen Hinweis bestätigte der Bewohner mit einem Kopfnicken. Kurz darauf stieß er mit seinem Elektrorollstuhl an den Nachttisch, wodurch der Becher umfiel. Durch den heißen Tee verbrühte er sich seine Oberschenkelinnenseite und musste im Krankenhaus und daran anschließend ambulant behandelt werden. Die Krankenkasse forderte von der Einrichtung Kostenerstattung der Behandlungskosten im Umfang von rund 50.000,- €.
Das OLG teilte der klagenden Krankenkasse mit dem vorliegenden Beschluss mit, dass deren Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat. Bereits erstinstanzlich war die Klage abgewiesen worden.
Das Oberlandesgericht kam zu dem Ergebnis, dass die Wahrung der Selbständigkeit von Bewohnern in stationären Einrichtungen auch das Risiko beinhaltet, dass sie sich selbst oder andere durch Unachtsamkeit schädigen. Die Möglichkeit, dass eine durch einen Elektrorollstuhl mobilisierte Person mit diesem gegen ein Möbelstück stoßen kann und dadurch einen Unfall erleidet, ist aus Sicht des Gerichts dem normalen alltäglichen Gefahrenbereich im Heim zuzuordnen, zumal ein solches Geschehen auch außerhalb des Heims erfolgen könne. Nach Auffassung des OLG unterliegt auch der Bewohner eines Heimes einem allgemeinen Lebensrisiko, welches Unfälle bei der Ausführung an sich beherrschter Verrichtungen und Vorgänge einschließen kann. Ohne konkrete Anhaltspunkte für eine Selbstgefährdung bestehe keine Pflicht zu besonderen, ggf. vorbeugenden Sicherungsmaßnahmen durch den Heimträger und seine Mitarbeiter.
Anmerkung:
Das Oberlandesgericht Düsseldorf folgt hier der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 14.01.2021, Az. III ZR 168/19), der hinsichtlich der Schadensersatzpflicht von Pflegeheimen und besonderen Wohnformen der Behindertenhilfe den Beurteilungsmaßstab anlegt, ob die Mitarbeiter im Einzelfall wegen der körperlichen oder geistigen Verfassung des Bewohners ernsthaft damit rechnen mussten, dass er sich ohne Sicherungsmaßnahmen selbst schädigen könnte (vgl. Newsletter 02/2021).
Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen fehlender Beaufsichtigung
(LG Nürnberg, Urteil vom 30.03.2023, 11 O 7141/19)
Das Landgericht (LG) Nürnberg hatte darüber zu entscheiden, ob dem Erben einer verstorbenen Bewohnerin ein Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch zustand.
Die verstorbene Bewohnerin eines Pflegeheimes litt aufgrund einer frühkindlichen Meningitis an einer geistigen Retardierung und spastischen Quadriplegie und hatte den Entwicklungszustand einer Zweijährigen. Im Garten des Pflegeheimes stürzte sie aus dem Rollstuhl. Am darauffolgenden Tag hatten sich diverse Hämatome und eine Verdickung am Oberschenkel gebildet, so dass sie in Begleitung einer Mitarbeiterin ins Krankenhaus gebracht wurde. Während der dort veranlassten Röntgenuntersuchung des linken Oberschenkels, Beckens und der Hüfte stürzte die Bewohnerin, die sich zu diesem Zeitpunkt alleine und ungesichert auf dem Röntgentisch befand, von diesem Röntgentisch. Sie brach sich hierdurch u.a. den Unterschenkel.
Das LG Nürnberg sprach dem Erben der verstorbenen Bewohnerin Schmerzengeld und Schadensersatz zu. Das Krankenhaus hatte aus Sicht des Gerichts bei der Röntgenaufnahme Schutzpflichten gegenüber der Bewohnerin verletzt, indem es keine ausreichenden Schutzvorkehrungen getroffen hatte. Diese stellen eine Nebenpflicht zum Behandlungsvertrag dar. Es habe dem behandelnden ärztlichen und pflegerischen Personal obliegt, die Patientin zu überwachen und sie vor krankheitsbedingten Selbstgefährdungen und Selbstschädigungen zu schützen. Es bestanden aufgrund des Gesundheitszustands sowie der körperlichen und geistigen Verfassung der verstorbenen Bewohnerin hinreichende Gefahranzeichen für eine akute Sturzgefahr. Aus Sicht des Gerichts hätte das Krankenhaus unter Berücksichtigung dieser Gefahrenanzeichen entweder selbst weitere Maßnahmen zur Sicherung der Patientin ergreifen müssen (z.B. Begleitperson mit entsprechender Röntgenschutzkleidung, Anbringen von Gurten, höhenverstellbarer Röntgentisch, Abbruch der Maßnahme) oder bei der gesetzlichen Betreuerin Maßnahmen im Hinblick auf betreuungsgerichtliche Entscheidungen (z.B. Fixierung, medikamentöse Ruhigstellung) anregen müssen. Ein mögliches Mitverschulden der verstorbenen Bewohnerin war aufgrund ihrer geistigen Behinderung nach Auffassung des Gerichts nicht anzunehmen.
Neues aus der Gesetzgebung
Änderungen bei den ambulanten Pflegeleistungen
Zum Januar 2024 sind die ambulanten Pflegeleistungen um 5% erhöht worden:
|
Pflegegrad 2 |
Pflegegrad 3 |
Pflegegrad 4 |
Pflegegrad 5 |
Pflegegeld |
332,- € |
573,- € |
765,- € |
947,- € |
Pflegesachleistungen |
761,- € |
1.432,- € |
1.778,- € |
2.200,- € |
Ferner ist zu Januar 2024 eine Vereinfachung bei der Inanspruchnahme von Verhinderungspflege und Kurzzeitpflege für Eltern von behinderten Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis zum Alter von 25 Jahren in Kraft getreten, bei denen die Pflegegrade 4 oder 5 vorliegen. Die Verhinderungspflege kann von diesem Personenkreis seit Januar 2024 für acht Wochen im Jahr in Anspruch genommen werden. Dies gilt auch für die (anteilige) Fortzahlung des hälftigen Pflegegeldes. Die sechsmonatige Vorpflegezeit wurde gestrichen. Der Betrag der Kurzzeitpflege in Höhe von 1.774,- € pro Kalenderjahr kann für diesen Personenkreis zusätzlich für Leistungen der Verhinderungepflege verwendet werden.
Weitere Informationen über uns finden Sie auf www.vandrey-hoofe.de
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