Oktober 2016

Neues aus der Rechtsprechung

Jeder Bewohner muss einer Entgelterhöhung individuell zustimmen.

(Urteil des BGH vom 12.05.2016, III ZR 279/15)

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte über die Wirksamkeit einzelner heimvertraglicher Klauseln zur Entgelterhöhung zu entscheiden.

Ein Verbraucherschutzverein klagte gegen eine stationäre Altenpflegeeinrichtung darauf, dass diese die Klausel aus ihren Heimverträgen zu entfernen habe, wonach bei Anpassung der Vergütungsvereinbarungen nach §§ 85 bis 87 SGB XI mit den Pflegekassen und Sozialhilfeträgern die Einrichtung den Heimvertrag hinsichtlich der Entgelterhöhung durch einseitige Erklärung anpassen dürfe.

Der BGH gab dem Verbraucherschutzverein Recht. Aus Sicht des Gerichtes kann die Einrichtung gemäß § 9 WBVG "die Erhöhung des Entgelts" verlangen, nicht aber automatisch durch eine einseitige Erklärung das erhöhte Entgelt. Auch bei einem Heimvertrag handele es sich um einen zivilrechtlichen Vertrag, auf den die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) Anwendung finden. Gemäß § 311 Abs. 1 BGB stelle sowohl die Begründung eines Schuldverhältnisses als auch dessen Änderung einen Vertrag von mindestens zwei Vertragsparteien dar. Die Erhöhung des Heimentgelts ist somit eine Vertragsänderung, die der Zustimmung des Bewohners bedarf. Auch Praktikabilitätserwägungen insbesondere bei Beziehern von Leistungen nach dem SGB XI und SGB XII lässt das Gericht nicht gelten.

Anmerkung:

Sollten Wohn- und Betreuungsverträge eine Klausel enthalten, wonach die Einrichtung das Recht hat, bei Vorliegen einer neuen Vergütungsvereinbarung mit dem Kostenträger den Heimvertrag mit dem Bewohner einseitig anzupassen, so ist diese Klausel aus dem Vertrag zu entfernen, da anderenfalls eine Abmahnung durch einen Verbraucherschutzverein drohen könnte.

Es ist in Zukunft darauf zu achten, dass jede Entgelterhöhung als Nachtrag zum Wohn- und Betreuungsvertrag individuell mit den einzelnen Bewohnern vereinbart wird.


Das Tragen einer "sensorgesteuerten Weglaufsperre" rund um die Uhr stellt eine freiheitsentziehende Unterbringung dar.

(Beschluss des LG Fulda vom 31.05.2016, 5 T 83/16)

Das Landgericht Fulda hatte darüber zu entscheiden, ob bei einem dementen, sehr umtriebigen Bewohner in einem Pflegeheim eine "sensorgesteuerte Weglaufsperre" als freiheitsentziehende unterbringungsähnliche Maßnahme nach § 1906 Abs. 4 BGB zu genehmigen war. Der Betroffene, der aufgrund starken Bewegungsdrangs häufig die Einrichtung verlässt, sollte die sensorgesteuerte Weglaufsperre 24 Stunden am Tag an sieben Tagen pro Woche tragen. Wenn er sich der Eingangstür der Einrichtung näherte, verschloss sich diese, so dass er das Heim nicht selbständig verlassen konnte.

Eine freiheitsentziehende Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB setzt ebenso wie eine freiheitsentziehende unterbringungsähnliche Maßnahme nach § 1906 Abs. 4 BGB voraus, dass sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil bei ihm aufgrund einer psychischen Erkrankung oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt.

Das LG Fulda ging davon aus, dass es sich bei der "sensorgesteuerten Weglaufsperre", die der Betroffene rund um die Uhr tragen sollte, nicht um eine unterbringungsähnliche Maßnahme i.S.d. § 1906 Abs. 4 BGB handelt. Der Betroffene konnte zu keinem Zeitpunkt selbständig die Pflegeeinrichtung verlassen, da sich die Türen bei seinem Näherkommen immer automatisch verschlossen. Er konnte nur nach draußen treten, wenn ihm ein Mitarbeiter des Pflegepersonals die Tür entriegelte. Aus Sicht des Gerichts handelte es sich somit um eine freiheitsentziehende Unterbringung (§ 1906 Abs. 1 BGB). Diese war nach Auffassung des LG Fulda aber nicht geboten. Der Betreute war noch in keinerlei konkret gefährdende Situationen geraten, wenn er das Heim verließ. Lediglich die abstrakte Gefahr einer Schädigung hielt das Gericht aber nicht für ausreichend, um dieser mit einem dauerhaften Freiheitsentzug entgegen zu wirken.


Neues aus der Gesetzgebung

Geplante Änderungen durch das Pflegestärkungsgesetz III

 

Das Pflegestärkungsgesetz III (PSG III) bringt wieder ein Sammelsurium an Änderungen diverser Gesetze mit sich. Einige wesentliche Änderungen betreffen auch Menschen mit Behinderungen.

Das PSG III ist am 23.09.2016 in den Bundestag und Bundesrat eingebracht worden. Aktuell liegt es dem Fachausschuss für Gesundheit vor. Die Sachverständigenanhörung erfolgte am 17.10.2016. Ende November 2016 soll das Gesetz vom Bundestag verabschiedet werden. Am 16.12.2016 soll es dann den Bundesrat passieren und zum 01.01.2017 in Kraft treten.

Einige der geplanten Änderungen werden im Folgenden dargestellt:

  • § 13 SGB XI regelt das Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung zu anderen Sozialleistungen. Bisher regelt § 13 Absatz 3 SGB XI, dass die Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII nicht nachrangig gegenüber Pflegeleistungen nach dem SGB XI sind. Dieser Grundsatz der Gleichrangigkeit von Leistungen wird durch das PSG III aufgegeben. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass jedenfalls in der Häuslichkeit die Leistungen der Pflegeversicherung denen der Eingliederungshilfe grundsätzlich vorgehen sollen. Eine Ausnahme soll nur dann gelten, wenn bei der Leistungserbringung die Erfüllung der Aufgaben der Eingliederungshilfe im Vordergrund steht.
  • Eine entsprechende Regelung wird durch das PSG III auch in die Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII aufgenommen (§ 63b SGB XII-Regierungsentwurf). Hier wird noch zusätzlich geregelt, dass außerhalb der Häuslichkeit die Eingliederungshilfe der Hilfe zur Pflege vorgehen soll.
  • § 43a SGB XI regelt, dass für pflegebedürftige Menschen in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe die Pflegekassen zur pauschalen Abgeltung der zu erbringenden Pflegeleistungen max. 266,- € je Pflegebedürftigen pro Monat an das Sozialamt zahlen. Ab 01.01.2017 betrifft diese Regelung aufgrund der bereits beschlossenen Änderungen durch das Pflegestärkungsgesetz II Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5. Durch das PSG III soll § 43a SGB XI dahingehend erweitert werden, dass diese pauschale Abgeltung von Pflegeleistungen für alle "Räumlichkeiten" gelten soll, die Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen erbringen und unter das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) fallen. Dies wird also auch WGs und das BEW betreffen, soweit die Angebote in den Anwendungsbereich des WBVG fallen.

Es bleibt abzuwarten, ob sämtliche der dargestellten Regelungen so auch Eingang in die Endfassung des Gesetzes finden werden.


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Fotos: © Joe Miletzki (Bundesgerichtshof)


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